© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

Ein lauschiges Plätzchen
Geheimdienste: Vor einem Jahr löste Edward Snowden die NSA-Affäre aus / Die politische und juristische Aufklärung steht noch am Anfang
Marcus Schmidt

Hätte es noch eines Beweises bedurft, daß Deutschland auf der Landkarte des amerikanischen Geheimdienstes NSA einen ganz besonderen Platz einnimmt, so haben die von Edward Snowden beiseite geschafften Dokumente diesen geliefert. Der Spiegel, der in Deutschland den exklusiven Zugang zu den von Snowden an eine internationale Journalistengruppe übergebenen Dokumente hat, sorgte am Wochenende mit der Meldung für Aufsehen, daß die Vereinigten Staaten in Deutschland ausgespähte Informationen für die Tötung von Terrorverdächtigen genutzt haben.

Die zielgenau zum ersten Jahrestag des Beginns der NSA-Affäre plazierte Nachricht dürfte der Diskussion hierzulande neuen Auftrieb geben. Denn nach der ersten Empörung im vergangenen Sommer war es schnell wieder ziemlich ruhig geworden. Viele Bürger sind bei der Nutzung des Internets und ihrer Mobiltelefone wieder zur Tagesordnung übergegangen. Der Anteil derer, die ihre Mails seit Bekanntwerden der Ausmaße der Internetüberwachung durch die Geheimdienste nur noch verschlüsselt versenden, ist verschwindend gering und auch Handys werden unbekümmert wie eh und je verwendet.

Auch die Aufarbeitung ist bislang kaum vom Fleck gekommen. Erst seit Anfang April bemüht sich ein Untersuchungsausschuß des Bundestages darum, zu greifbaren Ergebnissen zu kommen. Die juristische Aufklärung steht ebenfalls noch am Anfang. Nach monatelanger Prüfung verkündete Generalbundesanwalt Harald Range Anfang Juni, er werde wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit im Zusammenhang mit der möglichen Ausspähung eines Mobiltelefons der Bundeskanzlerin gegen Unbekannt ermitteln. Dagegen werde die „mögliche massenhafte Erhebung von Telekomunikationdaten der Bevölkerung “ zunächst weiter beobachtet.

Zur Erinnerung: Im Juni vergangenen Jahres hatte sich der frühere amerikanische Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der auf Hawaii für einen privaten Dienstleister im Auftrag der NSA tätig war, nach Hongkong abgesetzt. Im Gepäck: Tausende Dateien aus den Computernetzwerken der NSA. Die Dokumente belegen, in welchem Ausmaß der amerikanische Geheimdienst die weltweite Kommunikation überwacht. Nicht nur bei Snowden hinterließen die Dokumente den Eindruck, daß die Sammelwut der NSA mittlerweile vollkommen außer Kontrolle geraten ist.

Längst verhandelt Snowden über seine Rückkehr

Die Enthüllungen des durch seinen Datenklau zum Staatsfeind avancierten Snowdens, der nach einem wochenlangen Aufenthalt im Transitbereich des Moskauer Flughafens seit Sommer Asyl in Moskau genießt, stießen in Deutschland schnell auf ganz besonderes Interesse. Denn aus den Unterlagen geht hervor, daß die Vereinigten Staaten ihren engen Verbündeten als ganz besonders lohnendes Zielobjekt betrachten.

Nicht nur nahezu der komplette deutsche Internetverkehr werde von der NSA mitgelesen; vom Dach der amerikanischen Botschaft in Berlin aus belauschten die amerikanischen Agenten mutmaßlich die Handygespräche deutscher Politiker und Journalisten – einschließlich derjenigen von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Spätestens nach dieser Enthüllung, die vom mittlerweile pensionierten NSA-Chef Keith Alexander indirekt bestätigt wurde, war aus der Geheimdienstaffäre eine diplomatische Krise geworden. Die Aufregung in Berlin und in den Medien war groß, zwischen der deutschen Hauptstadt und Washington glühten die Telefondrähte, und es setzte eine hektische Reisediplomatie ein.

