© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Lieber doch nicht Khomeini besuchen
Reise in den Iran: 25 Jahre nach dem Tod des Revolutionsführers wirken die gesellschaftlichen Verhältnisse wie zementiert / Doch die islamische Fassade zeigt Risse
Stefan Michels

Bereits bei der Ankunft am Flughafen Schiraz zu nachtschlafender Stunde sticht der seltsame Anblick ins Auge. So manche junge Iranerin trägt die Nase auffällig schmal im Gesicht. Auch bandagierte Frauennasen tauchen in der Menge auf. Wo der Natur nicht plastisch nachgeholfen wurde, gibt die Schminke ihr Bestes, das Optimum herauszuholen.

Kein Zweifel, viele iranische Frauen legen ungewöhnlichen Wert auf ihr Äußeres. Alles unter dem Schleier wohlgemerkt, denn in der Islamischen Republik Iran herrscht staatlich verordneter Kopftuchzwang. Aber bei der Auslegung beginnt der stille Protest: häufig lugt unter dem dünnen Stoff großzügig die Haarpracht hervor. Einige Iranerinnen tragen den Schleier gar so weit am Hinterkopf, daß er den Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen scheint.

Über den Dächern tönen keine Gebetsrufe

Sechs Tage sind eine schmerzhaft kurze Zeit, um Land und Leute kennenzulernen. Wir entscheiden uns für die organisierte Fahrt mit einer Reisegesellschaft. Das bedeutet weniger Abenteuer als auf eigene Faust, aber dafür ein dicht gestaffeltes Reiseprogramm.

Unser Reiseführer, Khosro, erweist sich als Glücksfall. Schnell ist der kulturelle Rapport über die auch im Orient populären Schwiegermutterwitze hergestellt. Wenn er nicht gerade deutsche Urlauber durch den Westiran geleitet, unterrichtet er iranische Studenten in Deutsch. So wie er halten sich in dem vom westlichen Wirtschaftsembargo gebeutelten Land viele Menschen mit mehreren Jobs über Wasser. Khosro weicht keiner kritischen Frage über die Herrschaft der Ayatollahs aus. Er macht aber auch klar: Politik ist die eine Sache; was die Menschen wirklich denken und fühlen eine andere.

Daß Politik, Religion und Geschichte im Iran eine kaum trennbare Einheit bilden, wird dem Besucher rasch gewahr: Häuserfassaden wie Hotellobbys zieren Bildnisse der geistlichen Oberhäupter Khamenei und Khomeini. Die Einfallstraßen in die Städte sind kilometerlang gesäumt von den Porträts Abertausender „Märtyrer“ des Krieges mit dem Irak; ein beklemmender Anblick, der nebenbei auch viel über die ethnische Vielfalt im Vielvölkerstaat verrät. Wenigstens die Regeln im iranischen Straßenverkehr sind einfach zu begreifen: Alle Autos haben Vorfahrt.

Undurchsichtiger wird es abends im Hotel auf der Datenautobahn. Zensur nach dem Zufallsprinzip: GMX funktioniert nicht, wohl aber Googlemail. Die Süddeutsche Zeitung wird geblockt, wohingegen die FAZ, Welt und Spiegel aufrufbar sind. In der Lobby laufen dauernd Nachrichten des staatlichen Auslandssenders über „zionistische Angriffe“ gegen Palästinenser über den Bildschirm. Niemand blickt hin.

Wie alle großen Länder läßt sich auch der Iran nicht auf einen Nenner herunterbrechen. Zwei Wochen vor unserer Ankunft waren Hunderttausende Menschen auf die Straßen Teherans geströmt, um den 35. Jahrestag der Errichtung des ersten islamistischen Staats der Moderne zu feiern. Kaum ein Bild hat das internationale Ansehen des Iran so negativ geprägt wie die Massenaufmärsche fanatisierter Demonstranten, die „Tod Israel“ und „Tod dem großen Satan Amerika“ skandieren.

Nichts von dieser Feindseligkeit gegen den Westen ist jedoch zu spüren, als unsere Reisegruppe eintrifft. Äußerlich wirken die Verhältnisse im Iran gefestigt, geradezu friedlich; weder Polizei noch Militär sind im Straßenbild besonders präsent. Alles andere als eine Selbstverständlichkeit im Mittleren Osten, der weithin von politischer Anarchie und Gewalt erschüttert wird. Auch die Straßenkriminalität scheint unter Kontrolle zu sein; jedenfalls können wir uns noch lange nach Anbruch der Dunkelheit sicher und frei in den Stadtzentren bewegen. Noch etwas fällt schnell auf: Anders als in den arabischen Ländern tönt bei den schiitischen Persern kein Gebetsruf über die Dächer.

