© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/14 / 11. Juli 2014

Das System Kreuzberg
Berlin: Nach der Teilräumung der Gerhart-Hauptmann-Schule geht der Streit um die Flüchtlingspolitik weiter
Werner Becker

In der Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg haben die Aufräumarbeiten begonnen. Vor dem Haus türmt sich Unrat. Auf dem Schulhof stehen zwei grüne Container, in die Arbeiter Sperrmüll aus dem Gebäude werfen. Mehr als eineinhalb Jahre hatten Flüchtlinge mit Duldung des von den Grünen regierten Bezirks das Schulgebäude besetzt und sich teilweise wohnlich eingerichtet.

Nachdem Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) in der vergangenen Woche die Polizei um Hilfe gebeten hatte und den Besetzern mit der Räumung drohte, verließen die meisten Flüchtlinge das Gebäude. Der Bezirk registrierte 188 Personen und wies ihnen neue Unterkünfte zu. Bis über ihren Aufenthaltsstatus entschieden worden ist, bekommt jeder von ihnen monatlich 362 Euro. Zudem wurde jedem, der die Schule freiwillig verlassen hat, ein „Handgeld“ von 50 Euro versprochen.

Doch nicht alle Besetzer ließen sich von dem Angebot locken. Unterstützt von Aktivisten der linksextremistischen Szene harrten rund 40 Personen tagelang auf dem Dach der Schule aus. Für den Fall einer gewaltsamen Räumung durch die Polizei drohten einige mit Selbstmord. Angeblich war in dem Gebäude Benzin ausgeschüttet worden. Um zu verhindern, daß weitere Sympathisanten oder Flüchtlinge auf das Schulgelände gelangen konnten, riegelte die Polizei die Schule weiträumig ab. Der tagelange Einsatz Hunderter Beamter kostete rund fünf Millionen Euro. Senat und Bezirk streiten nun darüber, wer diese Kosten übernimmt.Aber die Strategie der Besetzer und ihrer Unterstützer, die unter anderem ein Aufenthaltsrecht für die sich illegal in Deutschland aufhaltenden Ausländer forderten, hatte Erfolg.

Den Verbliebenen hat der Bezirk schließlich zugebilligt, weiterhin im Gebäude zu bleiben, sofern sie die nun notwendigen Renovierungsarbeiten nicht stören. Sie sollen in einen Seitenflügel ziehen und die anderen Teile der Schule räumen. Ziel sei es, aus dem Haus ein „internationales Flüchtlingszentrum“ mit 70 Plätzen zu machen. Eine entsprechende Vereinbarung, in der den Besetzern auch neue Duschen versprochen werden, wurde in der vergangenen Woche unterzeichnet. Zugleich wurde damit begonnen, Hausausweise auszuteilen, um zu verhindern, daß weitere Asylbewerber, Zigeuner oder Drogenabhängige zu der Gruppe stoßen. Zudem wurden die Fenster im Erdgeschoß der Schule vergittert.

Die Hausbesetzung hatte in den vergangenen Monaten immer wieder für Aufsehen gesorgt. Die Polizei mußte zu mehr als 100 Einsätzen ausrücken. Zudem stiegen Drogenhandel und Gewaltverbrechen in der Umgebung des Gebäudes sprunghaft an. Ende April wurde einer der Besetzer von einem Mitbewohner beim Streit um eine Dusche erstochen. Scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik des Bezirks kam nach der Teilräumung von der langjährigen Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John (CDU). „Das ‘System Kreuzberg’ ist ein abschreckendes Modell, wie es genau nicht laufen darf“, sagte sie der Berliner Morgenpost. Der Bezirk hätte nie zulassen dürfen, daß sich das Lager auf dem Oranienplatz und die besetzte Schule in dieser Form verfestigten.

Baustadtrat Panhoff, der mit seinem Vorgehen den Anstoß für den teilweisen Auszug der Flüchtlinge gegeben hatte, wird in seiner Partei und der linken Szene in Berlin scharf kritisiert. Er berichtete in der vergangenen Woche von Schmierereien an seinem Wohnhaus und einem angezündeten Auto vor seinem Haus. Nach Informationen der Morgenpost steht der Baustadtrat mittlerweile unter Personenschutz.

Foto: Afrikanische Schulbesetzer präsentieren die Vereinbarung mit dem Bezirk: Personenschutz für den Baustadtrat

 

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