© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/14 / 18. Juli 2014

Der Flaneur
Rollende Freikörperkultur
Andreas Harlaß

Sonniger Sonnabendvormittag. Ich steige in meinen Mercedes-Geländewagen, fahre vom Hof, um den üblichen Wochenendeinkauf zu erledigen. Grillzeugs, Bier und dergleichen. Da kommen sie angefahren: Acht Radler, geschätztes Alter zwischen 55 und 60 Jahren.

Ich wohne direkt am Elberadweg zwischen Dresden und Meißen. Radfahrer sehe ich täglich. Hunderte. Aber dieses Grüppchen ist anders als die sonst bunt bekleideten, meist übergewichtigen, in viel zu enge Klamotten gepreßten Freizeitsportler, die an meinem Hoftor vorüberrauschen. Alle sind nämlich nackt. Ganz nackt! Sie schauen mir in die Augen. Ich glotze durch die Frontscheibe und bin baff. Mein Mund ist geöffnet.

Sehr üppig. Eigentlich will ich nicht glotzen, tue es dennoch. Frech grinsen sie mich an.

Ein Nackt-Pärchen strampelte auf einem Tandem. Sie vorn, er hinten. Ich sehe riesige Brüste, auch alles andere ist üppig. Sehr üppig. Eigentlich will ich nicht glotzen, tue es dennoch. Die Nackt­radler sehen mein fassungsloses Gesicht und grinsen mich frech an. Und schon sind sie an mir vorbei.

„Was war das denn“, rattert es in meinem Kopf. Dann greife ich zum Smartphone und rufe einen Bekannten an. Der betreibt einen Biergarten, etwa zwei Kilometer entfernt. Der liegt am Radweg und dort müssen die nackten Radfahrer unweigerlich vorbei. „In fünf oder zehn Minuten kommt ein Trupp nackter Radfahrer bei dir vorbei“, sage ich. „Mach mal ein Foto. Vielleicht für die Zeitung“, sage ich aufgeregt. Nach einer Viertelstunde ruft er zurück: „Der ganze Biergarten hat geguckt. Konnte aber kein Foto machen, hatte ein Tablett in der Hand. Aber die haben doch eine Meise!“ Was treibt Menschen dazu, frage ich mich, sich derart zur Schau zu stellen. Alle gucken, alle lachen, fast alle finden es nicht sonderlich schön. Ratlos. Ich weiß es nicht.

Wie sagte einst der Alte Fritz sinngemäß: „Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden.“ Ein Blick ins Netz, Stichwort: Nacktradeln. „Suche Gruppe, der ich mich anschließen kann.“ Für mich wär’s nix. Einkehr im Biergarten unmöglich. Und wenn es die Polizei sieht: Das setzt ’ne Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Irgendwie suchen sie den Kick.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen