© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

„Vaterlandsliebe und Ehrgefühl“
Kaum jemand drehte so viele Dokumentationen zur deutschen Geschichte wie Irmgard von zur Mühlen. Dem 20. Juli 1944 widmete sie mehrere, zum Teil preisgekrönte Filme, die die öffentliche Wahrnehmung des deutschen Widerstandes verändern sollten.
Moritz Schwarz

Frau von zur Mühlen, Sie haben die Überlebenden des 20. Juli noch persönlich kennengelernt. Was waren das für Menschen?

Zur Mühlen: Meist waren es Menschen von besonderer Haltung, wie man sie heute nur noch selten findet.

Nämlich?

Zur Mühlen: Vaterlandsliebe, Verantwortungsbewußtsein, Ehrgefühl und Selbstbeherrschung – das waren ihre hervorstechenden Eigenschaften. „Wir haben diese Tat auf uns genommen, um Deutschland vor einem namenlosen Elend zu bewahren. Ich bin mir im klaren, daß ich dafür gehängt werde, aber ich bereue meine Tat nicht“, so etwa Fritz-Dietlof von der Schulenburg. Sie hatten dieses ausgeprägte Verantwortungsgefühl für die eigene Gemeinschaft und den Staat. Und einen Instinkt dafür, daß man als Deutscher die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht dulden dürfe. Am bewundernswertesten war aber vielleicht ihre Fähigkeit, angesichts einer fatalen Lage nicht zu verzweifeln, sondern zu handeln und Ängste und innere Anfeindungen mit sich selbst auszumachen.

Klingt ein wenig nach Heiligenverehrung.

Zur Mühlen: Diese Leute waren tatsächlich so, sonst wären sie diesen Weg nicht gegangen. Und ein wenig mehr von dieser Haltung könnte unserer Gesellschaft heute nicht schaden.

Woher kam diese Haltung?

Zur Mühlen: Ich glaube, das war eine Frage der Erziehung in einem oft konservativen Elternhaus, wie es das heute eigentlich nicht mehr gibt.

Unter allen Formen des Widerstandes haben Sie sich für Ihre Arbeit den nationalkonservativen Widerstand des 20. Juli ausgesucht. Warum?

Zur Mühlen: Vielleicht weil ich familiär selbst zum konservativen Milieu gehöre. Mich fasziniert dieses Milieu – diese Erziehung zu Haltung, Geradlinigkeit und ethischer Unbedingtheit.

Heute kennt jeder die Filmaufnahmen vom Prozeß gegen die Männer des 20. Juli, etwa wie Gerichtspräsident Roland Freisler den angeklagten Graf Schwerin anbrüllt: „Morde? Sie sind ja ein schäbiger Lump!“

Zur Mühlen: Ja, eine Gänsehautszene ...

Tatsächlich verdanken wir dieses Material Ihnen und Ihrem Mann.

Zur Mühlen: Goebbels hatte angeordnet, den Prozeß zu filmen, um die Aufnahmen für die Propaganda zu verwerten. Doch zeigte sich, daß das Auftreten der Angeklagten beeindruckte, während Freisler unangenehm auffiel. Also wurde das Material, als Geheime Reichssache klassifiziert, unter Verschluß gehalten und man wußte zunächst nichts von den Aufnahmen, bis mein Mann sie etwa Mitte der siebziger Jahre entdeckte. Er produzierte dann den Dokumentarfilm „Geheime Reichssache“, den ersten großen Film über die Prozesse gegen die Männer des 20. Juli.

Der 1979 für erhebliches Aufsehen sorgte.

Zur Mühlen: Seitdem sind einige der dort gezeigten Schlüsselszenen immer wieder in andere Dokumentarfilme übernommen worden und so in unser kollektives Gedächtnis eingegangen. Ich würde sagen, zum Teil prägen sie unser Bild von den Männern des 20. Juli bis heute, denn die Aufnahmen belegten erstmals, mit welcher Standhaftigkeit die Männer der Wut der Nationalsozialisten entgegentraten. Gerade die Szene mit Graf Schwerin bringt die Situation auf den Punkt: Der Graf ganz leise, kaum hörbar. Freisler brüllend und übermächtig, und dennoch weicht Schwerin kein Jota.

