© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Selten fühlte sich der konservative Wodkatrinker durch eine Kampagne so angesprochen wie durch die City Edition „Berlin“ der Marke Absolut: „Es ist nicht einfach, immer ein Rebell zu sein“.

Der kleine Streit zwischen Unions-Fraktionschef Kauder und dem Welt-Kolumnisten Gideon Böss um die Bedeutung des Christentums verlief erwartbar. Die Einlassungen Kauders zur positiven Bedeutung von Kirche und Glauben sind so wahr, daß sie kein Mensch mehr hören mag, und sich die Gebildeten schämen, sie zu äußern, weil sie fürchten, bei einer Platitüde erwischt zu werden. Die Entgegnung von Böss entspricht dem, was man in den tonangebenden Kreisen so redet, aber sein Spott über den biblischen Gott und die zivilisierende Wirkung der Religion verliert doch sehr an Überzeugungskraft, wenn er dem den Glauben an eine Gesellschaft entgegensetzt, die ihre Werte durch Vereinbarung kreiert.

Vielleicht ist das eine biographisch bedingte Fehlwahrnehmung, aber es drängt sich der Eindruck auf, als ob mit dem Älterwerden der Kinder auch der Schwerpunkt der Erziehungsratgeberliteratur verschoben wird. Weg von „Jeder Knirps kann schlafen lernen“ hin zu „Das Pubertier. Aufzucht und Hege“. Aber während für die Kleinen noch ein ziemlich breites Spektrum an Empfehlungen geboten wurde, von traditionellem Konzept bis Kuschelkurs, geht es jetzt eigentlich immer nur um eins: Verständnis. Das hat sicher mit der Formschwäche heutiger Erziehungsberechtigter zu tun, die ihren mangelnden Durchsetzungswillen gern als Empathie tarnen, aber auch mit einem kollektiven Selbstbild, das an pubertärem Gehabe kaum etwas auszusetzen findet, da die Reifungskrise längst eine allgemeine und permanente geworden ist.

Daß die eigenartige Eurasische Konferenz in Wien um die Unterstützung der politischen Rechten warb, ist weniger aufschlußreich als die ausdrückliche Bezugnahme auf den Wiener Kongreß: Da haben auch die einen Schwärmereien von der Solidarität der legitimen Monarchen Österreichs, Preußens und Rußlands und der Idee einer Heiligen Allianz nachgehangen und die anderen unbeeindruckt die politischen Fakten gesichtet und ihre Interessen durchgesetzt.

Um noch einmal die These von der Ähnlichkeit unserer religiösen Stimmungslage und der vor dem Ersten Weltkrieg zu bekräftigen, sei auf die Pfingst-Ausgabe des Spiegels hingewiesen. Schon das Titelthema „Ist da jemand? Die Zukunft der Religion: Glaube ohne Gott“ erscheint seltsam milde für das alte Pfaffenfresser-Blatt. Noch überraschender ist der Tenor des Haupttextes, in dem versucht wird, zwischen Atheismus und Frömmigkeit eine Brücke zu bauen, man ahnt es schon: über das Gefühl. Derlei gewönne aber nur an Plausibilität, wenn man den alten Bildungsoptimismus zurückgewinnen könnte, samt Trägerschicht, wie es sie in Gestalt des wilhelminischen Bürgertums einmal gab, aber längst nicht mehr gibt, also Menschen, die einigermaßen verbindlich klären könnten, worauf sich das Gefühl richten möchte.

Der Protest zweier Professoren, des Kirchenhistorikers Thomas Kaufmann und des Spezialisten für die Frühe Neuzeit Heinz Schilling, am offiziösen Gedenken aus Anlaß des 500. Jahrestags der Reformation findet deshalb wenig Resonanz, weil die Stoßrichtung kaum jemand versteht. Schon die Behauptung der beiden, die EKD greife auf ein Luther-Verständnis der letzten Zwischenkriegszeit zurück, ist nur Eingeweihten begreiflich; dasselbe gilt für die Kritik der „antiliberalen Absage an jede Legitimität einer ‘Umformung’ des evangelischen Christentums“. Da sind die Professoren zu undeutlich, als daß die Ladung zünden könnte, da wüßte man gern mehr und Genaueres, bevor man sich positioniert.

Bildungsbericht in loser Folge LVIII: Die von INSA erhobenen Daten zu den Wünschen deutscher Eltern an das Schulsystem – mehr Strenge, mehr Fleiß, mehr Restriktion – stimmen kaum optimistisch. Zum einen gibt es den Unterschied zwischen dem, was Mutter oder Vater im Prinzip bejaht, und dem, was Mutter oder Vater in concreto ablehnt, sobald es negative Folgen für den eigenen Nachwuchs hat. Zum anderen repräsentieren die meisten derjenigen, die hier für Erziehung und Leistung plädierten, jenen Typus, der sich an keinem Elternabend zeigt, zu keinem Sprechtag kommt, in keinem entscheidenden Gremium vertreten ist und bestenfalls im Vier-Augen-Gespräch seinen Unmut über den Verfall der Standards und die allgemeine Schludrigkeit zum Ausdruck bringt.

„Thomas von Aquin hat einmal geschrieben, Gott habe dem Menschen nichts geboten, was nicht auch ohne Gottes Gebot für den Menschen gelte. Aber Gott tut dem Menschen gut, er ist das Medikament, das wir brauchen, wir sollten es einnehmen.“ (Robert Spaemann)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 4. Juli in der JF-Ausgabe 28/14.

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