© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

Frust bei der Fleischlust
Lebensmittelskandal: Berichte über unwürdige Massentierhaltung und Krankheitskeime schockieren die deutschen Verbaucher
Ronald Gläser

Unlängst veröffentlichte Videoaufnahmen einer Tierschutzgruppe sind erschütternd: Bis zu 8.000 Puten werden in einem Stall bei Ulm auf zu engem Raum zusammengepfercht. Schwerverletzte Kreaturen werden sich selbst überlassen. Zahlreiche Puten sterben vor der Schlachtung. Ein ähnliches Bild auf einem österreichischen Gut: Hühner können sich wegen der Turbomast nicht bewegen, weil sie zu schnell wachsen und ihre Muskulatur nicht mehr mit dem Gewicht mitkommt. Viele der Tiere verdursten. Aus der Stallkarte geht hervor, daß über 900 Tiere in nur einem Monat verendet sind.

Und schließlich Bilder aus einem Stall bei Dillingen in Bayern: Dort filmten Aktivisten der Soko Tierschutz mit versteckter Kamera, wie ein Arbeiter kranke Puten mit einer Stange zu erschlagen versucht. Aber die Kreaturen kämpfen minutenlang um ihr Leben. Das Gesetz schreibt eigentlich eine „Tötung unter Vermeidung von Schmerzen“ vor. Doch der Betrieb hält sich nicht an diese Vorgabe. Auch nicht bei der regulären Tötung.

Eine weitere versteckte Kamera hält fest, wie die Tiere ohne Betäubung geschächtet werden und einen minutenlangen Todeskampf durchleben müssen. Hauptabnehmer aller drei Geflügelfarmen ist nach Angabe der Tierschützer die Firma Hubers Landhendl, die große deutsche Handelsketten wie Rewe, Real, Karstadt oder Edeka unter anderem mit den Markenbezeichnungen „Wilhelm Brandenburg“ und „Gut & Günstig“ beliefert. Seitdem Spiegel TV die Vorgänge in der bislang als unbescholten geltenden Firma publik gemacht hat, tobt in Österreich, wo das Unternehmen seinen Sitz hat, ein handfester Geflügelskandal.

Zeitgleich verdarb eine Meldung vielen deutschen Konsumenten den Appetit. Eine Mini-Studie der Grünen nahm im EU-Wahlkampf die Qualität von Fleisch- und Wurstprodukten unter die Lupe. Die Stichprobe ergab: Zehn der 63 gekauften Brötchen und Stullen mit Rohwurst oder Gehacktem waren mit antibiotikaresistenten Keimen belastet, also gesundheitsschädlich.

Jedes Jahr sterben in Deutschland schätzungsweise 30.000 Patienten, weil sie sich mit einem solchen Erreger infiziert haben. Einem Erreger, gegen den kein Medikament mehr hilft. Neben Krankenhäusern wird nun immer häufiger die moderne Tiermast verdächtigt, dafür mitverantwortlich zu sein. Der Tierarzt Rupert Ebner sagte im ZDF: „Der Verdacht liegt nahe, daß die Landwirtschaft eine größere Rolle dabei spielt, als man bisher angenommen hat.“

Vorsicht bei Mettbrötchen und Putenfleisch

Besonders stark betroffen waren bei der Studie der Grünen Mettbrötchen und Zwiebelmett. Acht von 36 untersuchten Proben waren belastet. Das entspricht 22 Prozent. Noch höher war die Quote beim beliebten Putenfleisch. In sechs von neun Proben (66 Prozent) waren die Erreger vorhanden.

Der Zusammenhang zwischen Massentierhaltung und Antibiotikaresistenz ist einfach: Je mehr Tiere auf engem Raum gehalten werden, desto größer ist das Krankheitsrisiko. Wird ein Tier krank, so ist es üblich, sofort sämtliche Tiere im Bestand prophylaktisch zu versorgen. Kaum ein Tier, dessen Fleisch wir verzehren, ist nicht zuvor auf diese Weise behandelt worden. Irgendwann wirken die Medikamente nicht mehr.

Viele deutsche Verbraucher machen sich Sorgen: Ist das Fleisch auf meinem Grill von einer jener Puten, die in ihrem Stall totgetreten oder mit Antibiotika vollgepumpt werden? Kann ich vom keimbelasteten Mettbrötchen krank werden? Der Unmut über die Bedingungen bei der Massentierhaltung hat auch eine politische Komponente.

Kunden reagieren mit Zurückhaltung beim Kauf

Die Agrarwirtschaft gehört zu den überregulierten Branchen. Vom Veterinäramt bis zum Bauamt drangsalieren viele Instanzen die Bauern, die zudem unter hohem Kostendruck stehen. Es gibt Vorschriften und Subventionen für alles mögliche. Zum Beispiel auch für die Beseitigung verendeter Tiere. Diese staatliche Beihilfe ist wie gemacht für den Massentierhaltungsbetrieb.

Zudem ist die Nachfrage nach billigem Fleisch groß. Die Discounter unterbieten sich gegenseitig: Aldi verkauft das Putensteak derzeit für 6,89 pro Kilo. Netto Marken-Discount kontert dies mit dem Putenschnitzel für 6,35 pro Kilo. Und bei Penny kostet das Kilo Hähnchenbrustfilet nur noch 6,23 Euro.

In der Öffentlichkeit steigt dagegen die Sensibilität für das Thema Massentierhaltung. Der kleinere Teil der Kundschaft reduziert seinen Fleischkonsum oder wechselt den Anbieter. Der lautstärkere Teil der Massentierhaltungsgegner hingegen verlangt staatliche Verbote. Im Land Brandenburg etwa sammelt ein Aktionsbündnis Agrarwende Unterschriften für eine Volksinitiative gegen Massentierhaltung. Die Initatoren dürften bald die angestrebten 25.000 Unterschriften für ihr Vorhaben beisammen haben.

Foto: Mit versteckter Kamera: Aktivisten der Soko Tierschutz dokumentieren unhaltbare Zustände und Quälereien – notfalls auch illegal

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