Schließlich drehten Sie die Dokumentation „Die Frauen des 20. Juli“.

Zur Mühlen: Wir hatten „Geheime Reichssache“ den Angehörigen des 20. Juli vorab gezeigt. Jahrzehnte nach den Hinrichtungen sahen nun die Ehefrauen und Kinder erstmals die Aufnahmen und erfuhren, welche Würde und Haltung ihre Männer und Väter bis zuletzt bewahrt hatten. Eine unheimlich bewegende Angelegenheit. So kamen wir in Kontakt mit den Hinterbliebenen. Als ich dann den Vorschlag machte, einen Film über die Frauen und Kinder des 20. Juli zu drehen, waren die meisten von ihnen aber reserviert. Denn die Frauen waren alle sehr bescheiden und betonten stets, wie unwichtig sie persönlich in der Sache doch angeblich gewesen seien. Schließlich ließen sie sich aber überzeugen, es für ihre Männer zu tun.

Jahre später gelang Ihnen ein Interview mit der Witwe Graf Stauffenbergs, die sich sonst nicht öffentlich äußerte. Wieso gewährte sie Ihnen ein Gespräch?

Zur Mühlen: Das war echtes Journalistenglück. Dazu beigetragen hat wohl, daß mein Mann, wie Gräfin Stauffenberg mütterlicherseits, aus baltischem Adel stammte, da war eine Brücke. Aber Sie haben recht, Nina von Stauffenberg war das alles zuviel. Und auch mein Interview gestaltete sich schwierig: Viele Fragen wollte sie partout nicht beantworten, für andere hatte sie Antworten schriftlich vorbereitet und bestand darauf, sie von einem Zettel abzulesen.

Beeindruckt hat Sie vor allem, wie sehr die Frauen Ihren toten Männern noch nach Jahrzehnten verbunden waren.

Zur Mühlen: Ja, das waren noch Ehen! Nicht wie heute sogenannte Lebensabschnittspartnerschaften. Die letzten Briefe der Männer spielten bei allen Frauen eine enorme Rolle! Mein Gott, wenn Sie das erlebt hätten: Eingerahmt an der Wand oder immer bei sich getragen. Viele konnten die Briefe Wort für Wort auswendig. Und die meisten der Frauen sind auch auf ewig Witwen geblieben. Es gab zwar Ausnahmen, aber selbst die hatten dann „nur“ einen neuen Lebenspartner, keinen neuen Ehemann. Fast alle der Witwen hatten auch diese besondere Haltung, über die ich vorhin schon sprach. Dabei waren einige dennoch sehr emotional, etwa Barbara von Haeften, bei der ich die Aufnahmen abbrechen mußte, weil ich sie in ihrer Emotionalität nicht bloßstellen wollte. Oder Hedwig Wirmer, sie hatte am Abend vor dem Interview zum erstenmal ihren Töchtern Intimeres über den Widerstand ihres Vaters erzählt und konnte, als ich ankam, schon nicht mehr. Schließlich mußte ich sie stumm zeigen und das mit dem von den Töchtern Gesprochenen unterlegen.

Im Grunde begann erst mit Ihrem Film die Erschließung des „privaten“ 20. Juli.

Zur Mühlen: Vereinzelt gab es das schon vorher, etwa durch Gräfin York zu Wartenburg, Rosemarie Reichwein oder Freya von Moltke, die die Briefe ihres Mannes publizierte. Im ganzen aber haben Sie recht. Clarita von Trott zu Solz sagte einmal, sie sei mir unendlich dankbar, denn mein Film habe das Eis gebrochen. Danach erschienen immer mehr Bücher und Filme über die Angehörigen des 20. Juli. Und das bedeutete nicht nur die Erschließung der privaten Seite – Historiker waren zum Teil erstaunt, was für geschichtswissenschaftlich interessantes Material da noch aus den Schubladen der Angehörigen kam.

