© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
„Aggressive Diskussion“
Marcus Schmidt

Romani Rose hadert mit der Berliner Politik. Er ist zornig. Die Diskussion der vergangenen Wochen und Monate in Deutschland über die angebliche Armutseinwanderung aus Südosteuropa ist dem Vorsitzenden des Zentralrates der Sinti und Roma in Deutschland übel aufgestoßen.

Etwas hat ihn dabei besonders gestört: Daß die „zunehmend aggressiv geführte Diskussion“ zur Armutseinwanderung auf dem Rücken der Sinti und Roma ausgetragen werde. „Keine Gruppe wird in Deutschland so schlimm diskriminiert und ausgegrenzt wie Sinti und Roma“, sagte Rose in der vergangenen Woche in Berlin und warnte vor den möglichen Folgen. In einer Krise könnte die Diskussion über die Armutseinwanderung in Deutschland wieder zu Gewalt gegen Roma und Sinti führen. „Wir wehren uns nicht gegen die Kriminalitätsbekämpfung“, fügte er hinzu. Diese sei im Interesse der Allgemeinheit.

Unterstützung bekam Rose von der Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders. Kaum eine Gruppe sei in Deutschland stärker von Diskriminierung betroffen als Sinti und Roma, sagte sie. Als Beispiele führte sie Benachteiligungen am Arbeitsmarkt sowie den Umgang der Polizei mit Zigeunern an. Die Diskussion über die „sogenannte Armutseinwanderung“ nannte sie „teilweise beschämend“.Anlaß war die Vorstellung der Studie „Antiziganismus in der deutschen Öffentlichkeit“ des Politikwissenschaftlers Markus End. Darin versucht der Autor nachzuweisen, daß Zigeunerfeindlichkeit in den unterschiedlichsten Formen in den deutschen Medien weit verbreitet ist. Dies habe sich besonders in der Diskussion über die Armutszuwanderung gezeigt, die in den Medien begrifflich häufig mit der Einwanderung von Roma und Sinti gleichgesetzt worden sei. „Nicht alle Roma sind Zuwanderer und arm. Und nicht alle Zuwanderer sind Roma“, sagte End. „Die Studie muß uns zu denken geben, weil sie aufzeigt, wie tief Vorurteile gegen die größte Minderheit Europas bei uns verankert sind“, beklagte Lüders und forderte ein Verbot rassistischer Wahlwerbung.

Bei den Grünen haben Rose und sein Verband Gehör gefunden. Anfang Juli brachte die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag einen Antrag zur Bekämpfung von Antiziganismus ein. Antiziganistische Vorurteile seien mitverantwortlich für die Ausgrenzung vieler Sinti und Roma aus dem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben. Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen unabhängigen Expertenkreis „Antiziganismus“ ins Leben zu rufen. Aufgabe des Gremiums soll es sein, in jeder Wahlperiode einen Bericht zum Antiziganismus in Deutschland zu erstellen. Zudem müsse die Forschung über die Zigeunerfeindlichkeit durch „die Einrichtung eines eigenständigen Institutes oder Zentrums“ institutionalisiert werden. Eine ähnliche Forderung stellte auch Rose. Seiner Ansicht nach müsse der Bundestag in Anlehnung an den Antisemitismusbericht jährlich einen Bericht zum Antiziganismus vorlegen.

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