© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Hilfe aus Vietnam
Crystal Meth: Mit unorthodoxen Methoden wird im deutsch-tschechischen Grenzgebiet versucht, die Ausbreitung der Droge einzudämmen
Paul Leonhard

Am Abend des 2. Juli kontrollieren Zöllner und Bundespolizisten auf dem Parkplatz Heideholz an der Autobahn 17 einen tschechischen Linienbus. Die Reisenden müssen aussteigen und sich neben ihr Gepäck stellen. Dann schlägt die große Stunde für Franka. Die Rauschgiftspürhündin interessiert sich besonders für den Rucksack eines 47 Jahre alten Tschechen. Bei der anschließenden Kontrolle entdecken die Beamten drei in Aluminumfolie verpackte wurstähnliche Rollen mit etwas mehr als einem Kilo Crystal Meth. Dies reicht im Straßenhandel für mehr als 10.000 Trips.

Erfolge wie diese sind für die Sonderkommission „Crystal“ des Zollfahndungsamtes und der Staatsanwaltschaft Dresden längst kein Einzelfall. In Bayern wurden im vergangenen Jahr 36 Kilogramm beschlagnahmt, in Sachsen knapp 27, in Sachsen-Anhalt sechs, in Thüringen 3,5. Meistens stammten die Drogen aus tschechischen Rauschgiftküchen.

„Teufelszeug den Kampf ansagen“

Der Freistaat werde von Crystal Meth „regelrecht überschwemmt“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) Anfang des Jahres. Eine „Großkampagne, um das Teufelszeug zu entzaubern“, forderte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), als er jetzt bekanntgab, daß sich die Zahl der Straftaten in Zusammenhang mit Crystal seit 2008 fast verdreifacht habe, auf knapp 5.000 Delikte. In diesem Jahr setze sich diese Tendenz fort, so Ulbig. Die Dunkelziffer ist hoch, da viele Abhängige sich das benötigte Crystal im kleinen Grenzverkehr selbst organisieren und ihr Risiko, gefaßt zu werden, relativ gering ist. Da Rauschgiftdelikte nur in Ausnahmefällen von Bürgern angezeigt werden, spiegeln die Fallzahlen vor allem die polizeiliche Kontrolltätigkeit wider.

Die Bundesregierung hatte lange Zeit abgelehnt, Crystal Meth als gesamtgesellschaftliches Problem wahrzunehmen. Deswegen steht sie dem Phänomen heute weitgehend hilflos gegenüber. Noch vor einem Jahr sprach BKA-Präsident Jörg Ziercke von einer kleinteiligen Szene, die momentan in Tschechien und dem Grenzgebiet eine Rolle spiele. Deutschland sei von den weltweiten Strukturen des Handels mit kristallinen Methamphetaminen mit Ausnahme eines gewissen „Streuwirkung“ noch nicht erfaßt. Mit ähnlicher Begründung lehnte die damalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung Mechthild Dyckmans (FDP) eine bundesweite Präventionskampagne ab.

Seit gegen den SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann wegen des Verdachts ermittelt wird, Crystal Meth gekauft zu haben, und Dyckmans Nachfolgerin Marlene Mortler (CSU) als Drogenbeauftragte ihren Drogen- und Suchtbericht vorgestellt hat, sieht man in Berlin die von der Designerdroge ausgehende Gefahr. Mortler bestätigte, daß es Hinweise auf eine Ausbreitung über das Grenzgebiet hinaus in bestimmte gesellschaftliche Szenen und Großstädte gibt. Besonders betroffen ist dabei die sächsische Landeshauptstadt. Das geht aus einer Studie hervor, in der das Abwasser von 42 ausgesuchten Städten in Europa verglichen wurde. Die meisten Rückstände von Crystal Meth wurden danach im Abwasser von Prag und Budweis sowie in Oslo, Preßburg und Dresden gemessen.

In der Tschechei wurde dieses Ergebnis richtig gewertet. Die Politik nimmt es mit dem Kampf gegen die Drogenkriminalität inzwischen so ernst, daß am 7. Juli in Prag ein Vertrag zwischen dem tschechischen Innenminister Milan Chovanec und seinem vietnamesischen Amtskollegen Nguyen Thai Binh abgeschlossen wurde. Vietnamesische Polizisten sollen helfen, das in der Hand ihrer Landsleute befindliche Drogenmilieu im Grenzgebiet zu unterwandern, Drogenküchen auszuheben und die Kriminellen festzunehmen. In der vergangenen Woche unterzeichnete Chovanec dann in Prag mit seinem sächsischen Amtskollegen eine Absichtserklärung mit dem Ziel, die Zusammenarbeit zu intensivieren. So sollen etwa gemeinsame Ermittlungsgruppen eingerichtet werden. „Es gilt, diesem Teufelszeug grenzüberschreitend den Kampf anzusagen“, sagte Ulbig.

Eine Erhöhung des Verfolgungsdrucks auf Hersteller und Verkäufer von Crystal Meth fordert die Gewerkschaft der Polizei (GdP) schon lange. Deren Vorsitzender Oliver Malchow hatte angesichts der um zehn Prozent gestiegenen Zahl der Sicherstellungsfälle und der um drei Prozent gestiegenen Menge beschlagnahmter synthetischer Drogen betont, daß es auf den ersten Blick zwar ermutigend sei, wenn mehr Drogen beschlagnahmt werden, die Polizei müsse aber in die Lage versetzt werden, „über längere Zeit mit Hochdruck nach den Hintermännern sowie den Produktionsstrukturen und Vertriebswegen“ fahnden zu können.

Auch die innenpolitische Arbeitsgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert Maßnahmen, um eine weitere Ausbreitung der Droge zu verhindern. In der Grenzregion dürfe die Bundespolizei nicht weiter ausgedünnt und müsse schnellstens ein deutsch-tschechisches Polizeiabkommen analog zu dem mit Polen geschlossenen verabschiedet werden. GdP-Chef Malchow fordert eine „eng verzahnte internationale polizeiliche Zusammenarbeit“ sowie eine „intensivierte bundesweite Anti-Drogen-Kampagne“.

„Wir brauchen eine breitangelegte Informationskampagne, damit die Gefahren und Risiken bekannter werden“, sagt Sachsens Innenminister. Im Landkreis Meißen wurde jetzt ein Suchtpräventionsbeauftragter berufen, der ein stabiles Netzwerk als Pilotprojekt für den gesamten Freistaat aufbauen soll. Immerhin weiß man hier schon, daß vor allem 20- bis 30jährige die schnell süchtig machende und schwere gesundheitliche Schäden hervorrufende Droge zur schnellen Leistungssteigerung nutzen. Vom Europäischen Parlament fordert Ulbig eine europaweite Verschreibungspflicht für die zur Herstellung von Crystal nötigen Ausgangsstoffe.

Foto: Vom Zoll in Dresden sichergestelltes Crystal Meth: „Gefahren und Risiken bekannter machen“

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