In Yazd und Isfahan besuchen wir einen zoroastrischen Tempel und eine armenische Kirche. Den Besichtigungen haftet etwas Schaukastenartiges an – es sind fast keine Gläubigen zu sehen –, aber die Botschaft ist angekommen: Dem Regime liegt religiöse Toleranz am Herzen.

Große soziale Unterschiede in Teheran

Dieser Eindruck wird allerdings auf dem Rückflug nach Deutschland nachhaltig getrübt. Dort sitzt ein Angehöriger der Bahai-Religion neben mir. Nach vorsichtigem Gesprächsbeginn rückt er mit seinem wahren Reisegrund heraus: Seine Nichte sei von einem iranischen Gericht zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden, weil sie an einer illegalen Untergrunduniversität der Bahai eine Dozententätigkeit ausgeübt habe. Ich habe keinen Grund an seiner Darstellung zu zweifeln; selbst Iraner geben hinter vorgehaltener Hand zu, daß die Mullahs die Bahai als „vom Islam Abtrünnige“ unerbittlich verfolgen.

Isfahan bildet mit Persepolis zusammen sicherlich den touristischen Höhepunkt der Rundfahrt. Aber die alte Residenzstadt der Safawiden-Dynastie hat neuerdings ein Problem. Zwar locken einige der prächtigsten Steinbogenbrücken in Asien hinunter zum Stadtfluß, aber selbiger führt seit kurzem kein Wasser mehr. Trockenen Fußes kann man das Flußbett durchqueren, das sich nun wie ein grauer Bandwurm durch die Stadt windet. Im Land zirkulieren politische Verschwörungstheorien über das plötzliche Verschwinden des Gewässers, aber der wahre Grund dürfte der gewaltige Anstieg der iranischen Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten gewesen sein, der die begrenzten Wasserressourcen überstrapaziert hat.

Parallel zum absoluten Bevölkerungswachstum ist – zur Besorgnis der Teheraner Führung – die Geburtenrate rapide gefallen. Abseits davon läßt sich der bestehende „youth bulge“ auf frappierende Weise im Straßenbild ablesen. In den Großstädten Isfahan und Teheran bevölkern riesige Kohorten von 20- bis 35jährigen die Bürgersteige, insbesondere beim abendlichen Flanieren. Nur relativ wenige der händchenhaltenden Pärchen haben – wenn überhaupt – zwei Kinder und fast nie sieht man drei dabei. Ansonsten scheint die für muslimische Gesellschaften typische informelle Geschlechtertrennung aufrechterhalten zu werden, auch wenn wir in Teestuben der einen oder anderen gemischten Gruppe Jugendlicher begegnen.

Die Hauptstadt Teheran ist ein Moloch ohne Charme; vom Hotelzimmer erstreckt sich der Blick über einen endlosen Ozean von würfligen Häusern. Kein Ballungsraum der Welt überwindet eine größere Höhendifferenz, insgesamt 800 Meter. In kaum einer Stadt spiegelt sich die soziale Kluft derart kraß in der Wohnlage wieder.

Während die Armen unter der Smog-Glocke im Talkessel leben, residiert weit oben an den Abhängen des Elburs-Gebirges, vor der eindrucksvollen Kulisse seiner schneebedeckten Gipfel, die Oberschicht aus der politischen Führungsklasse und den Profiteuren der Sanktionen. Nicht zuletzt aufgrund dieser Topographie der Ungleichheit weiß jeder Teheraner genau darüber Bescheid, was die islamische Revolution für ihn getan hat oder eben nicht.

Als der Bus am Mausoleum des Revolutionsführers Khomeini vor den Toren der Stadt anhält, drängt wie so oft die Zeit. „Teepause oder Besuch bei Khomeini“, gibt Khosro die Parole aus. Die Entscheidung fällt allen leicht: Tee, bitte.

Foto: Ausgetrockneter Fluß in Isfahan (o.) / Moschee in Yazd (r.): Die Brücke benötigt niemand mehr, das Gebetshaus dagegen viele; Altpersische Lebenswelten: Residenzstadt Persepolis; Ausblick vom Totschāl-Berg auf Teheran: Moloch ohne Charme

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