© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

Profiteure von Sklavenarbeit
Die Deutsche Bahn verweigert den DDR-Zwangsarbeitern Entschädigungszahlungen / Fadenscheinige Vorwände in Fragen der Rechtsnachfolge
Lion Edler

Ein düsteres Kapitel der DDR-Geschichte sorgt wieder einmal für Kontroversen. Wie eine Studie im Auftrag der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) ergab, ließ die DDR-Reichsbahn im großen Umfang politische Gefangene als Zwangsarbeiter für sich arbeiten. „Wir können jetzt erstmals belegen, daß die Deutsche Reichsbahn zwischen 1951 und 1989 von der Zwangsarbeit politischer Gefangener in erheblichem Maße profitiert hat“, so der Leiter des Forschungsprojekts, Christian Sachse, gegenüber dem ARD-Magazin „Report Mainz“. Für Arbeiten am Gleisbau und der Verschrottung von Waggons setzte die Reichsbahn demnach jährlich rund 1.200 bis 1.500 Strafgefangene ein – unter katastrophalen Bedingungen: schwere und gesundheitsgefährdende körperliche Arbeit, extrem hohe Arbeitsnormen, schlechte Entlohnung. Wer sich zu entziehen versuchte, kam in Dunkelhaft.

Besonders überraschend und spektakulär sind diese Erkenntnisse freilich nicht, zumal auch andere Westfirmen wie Aldi, Ikea oder Volkswagen von DDR-Zwangsarbeit profitierten. Ebensowenig dürfte überraschen, daß die Reichsbahn auch Gefangenentransporte für das Innenministerium und die DDR-Staatssicherheit durchführte.

Doch bei der Frage nach den Konsequenzen geht es jetzt um konkrete Entschädigungsforderungen. Die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), forderte die Deutsche Bahn bereits auf, „daß sie sich diesem Teil ihrer Geschichte stellt, daß sie Aufarbeitung unterstützt und gegebenenfalls auch Wiedergutmachung betreibt“. Nach dem Untergang der DDR war die Reichsbahn in die Deutsche Bahn AG integriert worden. Doch die Bahn reagiert zurückhaltend auf die Erwartungen. Ihr lägen „keine Informationen zu den entsprechenden Sachverhalten“ vor, erklärte der Konzern vergangene Woche. Außerdem wolle das Unternehmen zunächst die Vorstellung der UOKG-Studie abwarten; im übrigen sei die DB AG „keineswegs Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn“.

NS-Zwangsarbeiter erhielten rund 500 Millionen D-Mark

Für den Vorsitzenden der UOKG, Rainer Wagner, ist diese Lesart der Bahn eine „reine Schutzbehauptung, mit der sie sich vor ihrer moralischen Verantwortung drücken will“. Das Unternehmen müsse sich „schleunigst mit der eigenen Geschichte beschäftigen“, so Wagner gegenüber „Report Mainz“. Tatsächlich wirkt die Argumentation des Unternehmens nicht ganz wasserdicht. Schließlich trat die Bahn bereits im Jahr 2000 der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft bei, die einen Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter betrieb. Nach Erkenntnissen der Universität Stuttgart-Hohenheim sollen 1944 etwa 230.000 Personen bei der NS-Reichsbahn zwangsbeschäftigt gewesen sein. Mit 400 Millionen D-Mark beteiligte sich die Bahn daher an der Entschädigung; 2001 erhöhte sie ihren Anteil noch einmal um einen „hohen zweistelligen Millionenbetrag“. Eine öffentlich zugängliche Auflistung der Gesamtbeträge gibt es jedoch nicht, wie eine Mitarbeiterin der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ)gegenüber der JF erklärte.

Zu berücksichtigen ist allerdings, daß die Bahn schon seinerzeit betonte, keineswegs Rechtsnachfolgerin der NS-Reichsbahn zu sein – diese Rolle wies der Konzern damals dem Bundeseisenbahnvermögen zu. Unabhängig von juristischer Schuld müsse sich die Wirtschaft jedoch an dem Entschädigungsfonds beteiligen, lautete 2001 das Bahn-Credo. Eine Argumentation, die das Unternehmen nun allerdings nicht völlig konsequent zu beherzigen scheint. Eine Anfrage der JUNGEN FREIHEIT, die deshalb noch einmal den detaillierten Standpunkt der Deutschen Bahn AG einholen wollte, blieb bis Redaktionsschluß unbeantwortet.

Unmittelbar vor der Vorstellung der Studie am vergangenen Montag kam doch noch einmal Bewegung in die Haltung der Bahn: Der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, Rüdiger Grube, kündigte eine Studie an, die die Zwangsarbeit und den Häftlingstransport „umfassend“ aufarbeiten soll. „Uns liegt sehr daran, daß dieses bisher weitgehend unbekannte Kapitel aus der Geschichte der Reichsbahn konsequent durchleuchtet und dokumentiert wird“, sagte Grube.

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