© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

Im entfesselten Zustand
Fronterlebnisse: Die Galerie Neue Meister in Dresden widmet dem Triptychon „Der Krieg“ von Otto Dix eine Sonderausstellung
Paul Leonhard

Einem der Schlüsselwerke der deutschen realistischen Malerei des 20. Jahrhunderts haben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine Sonderausstellung gewidmet: dem Triptychon „Der Krieg“ von Otto Dix (1891–1969). Daß es auch das „Dresdner Triptychon“ genannt wird, kennzeichnet die enge Beziehung des Malers und auch dieses Werkes mit der Elbestadt. Schon zu DDR-Zeiten wurden die Schulkinder in die Gemäldegalerie „Neue Meister“ im Albertinum geführt, um auf diese schockierend realistische Darstellung des Krieges aufmerksam gemacht zu werden. Allerdings sahen die in der Ruinenlandschaft Dresdens Aufgewachsenen darin eher das Leiden ihrer Stadt und ihrer Eltern an den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs.

Dix reflektierte aber in dem Triptychon seine Erfahrungen, die er ab September 1915 als Kriegsfreiwilliger bei der Feldartillerie und als MG-Schütze an der West- und Ostfront gemacht hatte. Im Gegensatz zu dem Schriftsteller Erich Maria Remarque, dessen Buch „Im Westen nichts Neues“ fast zeitgleich wie das Triptychon entstand, erlebte Dix die Schrecken des Krieges in vorderster Linie. Er machte die Herbstschlacht in der Champagne mit, die erste und zweite Schlacht an der Somme, durchlitt die Stellungskämpfe, den Rückzug in Flandern. Um das Geschehen zu verarbeiten, zeichnete Dix. „Farben & Papier gehören zum Sturmgepäck. Während die Landser Wache stehen & die Knarre putzen, ging ich ins Gelände malen“, notierte er. 1915 stellte er sich noch heroisch als Kriegsgott Mars dar, an dessen Helm die Schüsse abprallen, später, ernüchtert, als „Schießscheibe“ mit starrem Blick.

Am „Dresdner Triptychon“ beginnt er 14 Jahre später zu arbeiten. Zuvor waren bereits andere Bilder entstanden, in denen er das Grauen des Krieges erinnerte. In seinem 1923 entstandenen Bild „Der Schützengraben“ beispielsweise, das, 227 mal 250 Zentimeter groß, aufgetürmte Leichen zeigt. Das neue Werk sollte aber für Dix den Höhe- und Endpunkt seiner künsterischen Aufarbeitung der Fronterlebnisse darstellen. Hatte er vor dem Krieg wilde, expressionistische Bilder gemalt, offenbaren sich die vier Tafeln in gleichsam altmeisterlicher Manier. Zu sehen ist der Auszug der Soldaten im Morgengrauen (linke Tafel), das Schlachtfeld als Stätte des Todes (Mitteltafel), die Rückkehr aus der Hölle der Schlacht (rechte Tafel) und die Ruhe der Soldaten in einem Unterstand (Predulla).

Vier Jahre lang, von 1929 bis 1932, hat Dix, zu diesem Zeitpunkt Professor für Malerei an der Dresdner Akademie, an diesem Werk gearbeitet. Immer wieder überarbeitete er die Tafeln, verwarf bereits halbfertige Szenen. Die Arbeit sei für Dix ein langer, quälender und spannungsvoller Prozeß gewesen, sagt Ausstellungskuratorin Birgit Dalbajewa. Durch die Restaurierungswerkstätten durchgeführte wissenschaftliche Untersuchungen im Vorfeld der Ausstellung belegen, wie außergewöhnlich lang der Künstler um die Komposition des Werkes gerungen hat und daß er sich in diesem Prozeß immer stärker an den Alten Meistern orientierte. Dix habe hier alle Register der Maltechnik gezogen und expressionistische Elemente mit altmeisterlichen Mitteln gekoppelt, sagt Werkstattleiterin Marlies Giebe.

Im Albertinum wird das in der Gegenüberstellung mit einer frühen Kopie nach Matthias Grünewald und Werken von Albrecht Dürer und Francisco de Goya belegt. Präsentiert werden auch Vorstudien und Entwürfe zum Triptychon sowie an der Front entstandene Zeichnungen und Gouachen, die mit neu gewonnenen Erkenntnissen zu seinem Kriegseinsatz kommentiert werden. Eine aus 50 Blättern bestehende Graphik-Mappe „Der Krieg“ von 1924 ergänzt die Schau, die auch zeitgenössische Plakate, Feldpostkarten, Fotos und Dokumente umfaßt.

Kein anderer Künstler habe sich intensiver und nachdrücklicher mit dem Ersten Weltkrieg auseinandergesetzt, sagt Hartwig Fischer, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Dix selbst hat rückblickend einmal gesagt: „Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen. Man muß den Menschen in diesem entfesselten Zustand gesehen haben, um etwas über den Menschen zu wissen.“

In Dresden ist dieses Hauptwerk von Otto Dix seit 1946 zu sehen. Der Künstler, während des Nationalsozialismus als „entartet“ aus den Museen entfernt, galt den DDR-Kunstwissenschaftlern als wichtiger Vorläufer des sozialistischen Realismus. Als Dix 1967 den Leihvertrag für das Kriegstriptychon kündigte, setzten die Dresdner Museumsdirektoren alles daran, dem Künstler die für dieses Werk verlangten 500.000 D-Mark zahlen zu können. Kein leichtes Unterfangen, in der devisenarmen DDR. Kulturfunktionäre in Berlin stimmten dem Ansinnen zu, beschieden die Dresdner Sammlungen aber, daß diese die benötigten Devisen durch den Verkauf anderer Kunstwerke selbst aufbringen müßten. Diese trennten sich schließlich von Dubletten, aber auch von einem Prunkrapier aus der kurfürstlichen Rüstkammer, was nach Bekanntwerden in Westeuropa heftig diskutiert wurde.

Die Ausstellung „Otto Dix. Der Krieg – Das Dresdner Triptychon“ ist bis zum 13. Juli in der Galerie Neue Meister Albertinum, Georg-Treu-Platz, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen.

www.skd.museum/de

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