© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Abgründe einer Epoche
Parallele Künstlerbiographien: Die Münchner Ausstellung „Mythos Welt“ präsentiert mit Otto Dix und Max Beckmann zwei bedeutende Maler des deutschen Nachexpressionismus
Felix Dirsch

Die Relevanz paralleler Lebensläufe hat in der Antike in exzellenter Weise Plutarch herausgestellt. In seinen „Bioi paralleloi“ vergleicht der griechische Schriftsteller 23 Biographiepaare von Theseus bis Marc Antonius. Es werden jeweils ein griechischer und ein römischer Herrscher zusammengestellt. Herausragende Autoren greifen auch in der unmittelbaren Gegenwart auf ein derartiges Verfahren zurück, so der Historiker Alan Bullock in seiner Abhandlung über Hitler und Stalin.

Eine solche Betrachtungsweise läßt sich auch auf dem Gebiet der Kunst fruchtbar machen. Die Münchner Ausstellung „Mythos Welt“ stellt mit Otto Dix (1891–1969) und Max Beckmann (1884–1950) zwei der bedeutendsten Maler der klassischen Moderne nebeneinander. So ist es möglich, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden Persönlichkeiten zu beleuchten, deren Breitenwirkung immens war und die nur schwer den vorgegebenen Epochenstilen zuzuordnen sind.

Bereits in den 1920er Jahren wurden erstmals Bilder beider Künstler in München und Mannheim einem größeren Publikum zugänglich gemacht. Die Direktorin der Kunsthalle Mannheim, Ulrike Lorenz, und die niederländische Beckmann-Expertin Beatrice von Bormann, die für das Projekt in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung maßgeblich verantwortlich sind, konnten daran problemlos anknüpfen.

Beckmann und Dix sind sich wohl nie persönlich begegnet, standen aber immer im indirekten Austausch über ihre Werke. Ihnen wurde, nicht zuletzt angesichts der einschneidenden zeitgeschichtlichen Ereignisse, die Welt fremd und verwandelte sich zum Mythos. Die Ausstellung zeigt sieben größere Themenbereiche: Künstlerische Anfänge; Weltkrieg und Werkwenden; Physiognomie der Zeit; Welt als Bühne; Triebträume – Von Bordell und Lustmord; Verfemt – „Innere“ Emigration und Exil; Quo vadis?

Schrecken des Ersten Weltkrieges verarbeitet

Bemerkenswert ist, daß in dem umfangreichen Œuvre beider Künstler von Anfang an das Selbstbildnis einen zentralen Stellenwert erhielt. Van Gogh inspirierte sie gleichermaßen. Zu den besonders beeindruckenden Passagen der Ausstellung zählt die Verarbeitung der Schrecken des Ersten Weltkrieges. Beide erlebten die gewalttätigen Auseinandersetzungen hautnah mit, Dix länger als Beckmann. Sowohl die Grafiken wie auch die Gemälde halten grauenhafte existentielle Herausforderungen in nicht zu überbietender Eindringlichkeit fest. Hervorzuheben ist Beckmanns „Kreuzabnahme“ von 1917, die an spätmittelalterliche Passionsbilder erinnert, jedoch einen stärkeren Gegenwarts- als Glaubensbezug enthält. Eine angemessenere Reaktion auf das große Morden läßt sich kaum vorstellen.

Die Darstellungen der Nachkriegszeit machen beide Künstler weithin bekannt. Man denke lediglich an Dix’ (in München zu sehenden) „Streichholzhändler II“ oder die – leider verschollenen – „Kriegskrüppel“. Ebenso widmet sich Beckmann vexierbildartig den Abgründen der Epoche: der überall wahrnehmbaren Prostitution, dem Kampf gegen den Hunger, den vielfältigen sozialen Ungerechtigkeiten, sogar das Problem der Lustmorde wird nicht ausgeklammert. Beckmanns „Familienbild“ offenbart nicht nur Disharmonien in der eigenen Familie, sondern spielt auch auf Bruchlinien innerhalb der Gesellschaft an.

Dix wie auch Beckmann müssen nach Hitlers Machtübernahme die Ausgrenzung als „entartet“ über sich ergehen lassen. Ihre berufliche Laufbahn können sie während der NS-Herrschaft nicht fortsetzen. Während der eine sich an den Bodensee zurückzieht, flieht Beckmann nach der Münchner Schandausstellung von 1937 in die Niederlande. Nicht zuletzt die relativ unpolitische Landschaftsmalerei hilft ihnen, die schwierigen Jahre zu überstehen.

Auffallend ist, wie sehr beide Künstler, die nicht als religiös eingestuft werden können, Anleihen bei der christlichen Ikonographie nehmen. Althergebrachte und weithin bekannte Motive werden in säkularem Rahmen präsentiert. Während Beckmann die neuen Freiheiten nach seiner Übersiedelung in die USA nur wenige Jahre genießen kann, ist der Jüngere noch fast ein Vierteljahrhundert nach Kriegsende tätig.

Man braucht kein Fachmann zu sein, um die Ausstellung als außergewöhnlich zu bewerten. Dafür reicht es, ihre Höhepunkte in Augenschein zu nehmen. Deshalb ist es ein Glücksfall, daß der Mietvertrag der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in den Fünf Höfen mitten im Zentrum der bayerischen Landeshauptstadt kürzlich bis 2028 verlängert wurde. So wird der Münchner Ausstellungsszene auch weiterhin ein hohes Niveau zukommen.

Die Ausstellung „Dix/Beckmann – Mythos Welt“ ist bis zum 10. August in der Münchner Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung , Theatinerstr. 8, täglich von 10 bis 20 Uhr zu sehen. Telefon: 089 / 22 44 12

Der Ausstellungskatalog (Hirmer-Verlag) mit 248 Seiten und 286 Abbildungen kostet in der Kunsthalle 25 Euro. www.kunsthalle-muc.de

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