© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Wiedereinführung der Wehrpflicht
Ineffektiv und unzeitgemäß
Stefan Blankertz

Die Bundeswehr ist nach Ansicht des frühren Generalinspekteurs Harald Kujat derzeit nicht in der Lage, ihren Auftrag der Landesverteidigung zu erfüllen. Deshalb fordert er in der Zeit vom 26. März 2014, die seit Juli 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wiedereinzuführen. Sollten etwa russische Truppen in die baltischen Staaten einmarschieren, „fehlen allein schon die Flugzeuge, um schweres Gerät rasch in die Krisenregion verlegen zu können“, sagte Kujat der Zeit.

In der Diskussion um die Wehrpflicht verbinden sich drei Ebenen: 1. Die Ebene der militärischen Effektivität: Es fragt sich, wie effektiv schlecht, schlampig und kurz ausgebildete, gegebenenfalls wenig motivierte Soldaten militärisch sind. Die Erfahrung in den USA während des Vietnamkriegs hat gezeigt, daß es in einer Wehrpflichtarmee zu Widerstand und häufigem Desertieren kommen kann. Dies war ein wichtiger Grund, die im Rahmen des Kalten Krieges 1948 eingeführte Wehrpflicht 1973 auszusetzen.

Zur Verteidigung von Leben und Freiheit, die einzigen ethisch zulässigen Gründe für den Einsatz von Waffengewalt ist der Einsatz von Zwang, den die Wehrpflicht unzweifelhaft darstellt, zumindest fragwürdig. Eine freiwillige Miliz wäre die bestgeeignete Form.

Für jemanden, der mehr Angst vor der Strategie kriegerischer „Verteidigung“ durch den eigenen Staat als vor feindlicher Aggression hat, ist der Aspekt, daß rein professionelle Armeen zu mehr Disziplin und zu weniger Verweigerung des Gehorsams in ethisch zweifelhaften Situationen neigen, ein dialektischer Grund für die Wehrpflicht; allerdings überwiegen in meinen Augen die negativen Auswirkungen der Wehrpflicht und ihr Verstoß gegen die Freiheit.

In der aktuellen Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland geht es sowieso nicht um Landesverteidigung im engeren Sinne, sondern um die Unterstützung der USA beziehungsweise Nato bei der Wahrnehmung ihrer vermeintlichen Aufgabe als Weltordnungsmacht im Rahmen der Strategie des „Perpetual war for perpetual peace“ (Harry Elmer Barnes; dt. etwa: Permanenter Krieg für permanenten Frieden). Nebenbei: Auf welche Weise die Wiedereinführung der Wehrpflicht der Bundeswehr genügend „Flugzeuge, um schweres Gerät rasch in die Krisenregion verlegen zu können“, verschaffen würde, bleibt wohl das Geheimnis des Generals a. D. ebenso wie die Antwort auf die Frage, inwiefern die deutschen Landesgrenzen im Baltikum zu verteidigen seien.

2. Die Ebene der Wirtschaftlichkeit: Betriebswirtschaftlich kalkuliert, könnte die Wehrpflicht die Ausgaben senken, weil geringerer Sold anfällt und weil Wehrerfassung und Musterung eventuell weniger kosten als die Anwerbung von Berufssoldaten. Volkswirtschaftlich ist jedoch auch der Ausfall von Erwerbsarbeit beziehungsweise die Verzögerung der Ausbildung auf der Seite der Wehrpflichtigen zu berücksichtigen, und wahrscheinlich fällt die Gesamtrechnung zugunsten der Freiwilligkeit aus. Doch gerade wenn eine Wehrpflicht sich wirtschaftlich „rechnet“, macht das deutlich: Die Verteidigungskosten sollen nicht nur von denen getragen werden, die dazu bereit sind, sondern auch von solchen Menschen, die es nicht wollen. Damit entsteht ein Verhältnis von Ausbeutung; es widerspricht der Freiheit, die angeblich verteidigt werden soll. Noch deutlicher wird dieser Aspekt bei dem Argument, das Meinungsforschern zufolge in Österreich bei der Volksbefragung vom Januar 2013 ausschlaggebend war für die Mehrheit pro Beibehaltung der Wehrpflicht: Da mit der Wehrpflicht auch der Zivildienst wegfällt, würden diese schlecht bezahlten Arbeitskräfte in den sozialen Einrichtungen fehlen. Das Argument zeigt, daß Arbeitskräfte für Dienstleistungen gewünscht werden, die nicht marktgerecht entlohnt werden sollen. Gibt es dafür ein anderes Wort als Ausbeutung? Andererseits: Eine Wehrpflicht ohne die Option zum Zivildienst für Pazifisten ist eine für eine freiheitliche Gesellschaft unerträgliche Negierung der Gewissensfreiheit.

3. Die Ebene der politischen Ethik: Welchen gesellschaftlichen Werten ist welche Form militärischer Organisation angemessen? Wenn es sich um die Verteidigung des Lebens und der Freiheit handelt, ist der Einsatz von Zwang, den die Wehrpflicht unzweifelhaft darstellt, zumindest fragwürdig.

Fazit: Zur Verteidigung von Leben und Freiheit – die einzigen in meiner Sicht ethisch zulässigen Gründe für den Einsatz von Waffengewalt – wäre eine freiwillige Miliz (also nicht Berufsarmee) die bestgeeignete Form.

 

Dr. Stefan Blankertz, Jahrgang 1956, ist Soziologie und habilitierte in Erziehungswissenschaften. Er veröffentlicht regelmäßig in der Zeitschrift Eigentümlich frei, zu deren Redaktionsbeirat er gehört. Blankertz lebt als freier Schriftsteller in Berlin. www.stefanblankertz.de

Fotos: Gelöbnis von freiwillig wehrdienstleistenden Soldaten vor dem Kyffhäuserdenkmal am Donnerstag in Bad Frankenhausen am 5. Mai 2011 : Da der Aussetzung der Wehrpflicht keine schlüssige sicherheitspolitische Analyse vorausging, sollte weiteres Nachdenken nicht tabu sein

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