© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Das weiße Gold weckt Begehrlichkeiten
Reizvolle Urlaubslektüre: In der Bretagne ermittelt Kommissar Dupin in seinem dritten Kriminalfall
Karlheinz Weissmann

Bannalec ist ein kleiner Ort in der Bretagne. Der Name bedeutet „Platz, wo der Ginster wächst“. Ein Bündel Ginster, so der bretonische Volksglaube, trägt so sicher bis ans Ende der Welt wie ein Bündel Birkenreisig. Ob das den Mann, der unter dem Namen Jean-Luc Bannalec schreibt, dazu bewogen hat, dieses Pseudonym zu wählen, ist nicht bekannt, sowenig wie seine Identität (obgleich das eine oder andere für Jörg Bong, den Programmgeschäftsführer des S. Fischer-Verlags, spricht).

Aber sicher spielt der bretonische Anklang eine wichtige Rolle. Denn die drei Romane, die Bannalec bisher veröffentlicht hat – „Bretonische Verhältnisse“, „Bretonische Brandung“ und ganz aktuell: „Bretonisches Gold“ – spielen alle in der Bretagne, und ihr Erfolg hat ganz wesentlich damit zu tun, daß der etwas kauzige, schwer koffeinabhängige und zwangsweise in die Provinz versetzte Commissaire Dupin hier ermittelt und als Pariser ebenso wie der deutsche Leser erst Stück für Stück begreift, welche fremdartige und zauberhafte Welt das alte Armorika ist.

Bannalec hat seit 2012 pünktlich jedes Frühjahr einen neuen Band der Dupin-Reihe vorgelegt. Das Konzept ist klassisch, neumodische Ermittlungsmethoden spielen sowenig eine Rolle wie Psychopathen, Serientäter oder allmächtige Verschwörer. Der Leser arbeitet detektivisch Seite an Seite mit dem Kommissar. Peu à peu lösen sich die Verwicklungen, ergeben die Mosaiksteine ein Bild, und zum Schluß siegen die Guten. Selbstverständlich gibt es Berührungen im Wesen Dupins mit Fred Vargas’ Kommissar Adamsberg, der bretonischen Bühne mit dem Bezugsrahmen Périgord von Martin Walkers Bruno, Chef de Police. Die zuletzt genannte Parallele erklärt ferner einiges von dem Erfolg Bannalecs, der sicher nicht zufällig in einer Region ermitteln läßt, die zu den Sehnsuchtszielen des deutschen Frankreich-Touristen gehört, mindestens so sehr wie das Périgord Walkers. Auch bei dem erfährt der Leser vieles über Land und Leute, einiges über die Geschichte und noch mehr über die kulinarischen Genüsse rund um Foie gras und die Weine des Bordeaux.

Bretonischer Widerstandsgeist

Bei Bannalec sind es vor allem die alten Mythen der Bretagne, die merkwürdige Versponnenheit und der harte Realitätssinn ihrer Bewohner, der von keinem Massenansturm zerstörbare Zauber des Morbihan, der Großsteingräber, der schönen alten Städte im Westen der Halbinsel und des Dupin-Dienstortes Concarneau mit der berühmten ville close, einem geschlossenen Festungsareal gegenüber dem Hafenkai. Und es geht selbstverständlich nicht nur um café noir und steak frites in Dupins Stammlokal „L’Amiral“, sondern um das, was das Meer dem Gaumen zu bieten hat und Dupins Liste der Lieblingsgerichte auf die Zahl 15 wachsen ließ, Seezunge und Loup de mer, Hummer und die Menge an Muscheln.

Die „Bretonisierung“ Dupins, der ursprünglich eher unwillig die Hauptstadt verließ, hat mit der „spécifité bretonne“, der „bretonischen Besonderheit“, dem Eigenwillen eines Gebietes zu tun, das seit der Vorzeit eine Ausnahmestellung besaß, Zentrum der megalithischen Kultur Alteuropas, heilige Wälder der Kelten, souverän bis ins Mittelalter, nur durch eine List in das größere Frankreich gelockt, aber mehr als einmal versucht, seine Unabhängigkeit, notfalls mit Gewalt, zurückzugewinnen.

Im ersten Fall Dupins tauchte sogar ein früheres Mitglied der ARB – der „Armée révolutionnaire bretonne“, einer nach dem Vorbild der IRA gebildeten „Revolutionären bretonischen Armee“ – auf, die bis in die 1970er Jahre Gewaltakte verübte, um eine selbständige Republik Bretagne zu schaffen.

Im jüngsten Band geht es immerhin um „Cola Breizh“, jenen bretonischen Softdrink, der 2002 im Protest gegen die Coca-Kolonisierung kreiert wurde und sich seither so außerordentlicher Beliebtheit erfreut, daß der große Konzern gezwungen war, etwas zu tun, was er sonst stets verweigert hat: eine Sonderform für einen regionalen Markt zu produzieren.

Im neuesten Fall Dupins steht allerdings das „Fleur de sel“ im Mittelpunkt. Die „Salzblume“ ist nach wie vor ein gefragtes Lebensmittel. Sie kommt nur unter bestimmten Bedingungen als hauchdünne Schicht über dem Salzwasser zustande, wenn Sonne und Wind günstig sind. Sie wird aufwendig gewonnen, unter Einsatz traditioneller Handarbeit, in den großen Salinen der Guérande. Dieses „weiße Gold“ kann zwar nicht mehr, wie im 16. und 17. Jahrhundert, den Wohlstand der Bretagne garantieren, aber es weckt doch Begehrlichkeiten. Also sieht sich Dupin gleich zu Beginn des Romans in eine wilde Schießerei am Rand eines Salzfeldes verwickelt, und dann nehmen die Dinge ihren Lauf. Es geht um geheimnisvolle blaue Fässer, die Geschäftsinteressen des großen Kapitals, wie immer um bretonischen Widerstandsgeist, die Verteidigung der Tradition, Liebe, Ehe und Betrug, und um Bakterien. Mehr sei aber nicht verraten.

Bewährte Muster kombiniert mit Fernweh

Der Erfolg der Dupin-Romane ist außergewöhnlich. Alle drei eroberten die Bestsellerlisten; nach Verlagsangaben sind von den ersten beiden Bänden mehr als 700.000 Exemplare verkauft worden. Mittlerweile gab es sogar eine Fernsehverfilmung, die die ARD unlängst ausstrahlte. Vielleicht hat das damit zu tun, daß der Verfasser, der sich hinter dem Pseudonym Bannalec verbirgt, die Mechanismen des Literaturmarkts sehr genau kennt und auch weiß, daß eine gewisse Stereotypie und Erwartbarkeit der Handlung der Resonanz gerade nicht schadet, sondern nutzt.

Ganz sicher spielt aber eine Rolle, daß hier gekonnt bewährte Muster mit ein wenig Fernweh kombiniert werden. Daß Dupin seine Untersuchungen stets kurz vor Beginn der Saison aufnimmt, ist jedenfalls kein Zufall. Denn was auch immer man gegen die Bücher Bannalecs einwenden mag, geeignete und zudem reizvolle Urlaubslektüre sind sie allemal.

Jean-Luc Bannalec: Bretonisches Gold. Kommissar Dupins dritter Fall. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, kartoniert, 353 Seiten, 14,99 Euro

Foto: Sturm in Pors-Loubous, dem kleinen Hafen von Plogoff in der Bretagne: Zentrum der megalithischen Kultur Alteuropas

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