© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

„Totaler als Stasi und KGB“
Der ehemalige Technische Direktor der NSA William Binney warnte bereits ab 2001 vor den Machenschaften des US-Geheimdienstes, doch kaum einer glaubte ihm. Bis Edward Snowden bewies, daß Binney recht hat. Nun sagte er erstmals in Berlin vor dem Bundestag aus.
Moritz Schwarz

Herr Binney, Ihre Aussagen vor dem NSA-Untersuchungsausschuß des Bundestages Anfang Juli sorgten für Schlagzeilen im ganzen Land.

Binney: Ja, ich war sehr erfreut, weil das Thema so wichtig ist.

„US-Agent vergleicht NSA mit Diktatur“, „NSA-Praxis totalitär“ titelten etwa „Spiegel“ und Tagesschau über Ihren Auftritt.

Binney: Das, was meine ehemalige Firma tut – und worin sie von der Regierung der USA unterstützt wird –, ist nicht einfach nur, unsere Verfassung zu brechen – was schon schlimm genug wäre –, sondern geht in die Richtung, die für totalitäre Regime typisch ist.

Fünf Stunden lang wurden Sie unter Ausschluß der Öffentlichkeit vom Bundestagsausschuß gehört. Was haben Sie unseren Parlamentariern genau erzählt?

Binney: Daß wir alle – die Ausschußmitglieder, ihr Deutschen, aber auch wir Bürger der Vereinigten Staaten – es inzwischen mit einem Imperium zu tun haben. Denn wenn eine Regierung einem Geheimdienstapparat zehn Milliarden Dollar zur Verfügung stellt, dann entsteht ein Imperium. Und sie werden nicht aufhören, es auszubauen, egal was die US-Regierung Ihnen erzählt.

Wie haben die Abgeordneten reagiert?

Binney: Ich hatte den Eindruck, daß sie beeindruckt hat, was ich ihnen geschildert habe.

Zum erstenmal hat der Untersuchungsausschuß mit Ihnen einen ehemaligen NSA-Mitarbeiter befragt. Sind Sie sozusagen der Ersatz für Edward Snowden, den man nicht einzuladen wagt?

Binney: Edward Snowden, Tom Drake oder ich – wir alle haben das gleiche zu berichten. Uns unterscheidet im Grunde lediglich die Perspektive, weil wir unterschiedliche Funktionen bei der NSA hatten.

Als ein ehemaliger Technischer Direktor sind Sie eigentlich der höchstrangige unter den NSA-Whistleblowern. Warum ist Edward Snowden dennoch berühmter als Sie?

Binney: Ich habe die NSA schon 2001 aus Protest verlassen, bevor ich mich an die Presse gewandt habe. Anders als Snowden kann ich also über die letzten 13 Jahre keine Interna berichten.

Dennoch, im Grunde hat Snowden nichts zu sagen, was Sie und Tom Drake nicht schon vor Jahren der Öffentlichkeit mitgeteilt haben.

Binney: Und dennoch, Drake und ich hatten der Öffentlichkeit lediglich berichtet, was wir über die verfassungsfeindlichen Vorgänge in der NSA wußten. Das Problem war aber, daß die NSA und die US-Regierung alles leugneten. Snowden dagegen hat 50.000 geheime Unterlagen kopiert und den Medien zugänglich gemacht. Damit kann er das, was wir nur berichteten – aus Sicht der US-Regierung fälschlich „behaupteten“ – auch beweisen! Deshalb ist Snowden heute so viel bekannter als wir. Deshalb aber sitzt er auch im Ausland im Asyl.

Tom Drake sagte 2013 im Interview mit dieser Zeitung: „Edward Snowden steht auf meinen Schultern.“

Binney: Ja, es gab vor Edward Snowden insgesamt fünf NSA-Whistleblower: Tom Drake, Kirk Wiebe, Ed Loomis, Russ Tice und mich.

Dabei hat die NSA Zigtausend Mitarbeiter.