Warum dauerte das so lange? Ihr Film kam erst 1985, also 41 Jahre nach den Ereignissen, ins Fernsehen.

Zur Mühlen: Gute Frage. Ich weiß es nicht. Bis dahin waren die Männer des 20. Juli in der öffentlichen Wahrnehmung einfach – sofern sie nicht angefeindet wurden – Märtyrer, Vorbilder, monolithische Menschen ohne private Seite. Nach dem Ehemann oder Vater in ihnen fragte kaum einer. Sehen Sie, noch als ich dem Sender Freies Berlin „Die Frauen des 20. Juli“ anbot, kam die Antwort: „Ein Film über zehn alte Frauen? Wer will das schon sehen!“

Bitte? Das war doch bereits die Zeit, als der 20. Juli überall als großes Vorbild präsentiert wurde!

Zur Mühlen: Ich war auch erstaunt über diese Doppelbödigkeit. Ähnlich erging es mir, als ich 2001 meinen Film über Harald Poelchau anbot. Nach meiner Ansicht einer meiner wichtigsten Filme zum 20. Juli, weil Poelchau – selbst unerkanntes Mitglied des 20. Juli – dessen Protagonisten als Pfarrer bis zu ihrer Hinrichtung begleitet hat. Dennoch: Totales Desinteresse seitens des RBB. Hätte ich was über Schweinezucht in der Niederlausitz gemacht, hätten sie es gleich genommen! Aber der 20. Juli ...

Wie paßte das zu den offiziellen Beteuerungen, der 20. Juli sei so wichtig?

Zur Mühlen: Das fragen Sie bitte mal die Herrschaften selbst. Schauen Sie doch nur mal ins Fernsehprogramm rund um den 20. Juli. Wenn nicht gerade wie jetzt der siebzigste Jahrestag ansteht, finden Sie nichts! Vielleicht den Tom-Cruise-Film – aber der läuft dann wegen Tom Cruise. Ansonsten: Fehlanzeige!

„Die Frauen des 20. Juli“ wurde schließlich sogar zuerst in der DDR gezeigt.

Zur Mühlen: Wofür uns damals die FAZ etwa scharf kritisierte. Dabei hatten wir den Film zuerst dem SFB angeboten, doch als der sich schließlich nach einer Ewigkeit und drei Tagen durchgerungen hatte, ihn zu nehmen, verschwand er in der Versenkung. Und als wir irgendwann nachfragten, hieß es, es habe ihn immer noch kein Redakteur dort angesehen. Da meldete sich das DDR-Fernsehen bei uns. Wir informierten den SFB – ohne Reaktion. Also lief der Film erst in der DDR, was für Aufsehen sorgte. Schließlich landeten wir bei Guido Knopp und dem ZDF, das ihn 1985 endlich sendete.

Nach dieser Vorgeschichte ist es um so erstaunlicher, welches Echo er auslöste.

Zur Mühlen: Wir waren selbst überrascht von den vielen, vielen und fast einhellig positiven Zuschauerzuschriften, sogar Helmut Kohl und Richard von Weizsäcker schrieben. Auch die Presse war voll des Lobes, und schließlich bekamen wir sogar eine Goldene Kamera.

Heute allerdings ist der Film fast vergessen. Warum?

Zur Mühlen: Ja, das ärgert mich sehr. Aber er wird jetzt auf DVD erscheinen.

Ein Grund ist sicher, daß heute „Dokus“ ganz anders gemacht sind: Tempo, Effekte, nachgestellte Szenen etc.

Zur Mühlen: Stimmt, aber ich mag das nicht, das ist Effekthascherei. Da wird etwa gezeigt, wie sich mysteriös eine Türe öffnet oder eine Hand bedeutungsschwer zum Telefon greift – Mätzchen! Da geht es nicht mehr um die Präsentation des Materials, um Authentizität, sondern darum, Eindruck zu schinden, zu unterhalten, Quote zu machen. Da wird nicht mehr dokumentiert und auch nicht rekonstruiert, sondern inszeniert. Geschichte ist aber kein Hollywoodfilm. Der Filmemacher drängt sich vor sein Material. Es wird nachgespielt oder Szenen aus Spielfilmen eingebaut. Das ist keine Dokumentation, das ist Theater.