Doch Ergebnisse dieses Aktionismus ließen auf sich warten. Die zahlreichen Fragen, die von der Bundesregierung an die amerikanischen Behörden übermittelt wurden, blieben zumeist unbeantwortet. Von einem „No-Spy-Abkommen“ mit den Vereinigten Staaten, durch das Berlin hoffte, aus dem Fadenkreuz der amerikanischen Geheimdienste zu kommen, ist längst schon keine Rede mehr. Spektakulärer Höhepunkt der deutschen Hilflosigkeit war der Besuch von Hans-Christian Ströbele in Moskau. Im Gefolge des früheren Spiegel-Chefredakteurs Georg Mascolo war der Grünen-Politiker unter konspirativen Bedingungen zu Edward Snowden vorgelassen worden, der in einem Komplex des russischen Geheimdienstes FSB untergebracht sein soll. Ströbeles Ausbeute, die er nach seiner Rückkehr in Berlin medienwirksam vor der Bundespressekonferenz präsentierte, war äußerst dünn. Neben der Forderung, Snowden in Deutschland Asyl zu gewähren, brachte er aus Moskau ein von Snowden und Ströbele unterzeichnetes Dokument mit, in dem der frühere NSA-Dienstleister seine Mitarbeit an der Aufklärung der Ausspähaffäre anbot.

Auch deshalb drehte und dreht sich alles um Snowden, gerade im Untersuchungsausschuß. Dessen ursprünglicher Vorsitzender Clemens Binninger (CDU) warf schon vor der ersten öffentlichen Sitzung des Gremiums im Streit über eine Zeugenladung der Symbolfigur Snowden entnervt das Handtuch. Unter seinem Nachfolger Patrick Sensburg (CDU) einigten sich die Parlamentarier, zu denen als stellvertretendes Mitglied auch Ströbele gehört, zwar darauf, Snowden zu befragen – doch wann und vor allem wo das geschehen soll, ist immer noch ungewiß. Nur soviel scheint klar: In Deutschland wird die Vernehmung auf keinen Fall stattfinden.

Längst wird in Berlin bezweifelt, daß Snowden überhaupt (noch) wie von Ströbele gefordert, Asyl in Deutschland will. Kürzlich wurde bekannt, daß die amerikanischen Anwälte des Whistleblowers mit den Behörden über die Bedingungen für dessen Rückkehr in die Vereinigten Staaten verhandeln.

Dazu passen Interview-Äußerungen des amerikanischen Geheimdienstkoordinators James Clapper, der den von Snowden verursachten Schaden jüngst herunterspielte. Es sehe so aus, als habe „Snowden nicht so viel entwendet“ wie anfangs gedacht, sagte er der Washington Post. „Wir ermitteln noch, aber wir glauben, daß er vieles von dem, worauf er ein Auge hatte, nicht herunterziehen konnte.“ Auch vom Vorwurf des Landesverrates, oder daß durch Snowdens Handeln Amerikaner zu Schaden gekommen seien, ist in Washington plötzlich nicht mehr die Rede. Gleichzeitig ließ der Ex-Geheimdienstmitarbeiter verlauten, er habe als Patriot gehandelt, um auf Mißstände hinzuweisen. Es sei nie seine Absicht gewesen, Leben in Gefahr zu bringen.

Schon ist die Rede von einem Deal Snowdens mit den amerikanischen Behörden. Demnach könnte er bei seiner Rückkehr in die Heimat zu maximal 30 Jahren Haft verurteilt werden – mit der Zusage, bereits nach spätestens sechs Jahren wieder entlassen zu werden. Für den jungen Mann könnte dies ein bedenkenswerter Ausweg aus seiner derzeitigen Lage sein. Wie lange er sich weiterhin in Moskau aufhalten kann, ist mehr als unsicher. Bei seiner Entscheidung über seine Zukunft wird er auch das Schicksal des Gründers der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Asange, vor Augen haben. Dieser sitzt seit Juni 2012 in der Botschaft Ecuadors in London fest.

Längst noch nicht ausgestanden sein dürfte die Affäre auch für die deutschen Geheimdienste. Waren der BND und der Verfassungsschutz zunächst mit der Frage konfrontiert worden, warum sie die massenhafte Ausspähung deutscher Staatsbürger und der Kanzlerin nicht verhindert haben, stellt sich nun mehr und mehr die Frage nach einer möglichen Beteiligung. Denn während die deutschen Dienste in der Öffentlichkeit häufig im Ruf stehen, bestenfalls zweitklassig zu sein, wird das international offenbar anders gesehen. In einem von Snowdens Dokumenten bescheinigt der britische Geheimdienst GCHQ, der insbesondere bei der Überwachung des Internets eng mit der NSA zusammenarbeitet, dem BND, beim Abgreifen von Informationen aus Glasfaserkabeln technisch vorn zu liegen, schreiben die Spiegel-Autoren Marcel Rosenbach und Holger Stark in ihrem Standardwerk „Der NSA-Komplex“. Der BND habe „riesige technische Möglichkeiten und einen guten Zugang zum Herz des Internets“, zitieren die Journalisten aus dem Dokument.