Binney: Aber selbst die, die mit dem was die NSA macht, nicht einverstanden sind, trauen sich nicht, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Kein Wunder, denn das, was sie mit Drake, mir und den anderen gemacht haben, schreckt ab. Sie haben versucht, uns mit fingierten Beweisen ins Gefängnis zu bringen. Mein Haus wurde von bewaffneten Polizisten gestürmt. Ich stand gerade unter der Dusche, als plötzlich ein Polizist vor mir stand und seine Waffe auf mich richtete. Das war natürlich völlig unnötig, aber sie wollten mir ihre Macht demonstrieren, mich einschüchtern und zeigen, was Leute wie ich zu erwarten haben. Es war ein Alptraum. Und sie versuchen uns, wo sie nur können, das Leben schwerzumachen.

Warum haben Sie damals keine Beweise sichergestellt, es mußte Ihnen doch klar sein, daß Ihre Regierung alles leugnen würde.

Binney: Dokumentendiebstahl ist ein Verbrechen, und ehrlich gesagt, ich ging davon aus, daß es ausreichen würde, wenn ich auspacke. Ich war auf meiner Ebene einer von nur drei Technischen Direktoren der NSA. Immerhin wußten die Abgeordneten im US-Kongreß, wer William Binney war. Außerdem hatte ich die Überwachungsprogramme, die nun auf solche Art und Weise mißbraucht wurden, sozusagen mitkonstruiert und gestartet. Ich glaubte, mein Rang und Name würden genügen. Irrtum. Ich habe die Politik unterschätzt. Heute weiß ich, sie leugnen alles und man braucht Beweise, sonst lügen sie und behaupten, du wärst der Lügner, und sie kommen damit durch.

Während der Anhörung vor dem NSA-Bundestagsausschuß widersprachen Sie der bisherigen Darstellung von NSA und US-Regierung, man speichere lediglich die Metadaten der Telekommunikation – also nur die äußeren Verbindungsdaten und nicht die kompletten Inhalte von Telefonaten und Schriftverkehr.

Binney: Das ist natürlich das, was sie uns erzählen. Ich sage Ihnen, das stimmt nicht! Zur Speicherung der Metadaten sämtlicher Telekommunikation auf der Erde braucht man nicht mehr Speicherplatz als in einen Raum von zwanzig mal vierzig Fuß paßt. Tatsächlich aber bauen sie in der Wüste von Utah ein Datensammelzentrum mit hunderttausend Quadratfuß Platz, außerdem unterhalten sie weitere Speicherzentren in Fort Mead und in San Antonio, jeweils nochmal mit mehreren Zehntausenden Quadratfuß Platz, und es gibt weitere. Wozu, frage ich Sie, brauchen sie all den Platz? Für ein paar Metadaten, und den Rest lassen sie leer stehen? Das glaubt doch kein Mensch!

Laut Bundestagsprotokoll haben Sie gesagt, die NSA wolle „über jeden alles wissen“, und meinen damit jeden der sieben Milliarden Menschen auf der Welt. Übertreiben Sie nicht?

Binney: Nein, das ist keine rhetorische Figur, keine Übertreibung oder Zuspitzung, um etwas deutlich zu machen, ich meine das wortwörtlich so.

Trotz der riesigen Datensammelkomplexe – genügen diese Einrichtungen denn tatsächlich, um alle Kommunikationsinhalte weltweit zu speichern?

Binney: Ja, das tun sie. Das genügt mindestens, um etwa hundert Jahre der globalen Kommunikation zu speichern. Sie können sich das als Laie vielleicht nicht vorstellen, aber das ist mit diesen Einrichtungen möglich. Natürlich speichern sie nicht alles, einiges wird sofort als unerheblich erkannt und ausgesondert wird. Aber alles was über jeden einzelnen Kommunikationsteilnehmer auf dieser Erde irgendwie interessant sein könnte, wird zumindest für eine gewisse Zeit gespeichert. Vor zehn Jahren war das technisch noch nicht möglich, aber heute ist es das. Die NSA hat aufgrund der ständig fortschreitenden Technologie sogar schon die ostdeutsche Stasi überrundet. Der ehemalige Stasi-Oberstleutnant Wolfgang Schmidt hat einmal gesagt, die NSA sei das, wovon die Stasi immer geträumt habe. Das sagt eigentlich alles. Vergessen Sie Stasi, KGB und Gestapo, das ist altmodischer Kram.

