© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Die goldene Treppe, die zu den Sternen führt
Zauberreich und Menschenwelt in eins geflochten: Richard Strauss’ geheimnisvolles Hauptwerk „Die Frau ohne Schatten“ in der Oper Leipzig
Sebastian Hennig

Um es gleich vorweg zu sagen: Der Leipziger Oper ist ein grandioses Geburtstagsgeschenk für Richard Strauss geglückt. Dabei ist das Geschenk eigentlich nicht für, sondern von Richard Strauss. Nachgeborene Vollstrecker seines höchst anspruchsvollen Kunstwillens haben es dem dankbaren Publikum beschert.

„Die Frau ohne Schatten“ ist das geheime und geheimnisvolle Hauptwerk des Komponisten. Nach dem gewaltigen Erfolg des „Rosenkavalier“ beratschlagten der Tonsetzer und sein Dichter über weitere Pläne. Am 21. Februar 1911 notiert Hugo von Hofmannsthal die Kernidee: „Im Mittelpunkt eine bizarre Figur wie Strauss’ Frau. Die Frau, die ihre Kinder aufgeopfert hat, um schön zu bleiben.“

Dann beginnen die Mühen und Freuden des Schaffens: Tausendundeine Nacht, die Feenmärchen von Carlo Gozzi, Goethe und Mozart waren die Paten der neuen Oper. Das kongeniale Paar bediente sich gegenseitig fürstlich. In einer weißen Gazelle erjagt sich der Kaiser ein geliebtes Weib. Sie ist die Tochter des Geisterkönigs Keikobad. Doch eine Menschin wird sie erst, wenn sie dem Kaiser ein Kind schenkt. Andernfalls kehrt sie zurück unter die Geister, und der Kaiser erstarrt in Stein. Nur drei Tage sind dafür noch verblieben. Die Amme täuscht Hilfe vor, während sie gegen die Liebe der Frau wirkt.

Sie steigen herab in das Haus des Färbers Barak. Auch er ist noch kinderlos geblieben von seiner so geliebten wie kapriziösen Frau. Der wollen die Herrschaften nun mit Geistergaukeleien den Schatten abhandeln. Doch ein echtes Weib in seinem dunklen Wahn ist sich des rechten Weges wohl bewußt, wenn sie denn einen rechten Mann zur Seite hat. Den Verachteten treibt sie zur Weißglut, um ihn dann für seinen Zorn zu bewundern. So wird der Streit der Geschlechter zum Vater der Menschheit. In nachgelassenen Fragmenten des Dichters ist zu lesen: „Zittere nicht, denn was wird aus dem Tempel, wenn die Priesterin zittert! Wirf dich in den Abgrund, aber nur weil unten die goldene Treppe ist, die zu den Sternen führt.“

Der Anspruch erfüllt sich auf exemplarische Weise

Das Ergebnis hielt Richard Strauss für sein gelungenstes Werk. Das Publikum der Wiener Uraufführung von 1919 vermochte diese Auffassung noch nicht zu teilen. Arthur Schnitzler schrieb in sein Tagebuch: „... von falscher Tiefe und Humanität. Musik, glanzvoll, wohlklingend – mit Neigung zur Banalität.“

Der Widerstand leuchtet ein, wirkt doch das Stück wie ein sinnbetörender Gegenentwurf zum kunstfeindlichen Ansatz der Psychoanalyse. Anstatt brütend im Unbewußten zu bohren, wird prächtigster Augenschein entfaltet. Das Märchen bietet die uralte und ewig-frische Möglichkeit, noch die verwickeltsten Probleme unmißverständlich in Bildern darzustellen. Von Hofmannsthal spricht noch vor der Uraufführung von der allgemeinen Neigung „zu deuten und herumzurätseln, wo alles einfach Bild und Märchen ist“.

Hier war Strauss seiner Zeit wohl weiter voraus als in den eigentlichen Skandalstücken. „Salome“ wirkt rückblickend wie eine Wegmarke, ein Werkstattbericht auf der Bahn zur „Frau ohne Schatten“. Das Ergebnis ist kaum faßbar mit den Kategorien von Klassik und Romantik, Moderne und Tradition, Musikdrama und absoluter Musik. Zauberreich und Menschenwelt, ätherische Zartheit und irdische Gewaltsamkeit sind in eins geflochten. Die lieblichsten Soli von Violine, Cello und Fagott für die Geisterwelt wechseln mit aus Niederungen des Menschentreibens grell heraufbrandenden Orchester-Orkanen. Die Sängerstimmen müssen über diese Gischt eine weitere Strecke hinausschießen, um sich überhaupt vernehmlich zu machen. Zudem gilt es, die Rollen noch mit Ausdruck zu beleben. Das ist in Leipzig ausnahmslos gelungen.

Doris Soffel ist eine giftige Amme mit einer drängenden schrillen Bosheit. Durchdringend und zugleich volltönend. Simone Schneider ist die Kaiserin und Burkhard Fritz der Kaiser. Sie erscheinen zugleich als Menschen mit ihrer Sehnsucht und ihren Zweifeln, so wie der Färber Barak (Thomas J. Mayer) ein Herrscher in seinem Haus ist und seine Frau (Jennifer Wilson) die ganze schwierige Hoheit des Weibes entfaltet. Diese Identität von Stimme, Gestalt und Rolle setzt sich fort bis in die kleineren Figuren hinein.

„Die Frau ohne Schatten“ bringt die Leistungskraft eines Repertoire-Theaters an seine Grenzen. In Leipzig wurde weder Arbeit noch Zeit, Kraft und Geld geschont. Darum erfüllte sich der Anspruch, den dieses Werk in sich birgt, auf exemplarische Weise. Das Gewandhausorchester unter Ulf Schirmer ist grandios. Die Übergänge zwischen den beiden Erzähl- und Klangwelten werden geschmeidig genommen. Es ist ohrenbetäubend und herzerweichend.

Die Inszenierung von Balász Kovalik unterstützt die dramatischen und musikalischen Wirkungen auf unübertreffliche Weise. Hier ereignet sich Oper in einheitlicher Unanfechtbarkeit. Als im Finale Kinderwagen auf die Bühne rollen, können einige Frauen im Parkett ein Kichern nicht unterdrücken. Der Chor der noch ungeborenen Kinder singt dazu: „Vater, dir drohet nichts, / Siehe, es schwindet schon, / Mutter, das Ängstliche, / Das euch beirrte!“

Bestrahlt von der Sonne Richard Strauss’ wirft Leipzig nun wieder einen prägnanten, einen fruchtbaren Schatten über die deutsche Opernlandkarte.

Die nächste Vorstellung von „Die Frau ohne Schatten“ in der Oper Leipzig, Augustusplatz 12, findet am 28. Juni um 18 Uhr statt. Kartentelefon: 0341 / 12 61 261

http://oper-leipzig.de

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