© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

Ticktack, ticktack, ticktack
Handwerkskunst: Deutschlands Uhrmacher zählen zu den besten der Welt / Eine Rundreise durch die Republik
Michael Brückner

Wer das Besondere wünscht, muß mitunter schon mal etwas länger suchen. Das sachsen-anhaltinische Städtchen Kalbe in der Altmark liegt zwar mitten in Deutschland, ist aber dennoch etwas abgelegen. Ohne Navi im Auto kann niemand die mechanischen „Leckerbissen“ orten, die Dirk Dornblüth serviert. Seit vielen Jahren engagierter Uhrmachermeister, hat der Unternehmer längst den Beweis angetreten, daß außergewöhnliche Zeitmesser „Made in Germany“ nicht zwangsläufig aus Sachsen kommen müssen.

Unkonventionell, fast schon ein wenig hemdsärmelig, startete Dornblüth, dessen Vater Dieter vor über 50 Jahren in Kalbe ein Uhrmachergeschäft gegründet hatte, in das unternehmerische Abenteuer: „Businesspläne, die uns genau vorschreiben, welchen Umsatz wir machen müssen? Damit haben wir uns erst gar nicht beschäftigt“, erinnert sich der Uhrmachermeister an die Gründungsjahre. Schulden kamen für Vater und Sohn Dornblüth schon gar nicht in Betracht.

„Statt geliehenem Geld investierten wir Leidenschaft für die Uhrmacherei und viel Improvisationstalent in das kleine Familienunternehmen D. Dornblüth & Sohn.“ Wer sich in der Werkstatt umschaut, entdeckt hier und da noch Fräs-, Dreh- und Graviermaschinen, die 20 Jahre und älter sind. „Mit diesen Maschinen wurden lange Zeit hervorragende Uhren hergestellt. Warum soll das heute nicht mehr möglich sein?“ fragt Dirk Dornblüth mit leuchtenden Augen.

Ihre klassischen Zeitmesser ohne jeden „Schnörkel“ verkauft die kleine Manufaktur aus Sachsen-Anhalt mittlerweile sogar ins ferne Ausland. Zum 50jährigen Jubiläum des väterlichen Uhrmachergeschäfts brachten Dornblüths ein hauseigenes Uhrwerk mit den klassischen Malteserkreuz-Mechanismen für besonders präzisen Gang auf den Markt.

D. Dornblüth steht beispielhaft für den vielbeachteten Erfolg deutscher Uhrenhersteller. Sie setzen damit eine lange und nur vorübergehend durch den Boom günstiger Quarzuhren unterbrochene Tradition fort. Die Firma Junghans aus Schramberg im Schwarzwald etwa war früher der größte Uhrenhersteller der Welt. Der Niedergang begann, als sie in einen Konzern eingegliedert wurde. Am Ende stand die Insolvenz. Junghans überlebte und ist nun wieder ein Familienunternehmen mit mittelständischen Strukturen und guten Verkaufserfolgen.

Das sächsische Städtchen Glashütte an der Müglitz wiederum ist ein geschichtlich gewachsener Standort der Uhrenproduktion (JF 12/11). Doch der „real existierende Sozialismus“ der DDR ruinierte auch diese traditionsreiche und international geschätzte Branche. Heute gilt Glashütte als das „Silicon Valley“ der Uhren, wo große Luxusmarken wie A. Lange & Söhne oder Glashütte Original ebenso zu Hause sind wie die innovative Kultmarke Nomos. Doch nicht nur dieses sächsische „Uhren-Cluster“ versteht es, hochwertige Zeitmesser herzustellen. Die deutschen Manufakturen verteilen sich über das gesamte Bundesgebiet – von Saarbrücken bis Berlin, von Hamburg bis Lörrach.

