© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Klimaschutz durch geteiltes Fahrglück
Visionen zur Verkehrswende: Weg vom Fahren im Privat-PKW hin zum beweglichen Gemeineigentum
Christoph Keller

Ihre Vision von der „postfossilen Moderne“ liebevoll ausmalend, geraten die beiden Sozialwissenschaftler Weert Canzler (Wissenschaftszentrum Berlin) und Andreas Knie (Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel, Berlin) geradezu ins Schwärmen. Dabei entfährt den beiden Alt-Achtundsechzigern die verräterische Wendung von der imaginierten „Genossin“, die im Berlin des Jahres 2028 die überbaute Stadtautobahn bewundern und sich über das phantastische Angebot an Fahrrädern und Elektroautos freuen werde.

Mit Genossin meinen Canzler und Knie zwar nur ein Mitglied jener dezentralisierten Betriebsformen, die in naher Zukunft anstelle des zentral verwalteten öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) treten sollen. Aber ein Hauch sozial­revolutionärer K-Gruppen-Romantik klingt in der einst so beliebten Anrede gleichwohl nach.

„Verfügungsgewalten“ müßten sich ändern

Und das ist kein Zufall. Denn wie andere Beiträger des Themenheftes „Postfossile Mobilität“ der linken Münchner Zeitschrift Politische Ökologie (137/2014) haben Canzler und Knie ihre Träume vom radikalen Gesellschaftsumbau keineswegs begraben. Nur das „revolutionäre Subjekt“ ist neu. An die Stelle der Arbeiterklasse, des akademischen Proletariats oder der „Verdammten dieser Erde“ (Frantz Fanon) in der Dritten Welt ist heute die „Zivilgesellschaft“ getreten, die dem ökologischen Imperativ gehorchen und der Energie- und Verkehrswende einen „gemeinwirtschaftlichen“ Stempel aufdrücken soll.

Der im versunkenen totalitären Zeitalter links wie rechts so ungemein zündende „Gemeinschaftsgedanke“ erfreut sich daher frischen Zuspruchs. Schließlich lasse sich die Energiewende nicht als ingenieurtechnisches Großprojekt meistern. Ohne „grundlegende Veränderungen im Verkehrsverhalten“ werde sie scheitern. Dazu zähle in erster Linie der Abschied von der individualistischen Verbraucherkultur. In der Automobil- und Verkehrswirtschaft müssen sich die „Verfügungsgewalten“ ändern. „Nutzen statt besitzen“ laute das Motto auf dem Weg hin zur „Optimierung von öffentlichen Autos“.

Mit den Carsharing-Fahrzeugen, von denen es in Berlin leider erst 5.000 bei 1,2 Millionen zugelassenen Kraftfahrzeugen gebe, sei immerhin ein Anfang gelungen. Deutlich zeichne sich hier bereits eine soziale Praxis ab. Was einen Optimismus begründe, den jüngste Umfragen unter Jugendlichen beflügeln. Sie erwerben zwar den Führerschein, fahren aber deutlich weniger, da Busse, Bahnen und Fahrräder für sie an Bedeutung zunehmen. Die „Loslösung vom exklusiven Privatfahrzeug hat also zumindest begonnen“.

Ebenso wandle sich die individualistische Mentalität im Versorgungssektor. Bürger schlössen sich mehr als je zuvor zusammen, „um gemeinschaftlich Solar- und Windanlagen zu betreiben“. Über 900 Energiegenossenschaften existieren heute in Deutschland, davon seien 150 allein 2013 gegründet worden, um Solaranlagen oder Windkrafträder zu errichten. Angesichts dieser Rasanz der Dezentralisierung scheint für Canzler und Knie die staatlich organisierte und rechtlich streng regulierte Verkehrswirtschaft auf dem Aussterbeetat zu stehen.

Gemeinwirtschaftliche Verkehrskultur

Das Fahrrad, so jubelt Michael Adler, Chefredakteur der Zeitschrift fairkehr, übernehme bei jungen Leuten die Führungsrolle im Stadtverkehr. Zugleich lasse sich in Vancouver oder Amsterdam beobachten, wie Anbieter des „Free-Floating-Carsharing“ dem ÖPNV Fahrgäste abwerben. Adler beruft sich auf den Bürgermeister von Paris, der dekretiere, in der Stadt des 21. Jahrhunderts habe das Auto nichts mehr verloren. Offenbar auch nicht mehr in ländlichen Räumen, wo nach Ansicht der Umweltwissenschaftlerin Melanie Herget „Bürgerbusse“ wie der Kombibus in der Uckermark oder das Odenwaldmobil die private PKW-Nutzung wenigstens eindämmen.

Ob „Klimaschutz durch geteiltes Fahrglück“ wirklich funktioniert? Friederike Hülsmann und Wiebke Zimmer vom Berliner Ökoinstitut sind da skeptisch. Es sei bislang „wissenschaftlich nicht eindeutig zu belegen“, daß Carsharing sich nachhaltig auf das Mobilitätsverhalten auswirke. Bestenfalls weise vieles darauf hin, daß sich die Gesellschaft in den Großstädten von der „Fixierung auf das eigene Auto“ entferne.

Ein Ablösungsprozeß, den nach Einschätzung von Gerd Lottsiepen (Verkehrsclub Deutschland) hohe technische Hürden behinderten. Auf absehbare Zeit stünden keine Überschußkapazitäten an grünem Strom zur Verfügung. Damit sei auch die Zukunftsvision, mit Ökostrom per Elektrolyse Wasserstoff zu erzeugen und in Brennstoffzellen zu nutzen, „wenig erfolgversprechend“. So bleibe mittelfristig nur die Alternative batteriebetriebener E-Mobile. Die aber rechnen sich für Privatkunden nicht, da sie „auf absehbare Zeit deutlich teurer“ seien als herkömmliche Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.

Auf eine Effizienzrevolution und einen Preisverfall wie bei Computern oder Speichermedien könne man beim Auto-Akku indes noch lange warten. Und selbst wenn Batterien 2025 doppelt soviel leisten würden und halb so teuer wären, kosteten E-Autos weiterhin 5.000 Euro mehr und taugten nicht als Fernverkehrsmittel. Besteuere der Staat den CO2-Ausstoß nicht „einschneidend“ und blieben Diesel und Benzin auf dem heutigen Preisniveau, würden sich E-Autos schlicht nicht durchsetzen. Eine Einsicht, die nicht gegen ihre weitere Erprobung spreche, die aber wie von selbst hinführe zu der von Canzler und Knie proklamierten neuen „gemeinwirtschaftlichen Verkehrskultur“.

Foto: Autowahn und Parkplatznot: Träume vom radikalen Gesellschaftsumbau durch kollektivierte Mobilitätsmodelle

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