© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/14 / 11. Juli 2014

Die Krise des klugen Blattes
„FAZ“: Die Suche nach dem Schirrmacher-Nachfolger hat begonnen – und die nach einer neuen Strategie
Ronald Gläser

Die Einschläge in Frankfurt kommen näher. So empfindet es zumindest ein Teil der Belegschaft der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Bei der jüngsten Betriebsversammlung wurde mitgeteilt, daß die Qualitätszeitung weiter in die Verlustzone rutscht. Sie hatte 2012 bereits vier Millionen und 2013 acht Millionen Euro Verlust erwirtschaftet. Ein Teilnehmer sagt, die Analyse habe „existenzbedrohend“ geklungen. Einziger Lichtblick: Die übernommene Frankfurter Rundschau soll nach einer Entlassungswelle wieder weitgehend kostendeckend arbeiten. Im Feuilleton jedoch sei die Stimmung besonders schlecht, berichtet ein freier Mitarbeiter. Grund: Die Redakteure seien angehalten, mehr zu schreiben. Außerdem seien vor kurzem ein bis zwei Seiten gestrichen worden.

Und dann der plötzliche Tod Frank Schirrmachers. Er war der umtriebigste unter den fünf Herausgebern. Sein Ableben hat keine unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen, stellt dennoch eine Zäsur dar. Die Frage lautet: Wie geht es jetzt weiter mit der FAZ? Gibt es einen Richtungswechsel? Kann sie wieder Tritt fassen?

Sicherlich wird der neue Herausgeber aus den eigenen Reihen kommen. Das wird übereinstimmend berichtet. Außenseiter haben es in der Hellerhofstraße schwer. Der Rundfunkjournalist Joachim Fest galt auch am Ende seiner Zeit als Herausgeber (1973 bis 1993) noch immer als Paradiesvogel im Verlag.

Obwohl der Personenkreis überschaubar ist, aus dem der neue Mann – womöglich noch in diesem Jahr – rekrutiert werden soll, gibt es zur Stunde keine festen Anwärter. Es werden zwar Namen wie der von Patrick Bahners (ehemals Feuilletonchef, jetzt New York-Korrespondent) diskutiert, aber das seien nur Hypothesen, heißt es aus der Redaktion.

Der 47jährige Bahners wäre, sollte er in die Rolle des Herausgebers schlüpfen, ein passender Nachfolger Schirrmachers, der zuletzt mit kapitalismuskritischen Positionen auf sich aufmerksam gemacht hatte. Schirrmachers Buch über Big Data war von einer Grundhaltung geprägt, die kaum zum Rest der Zeitung paßt. Bahners’ wichtigste Veröffentlichung war eine Philippika gegen Islamkritiker („Die Panikmacher“, 2011).

Hier enden die Analogien zwischen Schirrmacher und Bahners. Es wird kaum jemandem gelingen, sich so grandios in Szene zu setzen wie Schirrmacher, dessen Profiliertheit von Freunden stets mit der wohlklingenden Erklärung umschrieben wurde, er habe Debatten angestoßen. „Große Wellen“ habe er geschlagen, heißt es im Kollegenkreis auch.

Ein Redakteur berichtet, Schirrmacher sei besessen gewesen von dem Thema Big Data. Für ihn gab es eine Verschwörung von Geheimdiensten und Konzernen. Er hat neue Autoren nicht nur bei der SZ, sondern gezielt unter Internet- und Piratenparteiaktivisten angeworben. Darunter Bruno Kramm, der bei Schirrmacher nur anfragen mußte, wenn er etwas zur Netzpolitik publizieren wollte. Oder die Piraten-Primadonna Marina Weisband, die eine Onlinekolumne erhielt.

Einige jener Autoren, nicht alle, dürften selbst gemäßigt liberalkonservative Leser als Zumutung empfunden haben. Julia Seeliger („Mit Redaktionen in Trollsprache sprechen. Bei der taz gehts, bei der FAZ nicht“) etwa, ein gescheitertes Nachwuchstalent der Grünen. Oder Laura Dornheim (Piraten), die in ihren Tweets ihrem Zorn über die FAZ freien Lauf ließ: „Tag begann mit Rassismus in der FAZ, Nonnenmacher schreibt Roma und Sinti müssen sich bei allem Verständnis halt auch anpassen #wtf.“ Die Honorare hat sie trotzdem gern genommen.

Das Anzeigengeschäft ist eingebrochen

Anders liest sich das in den Ressorts Politk und Wirtschaft, die keinen solchen Linksdrall haben. Intern existiert eine stillschweigende Übereinkunft, sich nicht anzugreifen. „Wir tun uns nicht weh“, sagt ein Mitarbeiter. Was die Machtarchitektur bei der FAZ dennoch erschüttern könnte, ist die Verkleinerung des Herausgebergremiums. Aus fünf werden vier. Momentan hat Günther Nonnenmacher die Aufgaben von Schirrmacher übernommern und sein altersbedingtes Ausscheiden daher verschoben. Die Reduzierung der Herausgeber ist eine Konzession an die Belegschaft. Angeblich verdienen sie und die zwei Geschäftsführer jeweils mindestens 500.000 Euro. Als 2013 ein entsprechender Bericht im Manager Magazin erschien, soll das im Haus für Unruhe gesorgt haben.

Auch für die Belegschaft jagt ein Sparpaket das nächste. Die Zeiten, in der sich die Zeitung das größte Korrespondentennetz leisten konnte, sind vorbei – dank Auflagenschwund und weggebrochener Anzeigenumsätze. Noch im Jahr 2000 war die FAZ eine unglaublich dicke, kiloschwere Zeitung mit einem riesigen Stellenteil am Wochende. Aus und vorbei. Das Geschäft machen jetzt andere online.

Noch schlimmer: Die schlechten Geschäftszahlen wurden zuletzt durch den Verkauf der Märkischen Allgemeinen noch kaschiert, sind also möglicherweise schlechter als sie offiziell aussehen. Ein Mitarbeiter über einen holperigen Text im FAZ-Wirtschaftsteil im Juni: „Der ist so verquast geschrieben, weil ihn niemand verstehen sollte.“ In dem Dreispalter standen wenige Zahlen, aber viel von „Herausforderung“ und „Chancen“.

Wie ein Damoklesschwert hängen Pensionsbelastungen über dem Verlag. Etwa 500 Ruheständler, die etwa zwanzig Jahre lang versorgt werden müssen, das wird buchhalterisch zu einer immer größeren Gefahr, für die immer größere Rückstellungen vorgenommen werden müssen. Frank Schirrmachers Prophezeiung, was die Probleme mit der Überalterung der Deutschen angeht, war – so gesehen – vielleicht stärker der Lage der Zeitung und der FAZ-Verlagsgesellschaft geschuldet als bislang gedacht.

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