© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

Hier sind auch die Tränen echt
Reportage: Erster deutscher Veteranentag in Berlin / Teilnehmer fordern mehr Anerkennung
Ronald Gläser

Mirko R. steht inmitten eines Menschenpulks vor dem Berliner Bendlerblock und wirkt doch einsam. Der Kriegsheimkehrer trägt eine große grüne Isaf-Fahne auf dem Rücken. An seiner Brust prangen das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold und die Afghanistan-Einsatzmedaille.

Es gibt keinen offiziellen Veteranentag in Deutschland

Auf dem Kopf trägt er das Barett der Fallschirmjäger. Mirko R.s Einsatz liegt schon einige Jahre zurück. Er war gleich zu Beginn in Afghanistan, im Jahr 2002. Was er dort erlebt hat, läßt ihn bis heute nicht los. Die Einheimischen seien ein besonderer Menschenschlag gewesen, berichtet er ohne Zorn. Aber die Kämpfe! „Ich bin heute immer noch einmal täglich in Gedanken da unten“, erzählt er, ohne daß es jammerhaft klingt. Und doch sind die Kriegserlebnisse nicht spurlos an ihm vorübergegangen.

Da plötzlich ruft jemand: „Sie kommen“, und alle drehen sich Richtung Landwehrkanal um. Mit einem lauten Rumpeln und Pumpeln kommt der Motorradkorso der Kriegsveteranen die Hildebrandstraße entlanggefahren. Vorneweg einige Jeeps und Quads, dann die in der Sonne glänzenden schweren Maschinen. Darauf Männer in ihren besten Jahren, fast immer sportlich und sonnengebräunt. Sie tragen „Räuberzivil“, eine Mischung aus Uniform und Bikerkluft.

Der Anblick ist für Deutsche gleich in zweierlei Hinsicht gewöhnungsbedürftig. Zum einen sind viele nichtdeutsche Veteranen dabei, Dänen und Briten etwa und sehr viele Holländer. Zum anderen ist auch unter den Deutschen eine gewisse Vorliebe für die amerikanschen Streitkräfte zu erkennen. Vieles ist dort abgekupfert. Einige deutsche Soldaten tragen gleichzeitig die „Stars and Stripes“.Kein Wunder: Der „Veterans Day“ ist ja auch eine Art angloamerikanische Erfindung: In den USA und den Commonwealth-Staaten wird er seit dem Ersten Weltkrieg im Angedenken an die Kriegsveteranen veranstaltet.

In Deutschland hingegen gibt es keinen offiziellen Veteranentag. Das Treffen in der Berliner Außenstelle des Verteidigungsministeriums ist semioffizieller Natur. Der Bund Deutscher Veteranen hat es organisiert (JF 23/14). Die Initiatoren sind froh, daß sie überhaupt auf das Gelände dürfen.

Vor dem Ehrenmal der Bundeswehr tritt die bunte Truppe an. Ein Redner in Motorradklamotten appelliert: „Es wird Zeit, daß Deutschland aufwacht – nicht die Politiker, sondern das deutsche Volk.“ Es gebe einen weitverbreiteten Haß auf die Armee, obwohl es die Soldaten seien, die die Freiheit und den Staat beschützten. Danach spricht Robert Sedlatzek-Müller, der Autor von „Soldatenglück“. Er erinnert daran, daß die Männer und Frauen des Zweiten Weltkrieges hinterher eine neue Gesellschaftsordnung aufgebaut hätten. „Heute hat Deutschland eine neue Generation von Veteranen.“

Dieses Pathos wird durch die Kranzniederlegung und die Andacht noch gesteigert. Vertreter der diversen Gruppen treten an, um ihre Kränze abzulegen und stumm zu salutieren. Männer, die als Blauhelme auf den Golanhöhen, in Sarajevo oder auf Zypern gedient haben. Deutsche, Holländer, Dänen. Dazu Amerikaner, die in Vietnam waren, eine polnische Delegation. Vor allem aber: Afghanistan-Veteranen.

Nach der stillen Zeremonie spielen sich Szenen ab, die es so nur hier gibt. Männer verlassen mit Tränen in den Augen das Ehrenmal. Eine Frau weint bitterlich. Sie ist mit den Kameraden ihres in Afghanistan gefallenen Mannes da. Sie kann nicht sprechen. Kaum einer mag etwas sagen. Diese Kranzniederlegung ist etwas anderes als die wohlorchestrierten Feiern, die von Berufspolitikern oder Verbandsvertretern bei solchen Anlässen abgespult werden. Das hier ist echt.

