© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

„This is Knödel“
Thad Starner: Der Entwickler der Google-Brille über Urlaubsfotos, E-Mails von Studenten und neue Erfindungen
Ronald Gläser

Google Glass polarisiert wie kaum eine andere Google-Erfindung. Bei Streetview gab es vor einigen Jahren eine lebhafte Diskussion, ob es zulässig ist, ganze Länder einfach abzufotografieren. Doch die fand vorwiegend in Deutschland statt. Einige deutsche Google-Gegner ließen daraufhin ihr Haus verpixeln.

Ein halbes Jahrzehnt später ist der Unmut gegen die Google-Datensammler in den USA angekommen. Immer öfter ist von Widerständen gegen die neue Google-Brille (Google Glass) zu lesen. So hieß es in dieser Woche, daß die US-Kinokette Alamo Drafthouse das 1.500-Dollar-teure Spielzeug aus seinen Kinosälen verbannt. In anderen Kinos gilt es als unerwünscht. Die Filmindustrie fürchtet sich vor heimlichen Mitschnitten. In Ohio ist deswegen im Januar ein Kinobesucher festgenommen und stundenlang verhört worden. Auch Barbesitzer verbieten den Betrieb der Brille in ihren Räumen.

In der neueröffneten Startup-Brutstätte namens Factory in Berlin (siehe Beitrag unten) ist die Begeisterung dafür um so größer. Die Firma Google, die dort ebenfalls einzieht und IT-Startups fördern will, hat einen Werbestand aufgebaut und führt die Brille vor. Es ist eine kleine Premiere in Deutschland. Ein Interessent, Typ Computernerd, fragt begeistert: „Kann ich die Schuhe meines Nachbarn fotografieren und dann über die Google-Suche herausfinden, wo ich solche Schuhe kaufen kann?“ Der Promoter verneint. Soweit sei das Produkt noch nicht. Auch Gesichtserkennung sei unmöglich. Noch.

Daß es die Brille überhaupt gibt und was sie demnächst womöglich alles kann, das verrät Thad Starner. Der Professor am Georgia Institute of Technologie ist einer der weltweit führenden Spezialisten für tragbare Computer und war einer der Chefentwickler von Google Glass.

Jetzt steht er im Erdgeschoß der Berliner Factory und zeigt Berliner Studenten und Computerhackern seine Exponate aus den letzten zwanzig Jahren: Brillen mit riesigen Apparaten daran aus den neunziger Jahren und kleinere Geräte aus der Zeit des ersten iPhones. Allesamt Vorgängermodelle von Google Glass.

„Also sagen Sie ‘Google Glass, mach ein Foto’”

Für ihn ist die Brille immer noch ein Prototyp, obwohl sie schon beinahe regulär in den USA verkauft wird. „Das ist doch noch immer eine Laborversion“, sagt er. „So wie die hier.“ Dabei zeigt er auf eine alte Brille mit Kopfhörern, deren Nutzer einen Film anschauen kann. „Auf einer längeren Flugreise etwa.“

Aber wozu Google Glass? Ist das nicht nur eine Spielerei? Wer Fotos machen will, kann doch auch eine Kamera nehmen, die qualitativ bessere Ergebnisse liefert. „Oh nein“, Starner schüttelt den Kopf und beginnt zu erzählen: „Stellen Sie sich mal vor, Sie stehen im Urlaub an einem See. Jetzt wollen Sie ein Foto machen. Also sagen Sie ‘Google Glass, mach ein Foto’. Hingegen: Wenn ich mich auf ein Objekt, das ich fotografieren will, erst konzentrieren muß, dann verliere ich den Blick für die restliche Umwelt. Das ist aber nicht das, was ich unter Urlaub verstehe.“

Starner ist überzeugt von seiner Erfindung. Er berichtet aus seinem Arbeitsalltag an der Uni. Wenn er an einem Text arbeitet, kommt manchmal ein akustisches Signal. Bing. Dann weiß er, daß eine E-Mail da ist. Hat er den Satz zu Ende geschrieben, so öffnet er mit einem Nicken automatisch das E-Mailprogramm und liest die Nachricht. Handelt es sich um eine weniger wichtige Mail eines Studenten, so schließt er das Programm mit einem weiteren Nicken wieder und widmet sich wieder seinem Text. Oder er beantwortet die Nachricht.

„Das ist alles viel weniger zeitaufwendig, als wenn ich erst mein Smartphone raushole und den Code eingebe, eine App öffne.“ Zwischendurch reicht seine Ehefrau ihm eine Schüssel vom Mittagsbuffet. „Das ist Knödel“, belehrt sie ihn auf englisch. „Schmeckt gut“, murmelt er nach einer Kostprobe.

Und was kommt als nächstes? Starner liebt diese Frage. Fröhlichzeigt er Fido, eine Brille für Rettungshunde. Diese werden so trainiert, daß sie in ein Seil beißen, wenn sie einen Lebenden finden, oder daran ziehen, wenn sie einen Toten finden. Ihre Position wird per Geocaching registriert. Die Rettungstrupps schauen sich anhand des Videos an, wie sie zum Opfer kommen. Oder Mobile Music Touch. Der Nutzer trägt diesen Apparat mit sich herum. Er stimuliert mit winzigen, nicht spürbaren Stromstößen so lange die Muskeln der Hand, bis der Nutzer, ohne jemals ein Klavier gespielt zu haben, die Bewegungen für ein ganzes Stück auswendig kann. Der Traum jedes lernunwilligen Musikschülers.

Am Montag ist Starner mit seinen alten Prototypen wieder zurück in die USA gereist. Auf ihn warten neue Projekte.

Foto: Tüftler Thad Starner mit seiner Erfindung: „Alles viel weniger zeitaufwendig als mit dem Smartphone“

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