© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Fachkräftemangel
Angst als Leitkultur
Peter Schmidt

Mit dem Schlagwort vom „Fachkräftemangel“ wird man beim Leser kaum mehr als eine gewisse Müdigkeit erzeugen. Alle Argumente dazu sind ausgetauscht, alle verfügbaren Statistiken zur einen wie zur anderen Seite hingebogen worden. Um einige neue Eindrücke zum Thema mitzunehmen, lassen Sie uns doch ausnahmsweise einen sonst wenig befahrenen Seitenweg in Richtung auf das Ziel nehmen.

Nach fünfzig Jahren unermüdlichem Absenken aller Leistungsstandards, schulischer und gesellschaftlicher Anforderungen, ist dem rot-grünen Komplex inzwischen ein erster großer Teilerfolg bei der Zerstörung des von ihm so verhaßten Kapitalismus gelungen. Wissenschaft und Elite sind restlos entwertet und desavouiert – Wissenschaft dient im Zweifel sowieso immer nur „dem System“ –, und nun kann wirklich jeder zu jedem Thema mitreden. Keiner ist mehr zu blöd, um nicht zu den komplexesten wissenschaftlichen Fragestellungen – zu denen selbst Spezialisten ins Grübeln und Abwägen kommen – kompetent Stellung zu nehmen.

Dies geschieht fast immer mit dem Satz: „Aber, ich hab’ Angst.“ Treffer. Danach geht in Fragen von Physik, Chemie und Biologie, Atomkraft und Gentechnik, vorzugsweise auch Tierschutz und Schulmedizin in diesem Land gar nichts mehr. In Tausenden von Talkshows erprobt, funktioniert es immer. All dies bekommt danach das letzte Gütesiegel, wenn der Großinquisitor Claus Kleber mit seinen dauerbetroffenen Helferinnen – mit abgeschrägtem Kopf voller Sorgen um die Menschen und das Land – Abend für Abend auch die letzten Risiken modernen Lebens und die kleinste nicht vollkaskogeschützte Nische des kalten Kapitalismus erschnüffelt. Der Daumen ist immer gesenkt, jeder Fortschritt dem Tod geweiht.

Dazu ein Schulsystem, das besonderen Wert darauf legt, daß die Kleinen bestens ausgebildet als Denunziatoren und Blockwarte Papa und Mama Hilfestellung geben können zu Fragen der Energieeffizienz, Mülltrennung und veganer Ernährung – der Lehrer selbst aber die Funktionsweise einer Dampfmaschine nicht mehr kennt. Und zur Abrundung noch Quote und Gender, mit deren Hilfe auch Siegeswillen und Kampfgeist, allesamt männliche Entartungen, aus dem gesellschaftlichen Fundus entfernt werden.

Nun sind wir – entschuldigen Sie die Abschweifung – über einen Umweg doch am Ziel angekommen. Ja, wir können sagen, Menschen mit Erfindungsgeist, Taten- und Forscherdrang wird es immer geben. Sogar der Sozialismus konnte die menschliche Neugier und das Streben nach Wissen und Können nicht ausrotten – und der hat nun wirklich alles versucht. Fachkräfte werden also mit aller Wahrscheinlichkeit vorhanden sein. Auch, weil die mittelständischen Unternehmer in der Ausbildung Großartiges leisten. Auch, weil neben der Einwanderung in die Sozialsysteme immer wieder junge Menschen den Weg zu uns finden, die hungrig, tatkräftig und schlau sind und den Weg nach oben wollen. Dorthin, wo sie an die Panzerglasdecke der Quote stoßen werden.

Deutschland verweigert die Anerkennung für Spitzenleistungen. Je abstrakter die technische Lösung, desto irrationaler die Ablehnung. Die jungen Schulabgänger wollen „irgendwie beim Staat unterkommen“. Hoch- und Risikotechnologie findet nicht mehr statt.

Sie werden aber keine gesellschaftliche Anerkennung mehr bekommen. Und das ist ein wesentlicher Aspekt. Sie werden keinen Stolz mehr entwickeln können, in Forschung und Wissenschaft an der Zukunft einer Gesellschaft tätig zu sein. Je abstrakter die technische Lösung, desto irrationaler die Ablehnung. Tierarzt, Diätberater und Sozialarbeiter sind die neuen Traumberufe. Die jungen Schulabgänger wollen „irgendwie beim Staat unterkommen“. Hoch- und Risikotechnologie findet in diesem Land nicht mehr statt. Wenn, durch die Energiewende erzwungen, immer mehr energieintensive, produzierende Unternehmen das Weite suchen, wird eine weitere Lücke gerissen.

Die verbliebenen Tüftler können sich dann auf die Suche nach dem CO2-freien Dönergrill machen. Bei mehr als einer Million Geräten im Umlauf sicher ein grünes Vorzeigeprojekt, wie es vorbildlicher nicht sein könnte. Und sollte dann der erste Pakistani auch „klimaneutrale“ Falafel auf die Speisekarte setzen, kann uns Deutschen auch in Integrationsfragen niemand auf der Welt mehr etwas vormachen.

 

Peter Schmidt, Jahrgang 1952, ist Präsident des Deutschen Arbeitgeber Verbandes e.V., zudem Aufsichtsrat in mehreren mittelständischen Unternehmen unterschiedlichster Ausrichtung. Schmidt studierte Philosophie und Alte Geschichte und war zwölf Jahre bei internationalen Konzernen tätig, darunter ITT und WANG Computer.

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