„Mein Schwiegersohn kann auch nicht über das sprechen, was er als Aufklärer in Afghanistan erlebt hat“, murmelt Gabriele Douqué. Die 70jährige aus Schleswig-Holstein wundert sich, daß die Deutschen sich so wenig für das Schicksal der aus Auslandseinsätzen zurückkehrenden Soldaten interessieren.

Sie will etwas tun zugunsten der Veteranen und hat sich daher Großes vorgenommen: „Ab morgen mache ich den Jakobsweg aus Solidarität mit unseren Jungs.“ Von Berlin fliegt sie nach Frankreich, um die Pilgerstrecke nach Santiago de Compostela zurückzulegen.

Andere Soldaten machen aus ihrem Unmut über den mangelnden Rückhalt für die Truppe keinen Hehl. Eine junge Soldatin zieht das Interesse der Reporter auf sich. Jaqueline steht kurz vor ihrem ersten Auslandseinsatz und schimpft über die Politiker, aber auch über den Zustand der Truppe. „Eine gewisse Strenge sollte schon vorhanden sein“, sagt sie. Vielen Soldaten mangele es an den richtigen Umgangsformen.

Vor allem hat sie es aber auf die derzeitige Verteidigungsministerin abgesehen: „Frau von der Leyen unterhält sich mit den falschen Beratern, die haben doch auch alle nicht gedient“, klagt sie. Ihre Chefin schiebe unangenehme Dinge weg und sei im Grunde immer noch Familienministerin ohne Bezug zu ihrer neuen Aufgabe.

Der Unmut, den auch andere Soldaten artikulieren, ist groß. Er wurde auch dadurch noch angestachelt, daß sich kein Politiker bei der Zeremonie hat blicken lassen. Alle Fraktionen waren eingeladen. Einzig der Abgeordnete Rainer Arnold (SPD) erscheint später zu einer Podiumsdiskussion. Arnold sagt den Veteranen Unterstützung zu, erteilt aber auch einem offiziellen Gedenktag mit Paraden und fähnchenschwenkenden Kindern am Straßenrand eine Absage. Eine „Kultur des Militärischen“ wie in Großbritannien sei in Deutschland aufgrund seiner Geschichte nicht umsetzbar.

Gabrieles Lauf. Gabriele Douqué läuft die 1.000 Kilometer lange Strecke des Jakobsweges und noch ein Stück weiter, um auf das Schicksal der Veteranen hinzuweisen. Sie sammelt Spenden. Alles weitere in ihrer Facebook-Gruppe „Solidarität und Support für Veteranen“.

www.facebook.de

 

Die neuen deutschen Veteranen

Thomas Wiegold, Journalist und Betreiber des Militär-Blogs „Augengeradeaus“, hat sich schon Ende der 90er Jahre gefragt, warum es keine politische oder soziale Bewegung der Heimkehrer gibt. „Wann melden die sich wohl mal zu Wort?“ Schließlich waren seit 1993 deutsche Soldaten in verschiedenen Auslandseinsätzen dabei: erst Kambodscha, dann Somalia, schließlich die Balkanstaaten. Aber erst der 11. September und die anschließende Afghanistanmission hat genug Heimkehrer produziert, so daß damit eine kritische Masse erreicht wurde.

128.000 deutsche Afghanistan-Veteranen sind derzeit bei der Bundeswehr registriert. Das alleine ist eine Stadt mit mehr Einwohnern als Würzburg. Dazu kommen die Soldaten, die bei anderen Einsätzen vor allem auf dem Balkan waren. Und jene 4.800, die es gerade sind – nicht zuletzt am Horn von Afrika und in Mali. Die Zahl der Gefallenen liegt bei über 100. Die Hälfte von ihnen (54) ließ ihr Leben in Afghanistan.

www.veteranenverband.de

www.augengeradeaus.net

www.einsatz.bundeswehr.de

Foto: Gabriele Douqué: Die Schwiegermutter eines deutschen Soldaten im Afghanistaneinsatz bei der Kranzniederlegung vergangenen Samstag am Bundeswehr-Gefallenendenkmal, im Hintergrund zwei Veteranen

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