© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Patriotismus und WM
Freude an der eigenen Nation
Dieter Stein

Fußball hat mich noch nie interessiert. Einen eigenen Fernseher hatten wir erst 1975, da war ich acht Jahre alt. Es wurden Winnetou-Filme, „Michel aus Lönneberga“ oder die „Waltons“ geschaut – doch kein Fußball. Beim Schulsport blieb ich beim Wählen der Mannschaftsmitglieder immer als einer der letzten übrig. Ich habe keine Ahnung von der Bundesliga, weiß nicht, was der Unterschied zwischen „Meister“ und „Pokalsieger“ ist. Das erste Länderspiel habe ich wohl anläßlich der EM 1988 auf einem Campingplatz im südfranzösischen Saintes-Maries-de-la-Mer gesehen, wohin ich mit zwei Klassenkameraden nach dem bestandenen Abitur gefahren war.

Vor allem: Bis zur Wiedervereinigung 1990 gab es ja eigentlich nicht eine deutsche Mannschaft, sondern zwei. Wie sollte ich „Deutschland“ begeistert anfeuern, wenn die „Nationalelf“ unter Teamchef Franz Beckenbauer auflief, obwohl es auch noch eine Mannschaft aus der DDR gab?

Spätestens seit dem legendären „Sommermärchen“ anläßlich der 2006 in Deutschland ausgetragenen Fußball-WM gehen die Uhren in Sachen Patriotismus in Deutschland anders. Viele Bedenkenträger waren geschockt, als das Land sich in ein fröhliches schwarzrotgoldenes Fahnenmeer verwandelte und Kindergärtnerinnen, ohne von grünwählenden Müttern gerüffelt zu werden, schon Krabbelkinder mit den deutschen Farben bemalten.

Dieser Überschwang läßt sich wohl nicht wiederholen, aber dennoch ist das Besondere an den zu Fußball-Europa- oder Weltmeisterschaften auftretenden nationalen Gefühlsregungen der Deutschen, daß diese eben an keinem anderen Tag im Jahr sonst abgerufen werden. Wir zelebrieren im Gegensatz zu den anderen 192 Mitgliedsstaaten der UNO am Nationalfeiertag Mollton und heruntergezogene Mundwinkel. Die Freude an der Verwirklichung eigener Freiheit und Einheit, gar der historischen Herausbildung eines deutschen Volkes und einer Nation – das verbieten wir uns gerne mit der von Claudia Roth perfektionierten, sorgenvoll gerunzelten Stirn.

Einen Tag bevor sich der Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni jährt, wird im brasilianischen Salvador da Bahia das erste Vorrundenspiel der deutschen Nationalelf angepfiffen. Der Aufstand, der 1953 die gesamte DDR erfaßte und vom kommunistischen Regime mit Hilfe russischer Panzer niedergewalzt werden konnte, legte den Keim für die friedliche Revolution von 1989, deren Erfüllung wir mit dem Mauerfall vom 9. November dieses Jahr zum 25. Mal – hoffentlich begeistert – feiern. Wenn wir jetzt die deutsche Flagge schwenken, vor dem Anpfiff die Nationalhymne singen, vergessen wir nicht, daß dies nicht die Farben des Fußballs, sondern der deutschen Freiheit sind.

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