© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Autobahn und einfach weg
Kriminalität: Die Politik steht der wachsenden Zahl von Wohnungseinbrüchen hilflos gegenüber
Marcus Schmidt

Der Fluchtweg ist mehr als 12.500 Kilometer lang. Und er wird immer intensiver genutzt. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland um 3,7 Prozent auf den höchsten Stand seit 15 Jahren. Gegenüber 2008 zählten die Behörden sogar 40 Prozent mehr Delikte. In 149.000 Fällen verschafften sich die Täter 2013 gewaltsam Zutritt zu Häusern und Wohnungen – und verschwanden danach zumeist blitzschnell über die Autobahn. Der Schaden durch die Einbrüche belief sich auf 427 Millionen Euro (2012: 404 Millionen). Die Aufklärungsquote ist mit durchschnittlich 15,5 Prozent gering.

Die Täter werden immer aggressiver

Längst handelt es nicht mehr nur um „Gelegenheitseinbrüche“ oder klassische Beschaffungskriminalität von Drogenabhängigen. Hinter den Taten stehen immer häufiger länderübergreifend organisierte Banden aus Ost- und Südosteuropa. „Es handelt sich um einen neuen Typ von Einbrüchen“, berichtete der Vorsitzende der Innenministerkonferenz und nordrhein-westfälische Ressortchef, Ralf Jäger (SPD), in der vergangenen Woche bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik in Berlin. Die Täter seien schnell, mobil und gut vernetzt uns nutzten das gut ausgebaute Straßennetz. „Das ist die Kehrseite der von und gewollten europäischen Freizügigkeit“, räumte er ein. Dabei sind die Grenzregionen anders als bei anderen Delikten vom Anstieg der Wohnungseinbrüche deutlich weniger betroffen. Die Diebe schlagen zumeist in den Großstädten zu – dort, wo die Auswahl größer ist und Auswärtige nicht so schnell auffallen. Immer öfter kommen die Kriminellen dabei nicht mehr im Schutze der Nacht, sondern am hellichten Tage. Im vergangenen Jahr registrierten die Behörden 64.754 solcher Fälle (2012: 61.200).

Die Polizei ermittelte 2013 im Zusammenhang mit Wohnungseinbrüchen 17.703 Tatverdächtige – 5.497 von ihnen waren Ausländer. Bei den Dieben handelt es sich laut Jäger indes nur um die kleinen Fische. Diese gingen für Auftraggeber auf Diebestour, die zumeist in Bulgarien, Rumänien, aber auch in Weißrußland und der Ukraine säßen. Für die deutschen Sicherheitsbehörden sind die Drahtzieher damit nur schwer greifbar.

Die Reaktion der Politik auf die steigende Zahl der Verletzung der Privatsphäre der Bürger klingt denn auch einigermaßen hilflos und wenig überraschend. Die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern sollen in Zukunft noch umfassender zusammenarbeiten, kündigte Jäger an. Der Informationsausstausch müsse noch enger werden. „Wir Innenminister arbeiten daher an der Entwicklung eines bundesweit abgestimmten Konzeptes zur Bekämpfung mobiler Einbrecherbanden“, kündigte er zudem an. Auch de Maizière versicherte, eine intensive Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden sei ihm „ein besonders enges Anliegen“. Er blickt über die Grenzen: Das Thema sei zentraler Inhalt seiner Gespräche mit den Innenministern aus Frankreich, Polen, Tschechien und den Niederlanden.

In den Reihen der Polizei wird die Entwicklung dennoch mit großer Sorge gesehen. „Diebstahls- und Eigentumsdelikte treffen den Lebensnerv der Bürgerinnen und Bürger im Kern“, sagte der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow. „Wenn der Staat immer weniger in der Lage ist, Eigentum ausreichend zu schützen, und dabei gleichzeitig immer mehr auf die Schultern der Menschen lastet, setzt er seine Vertrauensbasis aufs Spiel“, warnte er. Auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) machte auf die Folgen der Wohnungseinbrüche für das Sicherheitsempfinden der Bürger aufmerksam. „Einige Opfer verspüren noch jahrelang nach einem Einbruch psychische Beeinträchtigungen oder ziehen sogar in eine andere Wohnung“, berichtete der BDK-Vorsitzende André Schulz. Daran, daß sich die Lage schnell entspannt, glaubt er nicht. Die hierfür notwendigen personellen und materiellen Ressourcen der Sicherheitsbehörden fehlten an allen Ecken und Enden. „Die demographische Entwicklung und die anstehenden Pensionierungswellen werden die Situation gerade bei der Kriminalpolizei bereits in naher Zukunft sogar noch deutlich verschärfen“, malte Schulz ein düsteres Bild. Er warnte zudem vor einer weiteren Verschärfung der Situation. Die oftmals sehr professionell auftretenden, „überörtlich agierenden Tätergruppen“ gingen bei ihren Einbrüchen mittlerweile zunehmend aggressiv zu Werke und nähmen die Gefahr in Kauf, auf Bewohner zu stoßen.

Kommentar Seite 2

Foto: Fluchtweg Autobahn: Die Täter nutzen das gut ausgebaute Straßennetz in Deutschland

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