© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Knapp daneben
Höchstrichterlicher Spam
Karl Heinzen

Suchmaschinen dürfen, so hat der Europäische Gerichtshof entschieden, nicht einfach jedes Ergebnis ausweisen, das sie im Internet auffischen. Die Bürger der EU-Staaten haben vielmehr einen Anspruch darauf, daß Links, die ihre sogenannten Persönlichkeitsrechte verletzen, unterbleiben. Nun bricht ein Tsunami über Google herein.

Zehntausende Europäer haben spontan den Wunsch angemeldet, daß Such- ergebnisse, die Unerfreuliches über sie preisgeben, in Zukunft zu löschen sind. Eine weitaus größere Zahl steht vermutlich in den Startlöchern. Wie der Konzern all die Anfragen bewältigen will, bleibt sein Geheimnis, zumal er angeblich in jedem Einzelfall prüfen möchte, ob nicht doch ein „öffentliches Interesse“ daran besteht, daß sich jedermann auch über die Schattenseiten einer Biographie ungehindert informieren kann. Langwierige Auseinandersetzungen zwischen Google und Mitmenschen, die ihre Leichen im Keller versteckt halten wollen, zeichnen sich ab.

Demokratie heißt, daß jeder Bürger eine Person des öffentlichen Lebens ist und im Rampenlicht steht.

Der honorige Beirat, den man in Streitfällen einschalten will, dürfte kaum noch eine Atempause einlegen können. Die diabolische Strategie der Luxemburger Richter geht damit auf. In jeder Gesellschaft gibt es einen Bodensatz von notorischen Querulanten. Sie drangsalieren Nachbarn, Falschparker und spielende Kinder. In Geschäften und Gaststätten demütigen sie das Personal, wenn es nicht gleich spurt, und mit ihren kleinkarierten Beschwerden legen sie Behörden und Serviceabteilungen von Unternehmen lahm. Nun sind sie höchstrichterlich auf Google losgelassen.

Der Konzern hat in dieser Auseinandersetzung die historische Mission zu erfüllen, den technischen Fortschritt gegen rückständiges Denken zu behaupten. In einer vernetzten Welt kann es keine Privatsphäre geben, in deren Namen ein „Recht auf Vergessen“ eingefordert wird. Alle sind für sich selbst verantwortlich und haben es stets in der Hand, nur das zu tun, woran sie später gerne erinnert werden. Demokratie heißt, daß jeder Bürger eine Person des öffentlichen Lebens ist und im Rampenlicht steht. Wer unbescholten ist, braucht davor keine Scheu zu haben.

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