© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

Politiker sind digitale Analphabeten
Blambel
Michaela Merz

Wir haben also nun höchstrichterlich das Recht, von Google „vergessen“ zu werden. Klingt ganz nett, zeigt aber in unerbittlicher Deutlichkeit, wie wenig Deutschland und Europa von der Philosophie und dem Hintergrund des Internets verstehen. Erstens: Die Löschung eines Links betrifft nicht den eigentlichen Inhalt. Zweitens: Google hat angekündigt, daß es die Löschung nur auf europäischen Seiten durchführen wird. Mit wenigen Tricks werden Nutzer also auch in Zukunft alles finden, was in Europa versteckt wird. Natürlich auch auf anderen ausländischen Suchmaschinen, die sich sowieso nicht darum scheren, was EU-Gerichte gerne hätten.

2009 verabschiedete die damalige GroKo unter der Federführung von Familienministerin Ursula von der Leyen das Zugangserschwerungsgesetz, welches den Zugriff auf Kinderpornographie verhindern sollte. Nicht indem die Polizei den Anbietern solcher Inhalte das Handwerk legt, sondern indem die Regierung durch einen Eingriff in die Infrastruktur des Internets und über Sperrlisten den Zugriff blockiert. Auch hier wären nur kleine Tricks notwendig gewesen, um diese Sperrmaßnahmen vollständig und dauerhaft zu umgehen. Zum Glück wurde das Gesetz nie wirklich angewandt. Leise und ohne großen Widerstand wurde es dann 2011 wieder aufgehoben.

Und wie sieht die deutsche Antwort auf die digitale Spionage, zum Beispiel seitens der NSA, aus? Nicht etwa eine umfassende Aufklärung und Förderung sogenannter Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation, sondern eine blamable Einstellung der Ermittlungen und ein sogenanntes Schengen-Routing, das die Daten der Bürger im europäischen Schengen-Staaten-Rechtsraum halten soll.

Weiß die Regierung nicht, daß große Datenleitungen in Deutschland, sogenannte Backbones, vollständig US-Unternehmen gehören? Daß der Schengenraum bei fast 40 Millionen Menschen in Deutschland digital direkt an der Haustür endet? Mit dem Erwerb von Kabel Deutschland durch Vodafone sind alleine fast fünf Millionen Menschen direkte Internet-Kunden eines britischen Unternehmens – viele Grüße an das GCHQ, den britischen Geheimdienst, der als Partner der NSA in vielen Snowden-Dokumenten auftaucht.

Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, wie die Politiker populistisch, aber kopf- und hilflos auf die Herausforderungen der digitalen Welt reagieren. Während Fachleute mit unpassendem Parteibuch aus den Fachgremien entlassen werden und die Vorschläge der Aktivisten ungehört verhallen, dürfen sich Lobbyisten, Parteifunktionäre und Beamte ungestört austoben. Für das Wahlvolk mag das reichen, für die digitale Zukunft unseres Landes, für den Datenschutz und die IT-Sicherheit unserer Bürger ist das eine Katastrophe.

 

Michaela Merz ist IT-Unternehmerin.

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