Mit totalitär meinen Sie, jeder von uns ist ein Ziel der NSA?

Binney: Mit totalitär meine ich erstens, jeder von uns wird überwacht, um dann wenn sie es wollen ein völlig wehrloses Ziel zu sein. Mit totalitär meine ich zweitens, daß sie die gesammelten Daten nicht isoliert zur Verbrechens- und Terrorabwehr verwenden, sondern daß die NSA ihre Erkenntnisse verfassungswidrig auch anderen Organen zur Verfügung stellt. So entsteht ein Geflecht. Alle möglichen staatlichen Stellen können plötzlich detaillierte Informationen über jeden Bürger erlangen. Und mit totalitär meine ich drittens, daß die Überwachung aller zwangsläufig auch Wirtschaftsspionage und politische Spionage mit einschließt, so daß jederzeit Informationen zur Verfügung stehen, um sich überall auf der Welt bis hin zur Erpressung in die Politik einzumischen. Denn wird jeder überwacht, dann natürlich auch die, die an verantwortlicher Stelle in unserer Wirtschaft oder Politik arbeiten. Wenn diese Menschen, die wie alle Menschen auch ihre kleinen oder großen Schwächen haben, plötzlich zum Ziel der NSA werden, eröffnen sich den USA ungeahnte Einflußmöglichkeiten auf jede politische Partei, auf jeden Beamtenapparat und auf jede Regierung in jedem Land der Welt. Solche Dinge werden plötzlich wie nebenbei möglich, wenn wir zulassen, daß die weltweite Kommunikation pauschal abgeschöpft und gespeichert wird.

Was wird dann aus der Souveränität und Unabhängigkeit der europäischen Staaten?

Binney: Tja, das können Sie sich doch selbst ausmalen.

In Fachkreisen gibt es bereits einen Namen für diese zukünftigen Verhältnisse: Internet-Kolonialismus.

Binney: So ist es, wenn nämlich das Internet dazu führt, daß aus einer Welt souveräner Staaten Quasi-Kolonien eines Imperiums werden, das das Internet beherrscht.

Der deutsche Generalbundesanwalt will in der mutmaßlichen massenhaften Ausspähung der deutschen Öffentlichkeit nicht ermitteln, weil ein Anfangsverdacht fehle.

Binney: Mein Gott, wie vertrauensselig.

Immerhin hat die Bundesregierung den CIA-Leiter in Deutschland dazu aufgefordert, das Land zu verlassen

Binney: Ja, ich bin beeindruckt ...

Sind die deutschen Behörden nach Ihrer Ansicht zu unkritisch oder versuchen sie, die NSA und damit die USA zu decken?

Binney: Das weiß ich natürlich nicht, aber ich würde sagen, die Spitzen in der deutschen Regierung wissen, was in Wirklichkeit läuft, wollen die Sache aber unter der Decke halten, weil sie selbst davon profitieren.

Können wir unserer eigenen Regierung also in der Sache nicht trauen?

Binney: Das kann ich letztlich nicht beantworten, aber überlegen Sie mal: Wenn die NSA sogar Ihre Bundeskanzlerin abhört, warum sollten sie dann beim einfachen deutschen Bürger Skrupel haben? Wie plausibel ist es also anzunehmen daß da nichts gelaufen ist?

Skrupel vielleicht nicht, aber kein Interesse.

Binney: Ach Sie meinen, die USA geben Milliarden für ein weltweites Mega-Überwachungssystem aus, um es dann nicht einzusetzen? Oder meinen Sie, die NSA hört zwar den Rest der Welt ab, aber ausgerechnet die Privatsphäre der Deutschen, die respektiert sie? Also mit Verlaub ...

Die Frage ist, sind die deutschen Behörden Teil der Antwort oder Teil des Problems? Versuchen sie die Deutschen zu schützen oder sind die deutschen Dienste Teil dessen, was Sie das „Imperium“ nennen?

