© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

Über Nacht veränderte sich das politische Klima
Frankreich: Korrupte Bürgerliche, indisponierte Sozialisten und ein feiernder Front National
Friedrich-Thorsten Müller

Für Bürgerliche und Sozialisten in Frankreich war die Europawahl ein Alptraum. Nicht wenige Meinungsumfragen sahen den Front National als stärkste Partei. Daß es am Ende aber mit 24,9 Prozent der Stimmen ein vierprozentiger Vorsprung vor der zweitplazierten konservativen UMP wurde, damit rechnete fast niemand. Gerade noch 13,98 Prozent der Stimmen erzielten die Sozialisten des amtierenden Präsidenten François Hollande. Zum Vergleich: Bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Juni 2012 bekam die Regierungspartei im ersten Wahlgang noch 29,4 und im zweiten Wahlgang gar 40,9 Prozent der Stimmen. Folgerichtig wünschen nach einer Umfrage von Opinion Way inzwischen nur noch drei Prozent der Franzosen, daß sich Hollande 2017 zur Wiederwahl stellt.

Nach der Wahl kam es für Frankreichs etablierte Parteien noch schlimmer: Die „Affäre Bygmalion“, bei der es um illegale Wahlkampffinanzierungen für den früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy geht, ließ sich nicht länger unter der Decke halten. Der UMP-Vorsitzende Jean-François Copé mußte mit dem gesamten Parteivorstand seinen Rücktritt erklären, weil eine Werbeagentur aus dessen Umfeld nach dem letzten Präsidentschaftswahlkampf offenbar Scheinrechnungen an die Partei fakturiert hatte. Leistungen der Agentur im Zusammenhang mit dem Präsidentschaftswahlkampf wurden dabei einfach umetikettiert, um das Überschreiten der gesetzlichen Ausgabenobergrenze für diesen Wahlkampf zu verschleiern.

Jugend von den Etablierten zutiefst enttäuscht

Die juristische Aufarbeitung des Skandals dürfte zusammen mit den ohnedies schon laufenden Prozessen gegen Nicolas Sarkozy dem Ansehen der Partei weiteren großen Schaden zufügen. Es ist daher fast ein Akt der Verzweiflung, wenn die UMP mit Alain Juppé, Jean-Pierre Raffarin und François Fillon bis zum Parteitag im Oktober gleich drei ehemalige Premierminister mit dem provisorischen Parteivorsitz beauftragt. Die UMP kann von Glück reden, daß der Korruptionskandal zumindest bis zur Europawahl geheimgehalten werden konnte.

Das politische Klima in Frankreich erscheint nun massiv verändert: Nach dem letzten großen Paukenschlag des FN, dem Einzug des Gründers Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl bei der Präsidentschaftswahl 2002, waren noch 1,2 Millionen entrüstete Franzosen auf die Straße gegangen, da sie die Republik in Gefahr sahen. Nach dem Wahlsieg seiner Tochter Marine demonstrierten zum Himmelfahrtstag vielleicht noch 10.000 Menschen in einem halben Dutzend Städten – wofür sie von den Wahlsiegern eher belächelt wurden. Frankreichs unter 35jährige wählten zu 30 Prozent FN, was in dieser Generation fast die Mehrheit der Franzosen ohne Einwanderungshintergrund bedeutet. Auch zur Beschwichtigung der zu einem Viertel arbeitslosen und sicher einem weiteren Viertel in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeitenden Jugend lenkt Hollande inzwischen bei einem weiteren geplanten linken Vorzeigeprojekt ein: Er ließ Innenminister Bernard Cazeneuve mitteilen, „aus Mangel an Rückhalt in der Politik“ auf die geplante Einführung des Kommunalwahlrechts für alle Ausländer zu verzichten. Eine Entscheidung, die vom FN-Vize-Vorsitzenden Florian Philippot als „schöner Effekt“ gefeiert wird.

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