© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

„Wahrheiten ausgeblendet“
Kriminalitätsstatistik: Immer mehr Wohnungseinbrüche als Preis der EU-Erweiterung
Christian Vollradt

In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland um vierzig Prozent gestiegen (siehe Seite 5). Hat dies auch etwas mit dem Wegfall der Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien seit Dezember 2007 zu tun? Fragen dazu an den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft in Berlin, Bodo Pfalzgraf.

Herr Pfalzgraf, warum ist die Zahl der Einbrüche so hoch?

Pfalzgraf: Wir haben reisende Straftäter und Banden aus ganz Europa, die bei uns Straftaten begehen. Wenn die EU sich erweitert, dann führt das eben auch zu einer Erweiterung der Kriminalität. Natürlich haben Armut und Kriminalität etwas miteinander zu tun. Wenn ärmere Länder in die EU kommen, finden auch deren Kriminelle den Weg zu uns.

Die Bandenkriminalität scheint für Sie also das Hauptproblem darzustellen?

Pfalzgraf: Das ist je nach Region in Deutschland unterschiedlich. Wir haben in den Ballungsräumen ein doppeltes Problem. Wo soziale Brennpunkte sind, kommt alles zusammen. Da leben in der Regel die meisten Drogenabhängigen, und dort ist es besonders attraktiv für Banden, weil in der städtischen Anonymität Straftaten leichter begangen werden können als in ländlichen Gebieten mit einer hohen sozialen Kontrolle. Das hat erst einmal nichts mit ausländischen Tatverdächtigen zu tun.

Dennoch haben Sie die EU-Osterweiterung als einen der Gründe für den Anstieg genannt.

Pfalzgraf: Ja natürlich. Wir verzeichnen seitdem eine deutliche Zunahme von reisenden Tätern – nicht nur bei Wohnungseinbrüchen, sondern auch bei Delikten wie Taschendiebstahl oder Betrug. Als Berliner fokussieren wir immer auf die Ostgrenze, allerdings gibt es reisende Banden auch an der Westgrenze im Rheinland etwa.

Können Sie sagen, aus welchen Ländern diese Banden in erster Linie kommen?

Pfalzgraf: An vorderer Stelle haben wir in diesem Bereich stets Täter aus Litauen, Bulgarien, Rumänien und Polen.

Woher kommen dann die Tatverdächtigen, die vorrangig in westdeutschen Grenzregionen aufgegriffen werden? Das sind doch dann wohl keine Bulgaren, Rumänen oder Litauer?

Pfalzgraf: Doch. Wir haben durchaus zum Beispiel im Rheinland eine entsprechende „Community“. Bundesweit gehen die Menschen – das sieht man etwa an diesen sogenannten „Roma-Häusern“ in Duisburg – dorthin, wo andere Angehörige bereits Wurzeln geschlagen haben. Das Problem der Grenzregion sowie der Autobahnnähe hat immer damit zu tun, daß dort häufig für die Polizei Verfolgungshindernisse oder gute Fluchtwege bestehen. Auch wenn die Zusammenarbeit unter den europäischen Sicherheitskräften besser geworden ist, haben wir es ungleich schwerer, einen Täter zu verfolgen, wenn er über die Grenze entwischt ist. Diese Zuständigkeitswechsel machen sich die Banden zunutze.

Lassen sich regionale Schwerpunkte festmachen, die stärker als andere in Deutschland betroffen sind?

Pfalzgraf: Man kann schon feststellen, daß die Ostgrenze der Bundesrepublik mit den Nachbarländern Polen, Tschechien besonders betroffen ist. Gut zu erkennen ist das in Sachsen oder in Brandenburg, wo aufgrund politisch motivierter Polizeireformen ganze Landstriche quasi „entpolizeilicht“ wurden.

Sie wollen also damit sagen: es kommen politische Fehlentscheidungen dazu?

Pfalzgraf: Ja natürlich! Gerade in Flächenländern wirken sich Polizeistruktur-Entscheidungen immer auf die Sicherheitslage aus. Wenn da jede zweite Wache dichtgemacht und die Zahl der Streifenwagen ausgedünnt wurde, gibt es entsprechende Sicherheitslücken. Wir haben in den vergangenen Jahren im Osten der Republik insgesamt rund 10.000 Polizisten weniger, weil Planstellen eingespart wurden.

Ihr Bundesvorsitzender und Kollege Rainer Wendt sprach von Deutschland als einer „Oase für Wohnungseinbrecher“.

Pfalzgraf: Man muß die Dinge eben manchmal pointiert aussprechen! Aber im Ernst: Wir haben in Deutschland einen hohen Lebensstandard; da gibt es überall etwas Lohnenswertes zu klauen. Und die Polizei kann bereits am Täterverhalten, also an der Vorgehensweise, ablesen, wo diese Täter herkommen. In Berlin tauchen Phänomene wieder auf, die hierzulande völlig aus der Mode gekommen waren. Das Riegel-Ziehen zum Beispiel, das nur noch in Altbauten mit solchen altmodischen Flügeltüren funktioniert. Das machen vor allem Einbrecherbanden aus Südosteuropa.

Die Kritiker der EU-Osterweiterung hatten vor einem drohenden Anstieg der Kriminalität gewarnt. Haben die also recht gehabt?

Pfalzgraf: In puncto Kriminalitätsanstieg haben die Kritiker recht behalten. Wir haben davor ja auch gewarnt.

War die Osterweiterung aus sicherheitspolitischer Sicht ein Fehler?

Pfalzgraf: Nein. Sie war kein Fehler, sie wurde nur falsch angepackt.

Sind Sie enttäuscht, daß beim zehnjährigen Jubiläum der Osterweiterung die negativen Seiten der Medaille ausgespart blieben?

Pfalzgraf: Als Polizist mit seinen praktischen Erfahrungen ist man da schon konsterniert, wenn aus politischen Gründen unangenehme Wahrheiten ausgeblendet werden.

 

Bodo Pfalzgraf ist Polizeihauptkommissar und Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in Berlin.

www.dpolg-berlin.de

 

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