Und auch die jüngsten Veröffentlichungen deuten darauf hin, daß die Zusammenarbeit der deutschen Dienste mit den Amerikanern wesentlich enger sein könnte als bislang bekannt. So belegen Dokumente aus dem Fundus Snowdens laut Spiegel, daß NSA und BND die Modalitäten für die Überwachung deutscher Bürger sogar schriftlich festgelegt haben.

Der BND dürfte daher schon bald verstärkt in den Fokus des Untersuchungsausschusses geraten. Auch aus einem ganz praktischen Grund: Während das Gremium in der von Snowden ausgelösten Späh-Affäre bislang nicht auf die Originaldokumente zugreifen kann, sondern von Presseveröffentlichungen abhängig ist, können die Parlamentarier die Akten des BND direkt anfordern.

Der Ausschußvorsitzende Sensburg (CDU) hofft unterdessen, daß das Gremium über die eigentliche Aufklärungsarbeit hinaus auch einen Mehrwert für die Bürger bringen wird. Er würde sich wünschen, wenn der Ausschuß nicht nur zu einer Sensibilisierung der Bürger im Umgang mit ihren Daten führe, sondern auch technische Verbesserungen anstoßen würde, hatte er zum Auftakt gesagt. Wenn am Ende ein Qualitätssiegel „Security made in Germany“ abhörsichere Kommunikation garantieren würde, wäre dies zumindest ein greifbarer Erfolg.

 

National Security Agency

Die National Security Agency (NSA) ist mit rund 40.000 Mitarbeitern der größte Geheimdienst der Vereinigten Staaten. Zudem arbeiten zahlreiche Privatfirmen für die in Fort Meade im Bundesstaat Maryland beheimatete Behörde, die mehrere Zweigstellen im In- und Ausland unterhält. Auch in Deutschland ist die 1952 gegründete NSA mit mindestens 200 Agenten aktiv. Eine enge Zusammenarbeit besteht mit den Diensten der „Five-Eyes-Allianz“, der neben den Vereinigten Staaten auch Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien angehören.

Während der Geheimdienst in Zeiten des Kalten Krieges vor allem für das Abhören des Funkverkehrs zuständig war, liegt der Schwerpunkt mittlerweile auf der Überwachung der elektronischen Kommunikation einschließlich des Internets. Die NSA verfügte im vergangenen Jahr über einen Etat von insgesamt 10,8 Milliarden Dollar.

 

Chronik der NSA-Affäre

1. Juni 2013

Edward Snowden trifft sich in Hongkong erstmals mit den amerikanischen Journalisten Glenn Greenwald und Laura Poitras

6. Juni

Der britische Guardian veröffentlicht den ersten Artikel auf Grundlage der Dokumente Snowdens und löst damit die NSA-Affäre aus.

9. Juni

Edward Snowden gibt sich in einem Interview als Quelle für die Berichte über die Praktiken des amerikanischen Geheimdienstes zu erkennen.

23. Juni

Snowden fliegt von Hongkong nach Moskau.

1. August

Rußland gewährt Snowden befristetes Asyl für zunächst ein Jahr.

12. August

Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) erklärt in Berlin die NSA-Affäre für beendet.

17. Oktober

Die Bundesregierung erfährt erstmals von dem Verdacht, die NSA habe das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört.

23. Oktober

Merkel beschwert sich in einem Telefonat mit Barack Obama darüber, daß sie abgehört worden ist.

4. Juni

Hans-Christian Ströbele (Grüne) besucht Snowden in seinem Versteck in Moskau

26. Januar 2014

In einem ARD-Interview berichtet Snowden, daß die NSA auch Wirtschaftsspionage betreibe.

4. Februar

Die Süddeutsche Zeitung berichtet, daß auch der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) von der NSA abgehört wurde.

20. März

Der Deutsche Bundestag setzt mit den Stimmen aller Fraktionen einen Untersuchungsausschuß zur NSA-Affäre ein.

4. Juni

Generalbundesanwalt Harald Range leitet Ermittlungen gegen „Unbekannt“ wegen der Ausspähung des Handys der Bundeskanzlerin ein.

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