© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Super sexy, super geil
Schmuckstück des Berliner Untergrunds: Das Gesamtkunstwerk mit Bauch Friedrich Liechtenstein
Toni Roidl

Ein Gesamtkunstwerk: mal Theaterregisseur, mal Pop-Produzent, mal Konzeptkünstler. Als Hans-Holger Friedrich war er Puppenspieler in der DDR, bis er sich nach der Wiedervereinigung als Friedrich Liechtenstein völlig neu erfand. Mal liest er Hörbücher, mal geht er als Sänger und Conférencier auf Tournee, mal moderiert er im Fernsehen. En passant veröffentlicht er hin und wieder Soloalben. Ebenfalls wie nebenher zog der 1956 in Eisenhüttenstadt geborene Schauspieler vier Kinder groß.

Alles nichts Großes. Doch dann wurde er zufällig berühmt. Das Berliner Spaß-Hiphop-Duo „Icke & Er“ führte an der Volksbühne sein Lied „Richtig geil“ auf, ein witziges Stück darüber, was die beiden im Leben „rischtisch jeil“ finden, zum Beispiel „Rippe mit Jemüse“. Unter den Darstellern des Musiktheater-Projektes war auch Liechtenstein. Kurz darauf fand sich der 57jährige mit dem markanten weißen Rauschebart als Hauptdarsteller in einem Musikvideo wieder, das den „Richtig geil“-Song adaptierte, diesmal als „Supergeil“.

„Unscharf, verwandelbar und geht Symbiosen ein“

Aus dem Stück wurde ein kleiner Internet-Schlager. In der Werbeabteilung der Lebensmittelkette Edeka wurde jemand darauf aufmerksam und erteilte der Hamburger Marketingagentur Jung von Matt den Auftrag, eine neue Version als Werbefilm für Edeka aufzunehmen. Hauptdarsteller: wiederum Friedrich Liechtenstein.

Die internationale Werbe-Fachwelt war vor Begeisterung von den Socken. Der wohl ungewöhnlichste Werbeclip eines Supermarktes und Ode an den Konsumismus wurde ein Klick-Hit auf Youtube mit unfaßbaren 11,3 Millionen Mal. Und Liechtenstein, der in dem Film mit sonorer Schmelzstimme und lässig-sanften Bewegungen Produkte und (weibliches) Personal von Edeka liebkost, zur virtuellen Berühmtheit: „Supercrunchy, supertasty, supercrazy, superfruchtig, superlecker, supergeil.“ Das als Bezahl-Download vermarktete Lied erreichte sogar Platz 50 der deutschen Verkaufs­charts.

Berühmt wurde der schräge Opa zwar, aber nicht reich. Das ist Liechtenstein egal, denn er hat trotzdem einen lukrativen Job: Er ist Schmuck-Eremit. In Fürstenhäusern des Rokoko waren Themen-Gärten sehr beliebt. Die Eremitenhöhle war der Klassiker. Um die Höhlen zu beleben und Gästen einen „echten“ Eremiten vorstellen zu können, suchten die Adligen mit Anzeigen nach Exzentrikern, die gegen Bezahlung als Einsiedler in den Parks hausten. Liechtensteins Eremitage ist ein Stockwerk in der raumschiffartigen Luxus-Immobilie Linienstraße 40 in Berlin. Hier lebt er kostenfrei als lebendes Inventar – angeblich ohne eigenes Laptop und Smartphone – und verkündet Weisheiten wie die, daß die Zeit der (deutschen) Eiche vorbei sei. „Die Alge ist ein besserer Guide durchs moderne Leben als ein Baum. Sie ist unscharf, verwandelbar und geht Symbiosen ein.“ Wir sind not amused, aber wollen es ihm durchgehen lassen: weil er sonst so sympathisch rüberkommt.

Nun veröffentlicht Liechtenstein auf dem Label „Heavy Listening“ sein neues Popmusikalbum. „Bad Gastein“, wie der vormals mondäne und später verstaubte Kurort im Nationalpark Hohe Tauern (Österreich). Die elf Titel erzählen phantasiereiche Geschichten von Liebe, Sehnsucht, vergangenem Glanz und einsamen Kommissaren im morbiden Charme der alten Hotels. Musikalisch bewegt sich der Elektronik-Pop zwischen schwülstigen Streichern und der Tradition der Schweizer Experimental-Pioniere Yello.

Angeblich ist Bad Gastein bei jungen Hipstern aus den Metropolen Wien, Zürich und München inzwischen wieder im Kommen. Vielleicht profitieren jetzt sowohl das Heilbad als auch der skurrile (Lebens-)Künstler Liechtenstein von der Platte, so wie im Fall von Edeka.

Das Album erscheint am 25. Juli.

heavylistening.de

Friedrich Liechtenstein, „Bad Gastein“. Heavy Listening, Berlin

Foto: Kann „Supergeil“ inzwischen nicht mehr hören: Friedrich Liechtenstein ganz schnieke gemacht für den „New Faces Award Film“ im Mai in Berlin; oben in „geilen“ Szenen aus dem Edeka-Werbeclip

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