© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

Geschlechterverhältnis und Gehirnforschung
Von Anfang an verschieden
Felix Dirsch

Kürzlich war in einem der zahllosen Internet-Blogs zu lesen, es gebe eine Dreiheit der Ersatzgötter: „Klima“, „Homo“ und „Gender“. Wer hier von der Mehrheitsmeinung abweiche, müsse mit besonders scharfer Ausgrenzung aus dem öffentlichen Diskurs rechnen. Beispiele gibt es zuhauf. Im Mai 2011 wurde die Gleichstellungsbeauftragte von Goslar, Monika Ebeling, ihres Amtes enthoben, weil sie unter anderem politisch korrektes Gedankengut über Gender Mainstreaming und über die angebliche Bevorzugung der Männer ablehnte. Die vorerst letzte Posse aus dem Gender-Tollhaus lieferten die Universitäten Leipzig und Potsdam mit der Anweisung, für alle Professoren und Mitarbeiter in der Geschäfts- beziehungsweise Grundordnung nur noch weibliche Bezeichnungen zu nutzen.

Das Tückische an Ideologien besteht darin, daß sie – wenn auch in marginalen Bereichen – durchaus Zustimmungsfähiges präsentieren. Die Trennung von biologischem Geschlecht und gefühlter Geschlechtsidentität ist in manchen Fällen Realität.

Was versteht man unter dem schwer zu übersetzenden Begriff „Gender“? Neben dem biologisch festgelegten Geschlecht (sex) wird schon seit längerer Zeit von einflußreicher – meist feministischer – Seite angenommen, Geschlechtlichkeit konstituiere sich über kulturell-soziale Faktoren. Simone de Beauvoir brachte es in ihrer Schrift „Das andere Geschlecht“ auf den Punkt: Man werde nicht als Frau geboren, man werde dazu gemacht! Konstruiertes und Konstruierbares kann jedoch auch dekonstruiert werden, was vornehmlich die geschlechtliche Differenz von Mann und Frau betreffen soll. Überspitzungen dieser These gehen dahin, den „kleinen Unterschied“ allein der Erziehung zuzuschreiben.

Warum wird gerade auf diesem Feld seit den neunziger Jahren so vehement versucht, die linke Diskurshoheit, die längst im bürgerlichen Lager salonfähig geworden ist, zu festigen? Warum soll „Gender“, von den UN bis in hinterste kommunale Körperschaften, „Leitbild“ und „Querschnittsaufgabe“ werden? Warum sind die Gender-Aktivitäten auf allen Ebenen, von der Universität bis in Unternehmensleitungen hinein, bereits Legion?

Nach dem epochalen Umbruch Ende der achtziger Jahre wirkte die Zentralforderung der Linken, die Verstaatlichung der Produktionsmittel, vor dem Hintergrund der Ausbreitung des globalen Kapitalismus obsolet. Die Gender-Ideologie ermöglichte diesen nach wie vor dominanten Kreisen, alte Gleichheitsforderungen aufrechtzuerhalten. Im Grunde genommen handelt es sich beim Genderismus um den Ausfluß eines überholten Weltbildes, das die ersten drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg nachhaltig bestimmte: die Sicht einer rein soziologisierten Welt. Diese Perspektive des Wissenschaftsdiskurses, der geprägt war von Exponenten wie Jürgen Habermas und Ralf Dahrendorf, aber auch von dem erklärten „Anti-Soziologen“ Helmut Schelsky, verlor spätestens Ende der siebziger Jahre mit dem Siegeszug der Soziobiologie und dem der Genetik, der bis heute anhält, ihre legitimierende Basis.

Gender-Anhänger rechtfertigen sich vornehmlich mit moralistisch-humanistischen Argumenten. Soziale und kulturelle Determinanten lassen sich ändern, biologische nicht. Jedoch trifft auch zu: Selbst wenn Geschlechtlichkeit einer ausschließlich sozialen und kulturellen Bestimmung unterläge, wären damit schwerlich alle Ungerechtigkeiten aus der Welt zu schaffen. Öfter wird in der Diskussion erwähnt, daß vielfältige Strukturen des Schulwesens vor allem Jungen benachteiligen. Ihnen fehlten nämlich Identifikationsfiguren. Diese sind freilich kaum auf die schnelle, beispielsweise als männliche Lehrer an Grundschulen, herbeizuschaffen. Von der Forderung nach Quoten hat man diesbezüglich wenig gehört.