Binney: Sehen Sie, das ist genau das, was ich eben auch befürchte. Wir wissen, daß NSA und BND lange gut zusammengearbeitet haben. Tom Drake hat den BND sogar einmal den „Wurmfortsatz der NSA“ genannt. Ich weiß nicht, wie das Verhältnis zwischen NSA und BND heute ist, denn seit 2001 habe ich keinen Einblick mehr, aber ich befürchte, daß in der westlichen Welt ein regelrechtes Geheimdienstkonglomerat entstehen könnte. Das aber wäre absolut verhängnisvoll. Denn was die Deutschen und die anderen Europäer tun müssen, ist aufzustehen und zu sagen: „Das ist unser Land! Ihr habt hier nichts zu suchen!“ Noch ist Deutschland ein souveränes Land. Also tut etwas, damit es so bleibt! Wenn ihr Deutschen eure Demokratie und Unabhängigkeit behalten wollt, dann müßt ihr aufstehen! Sonst werdet ihr sie verlieren. Glaubt nicht, die Gefahr des Internet-Kolonialismus besteht für euch nicht.

Wie genau soll das aussehen?

Binney: Ganz einfach: Es braucht nichts weiter als eine strikte Geheimdienstgesetzgebung und eine effektive Kontrolle. Wer ist denn der Auftraggeber der Dienste? Wer gewährt ihnen ihr Budget und ihre Kompetenzen? Das sind letztlich die Parlamente, also wir Bürger. Solange Demokratie und Rechtsstaat noch funktionieren, haben wir alle Mittel in der Hand, um diese Entwicklung zu beenden. Voraussetzung ist nur, daß wir Bürger es wollen und dies unseren Politikern auch ummißverständlich mitteilen! Ich habe über dreißig Jahre für die NSA gearbeitet, und die meiste Zeit davon hat sie sich mehr oder weniger an die Verfassung gehalten. Ich bin während des Kalten Krieges zur NSA gegangen, weil ich mein Land und die Länder der freien Welt gegen die totalitäre Gefahr aus dem Osten schützen wollte. Und das habe ich jahrzehntelang auch gemacht. Dann aber kam der 11. September 2001 und plötzlich wurde alles anders, plötzlich begann sie pauschal das eigene Volk zu überwachen – das war das erste Opfer, das eigene Volk, bevor die Technologie es möglich machte, die gesamte Welt abzuhören. Diese Entwicklung ist verhängnisvoll, aber die gute Nachricht ist, sie zeigt, daß es auch einmal anders war. Die Verhältnisse können sich auch wieder ändern, aber nur wenn wir Bürger, wenn jeder einzelne von uns sich dafür einsetzt, daß das auch passiert.

 

William Binney, der ehemalige Technikchef der Abteilung für militärische und geopolitische Aufklärung des US-Abhördienstes NSA galt zu seiner aktiven Zeit als „einer der besten Codeknacker der Welt“ (Zeit) und „legendärer NSA-Mathematiker“ (CBS News) und gilt Kennern als einer der bekanntesten Whistleblower der USA. Am 3. Juli 2014 sagte er als erster ehemaliger Mitarbeiter der National Security Agency zusammen mit Thomas Drake (JF 43/12 und 45/13) in Berlin vor dem NSA-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages in nichtöffentlicher Sitzung aus. Geboren wurde Binney 1940 in Pennsylvania. Er diente vier Jahre beim Army Security Service des US-Heeres und wechselte 1970 zur NSA. Dort war er zunächst als Experte für Rußland zuständig, bevor er einer der Direktoren der NSA wurde und damit Vorgesetzter von 6.000 Geheimdienst-Analysten. Doch nach dem 11. September 2001 quittierte er aus Empörung über die Ausspähung der amerikanischen Bevölkerung im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes den Dienst. Schließlich wandte er sich an die Öffentlichkeit und warnte in mehreren US-Medien vor den Machenschaften der NSA, der er inzwischen attestiert: „Diese Macht gefährdet unsere Demokratie.“

Foto: Ex-NSA-Direktor und Whistleblower William Binney: „Plötzlich eröffnen sich den USA ungeahnte Einflußmöglichkeiten auf jede Regierung in jedem Land der Welt ... Aus einer Welt souveräner Staaten (könnten) Quasi-Kolonien eines Imperiums werden, das das Internet beherrscht.“

 

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