Die Zuschauer sind allerdings inzwischen wohl so daran gewöhnt, daß für Ihre Filme das Publikum fehlt.

Zur Mühlen: Ich glaube, Sie unterschätzen das Publikum. Meine Berlin-Filme etwa laufen bis heute im Fernsehen, und die Redakteure sagen mir, daß die Einschaltquoten immer noch gut sind.

Ihre weiteren Filme zum 20. Juli widmen sich etwa Stauffenberg, Graf Schwerin, Ludwig von Hammerstein – also vor allem den bekannteren Akteuren. Ausnahme: Ihr Film über General Fritz Lindemann.

Zur Mühlen: Richtig, und Lindemann wird ja auch „der vergessene Verschwörer“ genannt, wie auch das Buch meines Mannes über ihn heißt.

Guido Knopp hat den 20. Juli einmal „die Verschwörung der Obristen“ genannt, zu der deutsche Generäle nicht den Mut gehabt hätten. Fritz Lindemann, General der Artillerie, beweist das Gegenteil.

Zur Mühlen: Ja, und Lindemann ist noch aus einem weiteren Grund besonders interessant, denn er ist nicht nur gegen Hitler zur Tat geschritten, sondern hat bereits vorher in Polen als hochdekorierter Front- und Besatzungsoffizier alles unternommen, um der leidenden Zivilbevölkerung zu helfen. In einem Brief an seine Frau attestierte er der NS-Zivilverwaltung, „völlig versagt“ zu haben, während sich die Wehrmacht dort unter seinem Kommando um die Linderung des Elends sorgte: „Alles muß die Truppe machen!“ so Lindemann ärgerlich.

Warum wird immer nur an die Verbrechen erinnert? Selbst Oskar Schindler war vor dem Spielberg-Film bei uns unbekannt.

Zur Mühlen: Gute Frage! Es ist fast, als wollte man keine guten Deutschen. Denken Sie an meinen Film über Konrad Latte, ein Jude, der in Berlin jahrelang von Deutschen verborgen wurde und überlebte und im Versteck sogar seine Ausbildung zum Dirigenten und Pianisten machte! So viele haben ihm geholfen, und alle brachten sie sich damit in Lebensgefahr. Auch Ludwig von Hammerstein ist ja nach dem 20. Juli 1944 quasi quer durch ganz Berlin versteckt worden und wurde nie verraten! Es gab so viele Deutsche, die damals Zivilcourage bewiesen haben, aber mir ist, als wolle das kein Mensch wissen. Für mich wäre es wichtig, daß einmal begriffen wird, wie viele Deutsche damals ihr Leben für andere riskiert haben.

 

Irmgard von zur Mühlen, „zählt zu den renommiertesten Dokumentarfilmerinnen in Deutschland“ (WDR). Die Großnichte Erich Ludendorffs wurde 1936 in Berlin geboren.  Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Berliner Filmproduzenten Bengt von zur Mühlen, schuf sie eines der größten privaten deutschen Filmarchive. Bekanntheit erlangte ihre Firma Chronos-Film auch, als das Ehepaar exklusiven Zugriff auf bis dahin verschlossene sowjetische und DDR-Archive bekam. Irmgard von zur Mühlen drehte über achtzig Dokumentarfilme zur deutschen Geschichte, darunter über ein halbes Dutzend zum 20. Juli 1944. Das Buch ihres Mannes „Der vergessene Verschwörer. General Fritz Lindemann und der 20. Juli“ ist soeben neu erschienen.

www.chronoshistory.de

Fotos: Die junge Nina von Stauffenberg 1933 mit Ehemann Claus, Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld 1944 vor dem Volksgerichtshof (o.), General der Artillerie Fritz Lindemann: „Ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegangen“

 

weitere Interview-Partner der JF

 

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen