© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Pankraz,
Oscar Wilde und die Macht der Klicks

Seit langem tobt der Kampf um die „knappe Ressource Aufmerksamkeit“(H. M. Enzensberger); außer dem Kampf um die Rohstoffe, um Öl, Gas und Seltene Erden, gibt es keinen erbitterteren, zäheren, gnadenloseren. Während aber Öl, Gas und Seltene Erden einfach „da“ sind und nur um ihren ersehnten Besitz gekämpft wird, geht es beim Kampf um die Aufmerksamkeit zunächst einmal darum, ob sie überhaupt eine ist, ob ihre jeweiligen „Inhalte“ sich nach irgendeiner Richtung hin lohnen, ob es also wirklich Ressourcen sind oder nicht vielmehr langweiliges Gerümpel.

In früheren Zeiten erzeugten meistens nur wichtige Sachen Aufmerksamkeit, einerlei ob es sich um gute oder schlechte Vorgänge, Angebote, Nachrichten handelte. Heute kann sich via Internet jede Nullität Aufmerksamkeit verschaffen. Es kommt einzig noch darauf an, ob es ihr gelingt, einen günstigen Platz in der Hierarchie der Klicks zu erlangen. Je häufiger eine Sache oder Person angeklickt wird, um so höher steigt der Aufmerksamkeitsgrad, den sie erfährt. Je mehr Klicks, um so mehr Besitz von Aufmerksamkeit.

Wer lange ganz oben auf der Klickliste eines populären digitalen Mediums steht, der hat es geschafft, dem winken Einkommen, Talkshowpräsenz, politischer Einfluß. Demzufolge gibt es schon Firmen, die für gutes Geld die „Klickhäufigkeit“, das Angeklicktwerden ihrer Kundeneinträge rein mechanisch vermehren, ohne Rücksicht darauf, ob reales Interesse besteht. Der Klick selbst wird zur Botschaft, die bloße Quantität siegt über die Qualität.

Natürlich sind die Listenbetreiber nicht damit einverstanden. Ihre Listen sollen nicht „künstlich verfälscht“ werden, und so denken sie sich allerlei Methoden aus, um nur noch „qualitative“ Klicks durchzulassen. Die Quantifizierungsfirmen ihrerseits entwickeln immer neue Tricks, um ihr Geschäft trotzdem stabil zu halten und weiter auszuweiten. Man spricht hinter vorgehaltener Hand auch schon über schlaue, gewinnbringende Verabredungen zwischen Klicklistenbetreibern und Quantifizierern. Höchste Summen sollen geflossen sein, um auf wichtigen Klicklisten den obersten Platz zu gewinnen.

Freilich, die Ankunft Edward Snowdens und die sich daraus entwickelnde weltweite NSA-Affäre haben das blühende Geschäft mit der Ressource Aufmerksamkeit mittlerweile in Verruf gebracht. Vielerorts geht es plötzlich nicht mehr um Einträge im Internet, sondern um die Löschung von Einträgen, damit keine Klicks auf gewisse Affären mehr möglich sind. Man sehnt sich plötzlich nicht mehr nach Aufmerksamkeit, sondern nach Nichtbeachtung von „persönlichen Daten“ und nach „Vergessen“ von Vorkommnissen und Tatbeständen, die bisher bekannt waren und angeklickt werden konnten. Eine Wende um 180 Grad?

Der Spruch des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wonach Google dazu verurteilt wurde, auf Kundenwunsch persönliche Einträge aus dem Netz zu nehmen und dem „Vergessen“ anheimzugeben, hat eine notwendige Debatte ausgelöst. Was heißt denn „persönliche Einträge“, so wird gefragt; einmal in der Öffentlichkeit, immer in der Öffentlichkeit – das ist der Preis, den das digitale Netzwerk seinen Benutzern abverlangt. Wer sich einst zum Angeklicktwerden drängte, sei es aus geschäftlichem Interesse, sei es aus Wichtigtuerei, kann solches Buhlen um Aufmerksamkeit später nicht mehr zurücknehmen.

Erstens macht die technische Struktur des Netzwerks ein totales Vergessen sowieso unmöglich. In irgendeiner elektronischen Ecke bleibt immer etwas hängen, man muß nur gründlich suchen. Zweitens spielt hier der berechtigte Anspruch auf die Genauigkeit der geschichtlichen Erinnerung herein. Zahlreiche Historiker sagen, daß der Spruch des EuGH ein frontaler Angriff auf die Breite und Exaktheit historischer Quellenlagen sei. Was einmal im Netz gespeichert wurde, das sei eine historische Quelle und mithin legitimer Forschungsgegenstand der Wissenschaft, der nicht vernichtet werden dürfe.

Man stelle sich nur vor, an der Stelle von Google stünde ein mächtiger Parteienstaat, der im Stile der alten Ägypter in bezug auf gewisse Widersacher nur allzu gern die damnatio memoriae betreiben würde, die Auslöschung seiner Widersacher in der Erinnerung der Völker. Dieser Parteienstaat könnte jetzt also völlig ungeniert zu Werke gehen, indem er sich ausdrücklich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Straßburg beriefe und sich dabei auch noch pompös als Wahrer des Datenschutzes aufspielte. Eine gräßliche, aber leider überaus berechtigte Vorstellung.

Kampf um die Ressource Aufmerksamkeit und persönlicher Datenschutz geraten sehr oft in Widerspruch zueinander, schließen sich in vielen Fällen sogar gegenseitig aus. Und wie man es auch macht, man macht es wahrscheinlich falsch. War es wirklich richtig gehandelt von jenem spanischen Google-Kläger, der es gerichtlich durchsetzte, daß gewisse bei Google gespeicherte Daten von ihm gelöscht wurden und nicht mehr angeklickt werden können? Der Mann wird seitdem laut El Pais von seiner Umgebung mit unbequemen, scharf insistierenden Fragen geradezu überschüttet, hat es sehr viel ungemütlicher als noch vor kurzem.

Was hast du da gelöscht, was hast du zu verbergen? Hast du etwa deine Frau geprügelt, und dein Algorithmus hat davon Wind bekommen? Hast du verbotene oder zumindest peinliche Fotos aus dem Internet heruntergeladen? Verkehrst du in Kreisen, in denen man als guter Bürger gewöhnlich nicht verkehrt? Bist du ein katalanischer Separatist oder ein antiislamischer Rassist? Aber vielleicht wolltest du nur Aufmerksamkeit auf dich ziehen, was dir ja bei deiner bisherigen Herumklickerei überhaupt nicht gelungen ist.

Gelöschte Beiträge gehören im medialen Zeitalter offenbar eher zur Ressource Aufmerksamkeit als ungelöschte, mögen diese auch noch so interessant und delikat gewesen sein. Schon Oscar Wilde wußte: „Nur Kunden, die nicht (mehr) bezahlen, bleiben dauerhaft in der Erinnerung der Verkäufer.“

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