Zu den Legenden unter den deutschen Uhrenherstellern gehört ohne Frage der inzwischen 97jährige Helmut Sinn. Er war Kampfflieger im Zweiten Weltkrieg, später Kunstfluglehrer und Luftfahrtsachverständiger, begeisterter Rennfahrer und Unternehmer. Seine Firma – Sinn Spezialuhren in Frankfurt am Main – hat er 1994 an einen ehemaligen Mitarbeiter verkauft. Zwei Jahre später gründete Sinn als „Deutschlands ältester Jungunternehmer“, wie ihn die Presse gerne feiert, die Firma Jubilar Uhren. Im Jahr zuvor hatte er bereits das in der Schweiz gegründete Traditionsunternehmen Guinand Watch Co. übernommen. „Altmeister Helmut“, so nennen ihn seine Fans, kennt die Branche wie seine Westentasche. Und natürlich auch manche Tricks und Schwächen der Mitbewerber, die für vergleichsweise einfache Zeitmesser den Kunden viel Geld aus der Tasche ziehen wollen. „Die Uhren und die Lebberworscht, die sind weitgehend unerforscht“, amüsiert sich der 97jährige.

Auf eine bewegte Geschichte blickt auch das Pforzheimer Unternehmen Laco – kurz für Lacher & Co. – zurück. Das Unternehmen galt früher als einer der führenden Hersteller von robusten Militäruhren. Zusammen mit A. Lange & Söhne, Wempe, Stowa und IWC war Laco im Zweiten Weltkrieg offizieller Lieferant von Beobachtungsuhren für die Wehrmacht. In den 1950er Jahren machten Laco und der dazugehörende Werkehersteller Durowe unter anderem mit magnetfeldgeschützten Automatikwerken von sich reden. Später gehörte Laco kurzzeitig zum US-Hersteller Timex. Am 30. Juni 2009 schien die wechselvolle Geschichte des Unternehmens zu Ende zu gehen: Die Erich Lacher Uhrenfabrik GmbH & Co. KG meldete Insolvenz an und wurde kurze Zeit später von der Kienzle AG übernommen.

Was danach folgte, beschreiben Insider als „ein Stück aus dem Tollhaus“, in dem völlig branchenfremde Manager Regie führten. Anfang 2010 meldete Kienzle Insolvenz an und drohte die eben erst gerettete Firma Laco mit in den Strudel zu reißen. Die Pforzheimer fanden aber einen neuen Investor – und so blieb diese Marke zur Freude ihrer vielen Fans erhalten. Sogar Poljot-Uhren kommen mittlerweile aus Deutschland. Vorausgesetzt, sie tragen den Namen „Poljot International“.

„Allerdings haben unsere Uhren eine russische Seele“

Während nämlich der russische Hersteller schon vor Jahren pleite ging, setzt der gebürtige Moskauer Alexander Shorokov, dessen Firma in Alzenau bei Aschaffenburg ihren Sitz hat, die Tradition dieser Marke fort. „Alle unsere Uhren werden in Deutschland gefertigt. Entweder hier in Alzenau oder in der Nähe von Weimar. Damit stellen wir eine gleichbleibend hohe Qualität sicher. Allerdings haben alle unsere Uhren eine russische Seele“, sagt der ehemalige Bauingenieur Shorokov.

Mitunter passiert es sogar, daß aus einer deutschen Manufaktur eine schweizerische wird. Die 1981 von Gerd-Rüdiger Lang in München aus der Taufe gehobene Luxusmarke Chronoswiss wurde nach wirtschaftlichen Turbulenzen Anfang 2012 an die Schweizer Unternehmerfamilie Ebstein in Luzern verkauft. Immerhin verriet der Markenname schon von Anfang an eine ausgeprägte Schweiz-Affinität.

Michael Brückner war Chefredakteur der Monatszeitschrift Europa und ist Uhrenliebhaber. Sein Buch „Uhren als Kapitalanlage“ (2012) erschien mittlerweile in 2. Auflage.

www.luxus-momente.de

Foto: Glanzstücke aus Glashütte: Eine Uhrmacherin montiert unter höchster Konzentration das filigrane Räderwerk einer Armbanduhr

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