© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Grüße aus Moskau
Der Zorn der Straße
Thomas Fasbender

Jähzorn ist all jenen, die mit Nachwuchs gesegnet sind, als Phänomen im Kleinkindalter bestens bekannt. Sobald der Leidende erwachsen ist, werden die gleichen Symptome respektvoll „Störung der Impulskontrolle“ genannt. Gefährlich wird es, wenn der Gestörte hinter dem Steuer eines Automobils sitzt.

Es scheint, daß gerade die Menschen in Ländern mit ausgedehnter Verkehrsinfrastruktur, etwa USA und Rußland, hierfür anfällig sind. In Nordamerika spricht man von „road rage“ – Straßenzorn. Ein derart schönes Wort hat die russische Sprache nicht hervorgebracht, dafür gibt es um so mehr Youtube-Videos mit russischen Autofahrern, die einander wütend an die Gurgel gehen.

Vor einigen Jahren wurde ich selbst zum Opfer. Auf meinem Motorrad hatte ich im Vorüberfahren einem Lada, der sich dreist bei Rot auf die Kreuzung geschoben hatte, gut hörbar mit der Hand auf die Heckklappe geklopft. Da lief doch der Fahrer mindestens hundert Meter hinter mir her, während ich durch die Lücken im stehenden Verkehr zu entkommen suchte. Meine Gurgel erwischte er zwar nicht, aber der Kerl hatte Kondition.

„Wir haben die Krim heimgeholt. Sichern wir uns jetzt auch Moskau ohne Staus.“

Inzwischen ist in Moskau Zivilisation angesagt. In diesem Jahr ist überhaupt die halbe Stadt plakatiert mit Benimmregeln für den Straßenverkehr. Etwa im Kampf gegen Kreuzungsrüpel mit der Abbildung eines kräftig gehörnten Schafbocks: „Du fährst mitten auf die volle Kreuzung? Bravo, jetzt stehen sie alle und warten erst recht.“ Das Wort für Schafbock ist „Baran“, was auch im Russischen von Esel bis Dummkopf alles abdeckt.

Dahinter steht die Internet-Initiative „Weg mit dem Stau“. Nach dem Erfolg der ersten Kampagne lautet das neue Motto seit April: „Wir haben die Krim heimgeholt. Sichern wir uns jetzt auch Moskau ohne Staus.“ Das Ganze ist nicht nur Propaganda. Seit dem Wechsel im Bürgermeisteramt 2010 hat sich viel verändert. Parkverbote, Abschleppwagen im ständigen Einsatz, Parkuhren, Videokameras, Strafmandate – im Ergebnis hat das alles den Moskauer Straßenverkehr spürbar entlastet.

Die unangenehme Folge ist, daß es im Zentrum keine Parkplätze mehr gibt. Und so verzichten immer mehr Moskauer auf ihren fahrbaren Untersatz und bedienen sich der weltberühmten Metro, der U-Bahn. Was angesichts des Ein-Minuten-Taktes während der Stoßzeiten auch die bessere Entscheidung ist.

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