Das Tückische an Ideologien besteht darin, daß sie – wenn auch in marginalen Bereichen – durchaus Zustimmungsfähiges präsentieren. Hier gibt es mitunter Wahres im Falschen, entgegen Adornos berühmtem Diktum. Die Trennung von biologischem Geschlecht und gefühlter Geschlechtsidentität ist in bestimmten Fällen Realität.

Vor Jahrzehnten schon erregte der „Fall von John/Joan“ Aufsehen, die Geschichte von David Reimer. Dessen Geschlechtsteil wurde im Kleinkindalter bei einem chirurgischen Eingriff so sehr verletzt, daß sich die Eltern auf Anraten der Ärzte entschlossen, ihn mittels weiterer Operationen zum Mädchen zu machen. Trotz Vagina legte „Brenda“ aber das Verhalten eines Jungen an den Tag. Später entschied er, als Mann zu leben und heiratete sogar. Über die schwierigen Erfahrungen indes kam er nicht hinweg. Er beging im Alter von 38 Jahren Suizid (2004). John Colapinto kommt in seiner Abhandlung „Der Junge, der als Mädchen aufwuchs“, entgegen vielen selbsternannten Transgender-Kennern, zu folgendem Ergebnis: Das berühmte Y-Chromosom habe seine determinierende Relevanz behalten, woran auch die äußere Geschlechtsverwandlung nichts habe ändern können.

Die Päpstin des „Gender Trouble“, so der Originaltitel ihres Hauptwerkes, die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Judith Butler, war maßgeblich für die Erweiterung der Gender-Theorie zur Queer-Doktrin verantwortlich. Demnach müsse Geschlechtlichkeit pluralistisch ausgerichtet werden. Folglich seien Hetero-, Bi-, Trans-, Poly-, Inter- und Asexualität (auch Pädosexualität?) gleich zu bewerten. Aus ihrer Abneigung gegen „Zwangsheterosexualität“ hat die einflußreiche Kulturtheoretikerin nie einen Hehl gemacht. Gleiches ist also doch nicht gleich.

Die Subversionsstrategie der weitverzweigten Gender- und (damit eng verwandten) Homo-Lobbyisten ist offenkundig. Sie richtet sich primär gegen traditionelle Lebensformen wie Ehe und Familie. Besonders verpönt ist die Hausfrauenrolle. Glorifiziert werden hingegen, neben anderen, Homosexualität und die Frühsexualisierung von Kindern. Gabriele Kuby hat diese Machenschaften nicht nur genau analysiert. Die katholische Publizistin plant eine größere Initiative gegen die „globale sexuelle Revolution“, wie ihr jüngster Buchtitel lautet.

Solche grotesken, gegen den gesunden Menschenverstand verstoßenden Vorstellungen haben eine Fülle an Einwänden hervorgerufen. In spärlicher Auswahl sind die Gender-Kritiker Barbara Rosenkranz, Ellen Kositza, Harald Seubert und Bernhard Lassahn zu nennen. In anderen Ländern hat der Widerstand gegen Unsinns-Projekte des Möchtegern-Mainstreams bereits vereinzelte Erfolge gezeigt. Der norwegische Unterhaltungskünstler und Soziologe Harald Eia erreichte mit seinen fundierten Angriffen die Schließung des der Universität Oslo angegliederten Gender-Instituts.

So weit ist man hierzulande noch nicht. Um die gelegentlich vernachlässigte Achillesferse der Gender-Ideologie zu thematisieren, ist die Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse der Neurophysiologie evident.

Wenn man die Unterschiede des weiblichen im Vergleich zum männlichen Gehirn hervorhebt, bedeutet das keineswegs, eine Rangordnung aufzustellen. Forschungsergebnisse belegen, daß die Schwäche eines Geschlechts bezüglich des Gehirns durch eine entsprechende Stärke an anderer Stelle ausgeglichen wird. Es gibt Hinweise auf verschiedene Denkweisen, die sich gehirnstrukturell ausgebildet haben und nicht einfach auf Sozialisationsformen zurückzuführen sind, wie Vertreter der Genderphilosophie meinen.

