© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

Sisi Superstar
Ägypten: Der Ex-General nutzt die Sehnsucht des Volkes nach Stabilität
Marc Zöllner

Kaum stand das Wahlergebnis fest, fielen die Schüsse: Bei einer Protestaktion Hunderter Anhänger des gestürzten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi im Kairoer Stadtteil Ain Shams feuerten Polizisten mit scharfer Munition auf die Demonstranten; angeblich, um diese zu vertreiben. Vier Menschen, darunter zwei Frauen, fanden dabei den Tod. Die Opferzahl der Machtkämpfe zwischen Mursis Moslembrüdern und dem Militärregime erhöht sich damit auf über 1.400 Tote.

Mit einem Erdrutschsieg unerwarteten Ausmaßes wählte Ägypten nur Tage zuvor seinen neuen Präsidenten. Rund 54 Millionen Einwohner des dicht besiedelten Lands am Nil waren dazu aufgerufen, ein neues Staatsoberhaupt zu bestimmen. Doch eine große Auswahl bot sich den Ägyptern nicht: Mit Hamdin Sabahi und Abd al-Fattah as-Sisi fanden sich am Ende gerade einmal zwei Kandidaten auf den Stimmzetteln.

Salafisten hielten sich diplomatisch zurück

Bereits in den Umfragen lag as-Sisi weit vorn. In einer Anfang Mai vom ägyptischen Meinungsforschungsinstitut Baseera veröffentlichten Studie äußerten 76 Prozent der Befragten, für den ehemaligen General und derzeitigen Vizepräsidenten stimmen zu wollen. Ende März betrug seine Popularität gerade einmal 39 Prozent. Kaum zwei Prozent der Teilnehmer favorisierten wiederum den Sozialisten Sabahi im direkten Vergleich. Daß as-Sisi als Günstling des in Ägypten einflußreichen Militärs am Ende sogar 95,3 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, schien ihn von daher nicht mehr wirklich zu überraschen.

Kühl und gelassen nahm der Ex-General den Auftrag zur Regierungsbildung an. Lediglich die Wahlbeteiligung als eigentliche Legitimation seiner neuen Herrschaft bereitete den Veranstaltern Sorge: So trat am Ende des zweiten Wahltags selbst offiziellen Berichten zufolge lediglich ein Drittel der Wähler an die Urne. Aufgrund der hohen Temperaturen, erklärte das Innenministerium, müßten die Wahlen um einen Tag verlängert werden. Vorteile brachte dies kaum. Am Abend des dritten Tags fanden 48 Prozent – der oppositionellen Moslembruderschaft zufolge noch nicht einmal zehn Prozent – der wahlberechtigten Ägypter ihren Weg in die Wahllokale.

Warum Sabahi angesichts seiner eklatant schlechten Umfragewerte überhaupt noch seinen Hut in den Ring warf, schien eher als eine Art Alibihandlung, um dem Rennen um die Präsidentschaft in Ägypten zumindest den Anstrich einer demokratisch gestalteten Wahl zu verleihen. Sämtliche anderen Gegner hatte as-Sisi von vornherein kaltgestellt.

So Mursis Moslembruderschaft. Diese wurde im Juli vergangenen Jahres nach einer umstrittenen Verfassungsänderung sowie anschließenden Massenprotesten von as-Sisi, dem damaligen Oberkommandierenden der ägyptischen Streitkräfte, aus dem Weg geräumt. Seitdem gilt die einst einflußreichste politische Partei am Nil als terroristische Vereinigung. Allein in den vergangenen Wochen verurteilten ägyptische Gerichte Hunderte ihrer Anhänger in Schnellprozessen zum Tode. Einen eigenen Kandidaten gegen as-Sisi zu nominieren, war ihnen bereits vorab untersagt.

Um nicht ebenso wie Muhammad Mursis Moslembrüder bei den Militärs in Ungnade zu fallen, zog auch die salafistische Al-Nour-Partei aus taktischen Gründen ihre Kandidatur zurück. Man wolle seine Resourcen auf die kommende, für Juli 2014 geplante Parlamentswahl konzentrieren, hieß es lapidar aus der Parteizentrale. Am 3. Mai rief Younis Makhyoun, der Vorsitzende der Salafisten, seine Anhänger sogar dazu auf, as-Sisi bei dessen Kandidatur zu unterstützen.

Wunsch nach Rückkehr zu glanzvollen Zeiten

Die Angst vor Verfolgung durch as-Sisis Militär ist in Ägypten dieser Tage allgegenwärtig. Nicht nur die Konservativen sowie die Islamisten von der Moslembruderschaft und der Al-Nour-Partei sparen derzeit mit Protesten gegen den baldigen Machthaber. Auch die Liberalen, die einstigen Träger der Revolution gegen den damaligen Diktator Hosni Mubarak, wagen sich kaum zur Gegenrede.

„Wer gegen as-Sisi demonstriert oder auch nur die vier Finger seiner Hand zum Rabia-Gruß ausstreckt, wird sofort verhaftet“, erzählt Islam Hadschasi im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Der junge Mediziner aus Alexandria ist einer von vielen, die ihre Stimme verweigerten. Rund zwanzig Prozent aller Ägypter unter dreißig, bestätigte auch das Forschungsinstitut Baseera, kündigten bereits im Vorfeld an, die Abstimmung zur Präsidentschaft zu boykottieren.

„Für as-Sisi sind nur die Alten, die sich nach Nasser zurücksehnen, und die korrupten Geschäftsmänner“, erklärt Islam. „Die Jugend und die Studenten sind aber komplett gegen ihn. Nicht nur die Jungs der Moslembruderschaft.“

Tatsächlich stieg mit zunehmendem Alter Umfragen zufolge auch die Bereitschaft, für as-Sisi zu stimmen. Nicht wenige Ägypter sehen sich vom Westen in ihren Demokratiebestrebungen im Stich gelassen. Horrend gestiegene Preise für die Grundversorgung sowie eine grassierende Korruption tun ihr übriges, den Wunsch nach einer Rückkehr zu den glanzvollen Zeiten unter Gamal Abdel Nasser zu bestärken, als Ägypten in der Weltpolitik noch von Rang und Namen war.

Ein Wahlgeschenk ganz besonderer Art gewährte der scheidende Interimspräsident Adly Mansour dem Block der nationalistischen, mit as-Sisi und dem Militär sympathisierenden Wählerschaft: In einer seiner letzten Amtshandlungen ratifizierte er ein Gesetz, welches künftig unter Androhung hoher Haftstrafen verbietet, sich beim Klang der ägyptischen Nationalhymne nicht zu erheben.

Abd as-Sisi konnte sich von daher die vergangenen Wochen ruhig zurücklehnen: Jeder weitere Tag in der Krise stärkte seine Position sowie seine Umfragewerte. Auf öffentliche Reden oder Auftritte verzichtete er die letzten Wochen sogar ganz. Einzig die Plakate in den großen Städten des Landes zeugten davon, daß überhaupt Wahlkampf herrschte. „Zu diesen Wahlen zu gehen, lohnte sich nicht“, kommentiert auch Islam betrübt. „Das Ergebnis stand ja eh bereits fest.“

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