Dabei geht es weniger um intellektuelle Funktionen, die mittels des Intelligenztests zu erfassen sind, sondern vielmehr um ganz bestimmte intellektuelle Fertigkeiten. So schneiden Frauen im Bereich sprachlicher Kompetenzen wie auch manueller Fähigkeiten statistisch gesehen besser ab als Männer. Diese hingegen zeichnen sich eher durch räumliches Denkvermögen und mathematisch-logisches Denken aus.

Zahlreiche Experimente, die schon vor zwanzig Jahren durchgeführt worden sind, zeigen, daß es sich bei der Hirnsymmetrie des Menschen um ein geschlechtsdimorphes Merkmal handelt. Die Hemisphären bilden sich schon in der Kindheit spezifisch aus. Tast- und Fühlexperimente belegen bei Jungen eine frühere Spezialisierung der Hirnhemisphären auf bestimmte kognitive Fähigkeiten, während bei Mädchen in diesem Punkt größere Plastizität über einen längeren Zeitraum nachweisbar ist.

Betrachten wir ein weiteres Beispiel. Im vorderen Hypothalamus findet sich eine eindeutige geschlechtliche Differenzierung. Die Anzahl von Neuronen in dieser Region ist bei Männern größer als bei Frauen, ebenso das Volumen. Der Hirnforscher Manfred Spreng hat diesen Aspekt in einem grundlegenden Aufsatz in der Studie „Vergewaltigung der menschlichen Identität. Über die Irrtümer der Gender-Ideologie“ herausgestellt. Zwar nehmen Volumen und Zellenzahl im Laufe des Lebens bei beiden Geschlechtern ab, indessen bleiben die Unterschiede bis ins hohe Alter.

Zwar nehmen Volumen und Zellenzahl des Gehirns im Laufe des Lebens bei beiden Geschlechtern ab, indessen bleiben die Unterschiede bis ins hohe Alter. Daß Männer und Frauen je spezielle Schlaftypen sind, hat hirnphysiologische Ursachen.

Im Rahmen der Gleichgewichtserhaltung sämtlicher Systeme durch den Organismus hängt ein spezifisches Gebiet des Hypothalamus mit dem sogenannten Langsamen-Wellen-Schlaf zusammen. Es sorgt für genügend „Druck“ (Spreng) zum Auftreten eines speziellen Schlaftyps, und das aufgrund distinkter Strukturen bei Mann und Frau in unterschiedlicher Art und Weise.

Frauen haben einen geringeren Langsamen-Wellen-Schlaf. Eine der (nicht unerheblichen) Auswirkungen besteht darin, daß sie doppelt so häufig über Schlafstörungen klagen wie Männer. Zudem ist ihr Risiko höher, an Depressionen zu erkranken. Die unstrittige Erkenntnis, daß bestimmte Nervenerkrankungen, etwa die Hysterie, zumeist Frauenleiden sind, ist also in Differenzierungen der Hirnstruktur zu suchen, die eine nachhaltige Anlage dafür schafft.

Ein zusätzliches Exempel sind die hauptsächlich bei Frauen anzutreffenden Eßstörungen. Der Nucleus arcuatus, bei dem spezifische Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen festgestellt worden sind, ist ein relativ kleiner Teil des Hypothalamus. Dort wird über bestimmte Neuronen, die appetitanregend wirken, das Körpergewicht reguliert. Hunger- und Sättigungssignale werden verschieden empfangen. Das ist – sehr verkürzt dargestellt – der Grund dafür, daß Magersucht überproportional häufig bei Frauen verbreitet ist.

Es bleibt zu hoffen, daß die öfter unsachlich-dichotomisch geführte Diskussion – hier Biologie, dort soziale und kulturelle „Gender“-Anregungen – bald einer fundierten Synopse weicht. Ähnliches kennen wir aus der Molekularbiologie. Auch hier werden zunehmend die genetischen Anlagen komplementär mit umweltspezifisch-epigenetischen Einflüssen untersucht. Die Wirklichkeit ist eben immer komplexer, als sie von Ideologen dargestellt wird.

 

Dr. Felix Dirsch, Jahrgang 1967, ist im Schul- und Hochschuldienst sowie in der Erwachsenenbildung tätig. Zuletzt schrieb er auf dem Forum über das Spannungsverhältnis zwischen nationaler Souveränität und der EU („Der dreifache Verrat“, JF 28/13).

Foto: Mann und Frau und die menschliche DNS-Doppelhelix: Unterschiedlich bis in die Hirnstrukturen

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