© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Lehrstück politisch korrekter Doppelmoral
Künstlerkolonie Worpswede: Fritz Mackensen steht im Schatten seines Malerkollegen Heinrich Vogeler
Norbert Borrmann

Die Künstlerkolonie Barbizon in Frankreich war früher da, Dachau war größer und das dänische Skagen landschaftlich beeindruckender. Doch von den einst über hundert Künstlerkolonien, die um 1900 existierten, sind die meisten längst Geschichte. Worpswede aber lebt und schmückt sich noch heute gern mit der Bezeichnung „Weltdorf“, die sein „Entdecker“, der Maler Fritz Mackensen, für den östlich von Bremen gelegenen Ort geprägt hat.

Der 1866 in Südniedersachsen geborene Mackensen hatte Malerei in Düsseldorf, München, Karlsruhe und Berlin studiert. Seine künstlerischen Leitsterne waren Rembrandt, Böcklin, Feuerbach Corot und Théodore Rousseau. Nach Worpswede kam Mackensen erstmals im Sommer 1884, wo er das Dorf, die Landschaft um den Weyerberg, das Moor und den hohen bewegten Himmel darüber für die Malerei entdeckte. Dabei waren Worpswede und sein Umland zu dieser Zeit bereits eine von Landwirtschaft, Torfabbau und schnurgeraden Entwässerungsgräben geprägte Kulturlandschaft. Doch alles wirkte noch ursprünglich, die Verhäßlichung der Welt infolge der Industrialisierung hatte noch nicht nach dem abgelegenen Worpswede gegriffen.

Hervorragende Kritiken, zahlreiche Preise

„Wie herrlich es hier ist, lieber Otto, kann ich Dir gar nicht beschreiben“, berichtete Mackensen seinem Malerfreund Otto Modersohn und holte ihn und Hans am Ende nach Worpswede. 1889 gründeten sie dort gemeinsam eine Malerkolonie. 1893 und 1894 kamen Fritz Overbeck und Heinrich Vogeler hinzu. Bereits 1895 waren die „Worpsweder“ auf der Jahresausstellung im Münchner Glaspalast vertreten und feierten ihren Durchbruch. Dieser Erfolg war vor allem Mackensen zu verdanken, dessen Bild „Gottesdienst im Freien“ die Große Goldmedaille erhielt.

Fortan waren Mackensens Bilder begehrt, er bekam hervorragende Kritiken und zahlreiche Preise und galt als Erster unter den Worpswedern. Rilke bewunderte in seinem Worpswede-Buch Mackensens Gabe, Mensch und Erde als untrennbare Einheit darzustellen: „Denn diese Menschen sind ohne Scholle gar nicht denkbar, sie sind ihre ähnlichsten Kinder, sie sind mit ihr verwachsen, sie sagen uns dasselbe, was uns dieses Land sagt …“ 1908 erhielt Mackensen, der zuvor bereits Lehrer von Paula Modersohn-Becker war, eine Professur an der Weimarer Kunstschule, zu deren Direktor er 1910 ernannt wurde.

Das Ende des Weltkrieges brachte für Mackensen einen Bruch. Die Weimarer Kunstschule erfuhr mit Walter Gropius und dem Bauhaus eine vollkommene Umwandlung. Propagiert wurde jetzt eine naturentfremdete, Technik und Beschleunigung verklärende Kunst und Architektur. Für den natur- und landschaftsverbundenen Mackensen konnte dort kein Platz mehr sein, er wurde entlassen, woraufhin er sich bei den Gegnern der Moderne eine neue Beheimatung suchte. Von der heraufziehenden NS-Bewegung erwartete er für die Kunst eine Rückbesinnung auf die Kräfte der Erde und statt rasch wechselnder Moden Entschleunigung.

1933 wurde Mackensen zum Gründungsrektor der Nordischen Kunsthochschule in Bremen ernannt, ein Amt, das er keine zwei Jahre später aufgrund persönlicher Querelen wieder niederlegen mußte. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP, im gleichen Jahr war er auch auf der Großen Deutschen Kunstausstellung im Haus der Kunst vertreten. 1944 wurde er in die „Gottbegnadetenliste“ aufgenommen – eine Liste der damals hundert wichtigsten deutschen Künstler, die nicht durch einen Kriegs-einsatz gefährdet werden sollten. Das Jahr 1945 stellte für Mackensen zunächst eine Zäsur dar. Sein Haus wurde von den Besatzungstruppen beschlagnahmt, die Inneneinrichtung zum Teil demoliert, Bilder zerstört, und er erhielt vorübergehend ein Ausstellungsverbot.

Gleichwohl erlebte der Gründungsvater von Worpswede in der jungen Bundesrepublik eine Renaissance. 1952, ein Jahr vor seinem Tod, erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Neben Otto Modersohn galt er als der Hauptvertreter Worpsweder Kunst. Doch Ende der sechziger Jahre begann sein Ruhm zu verblassen, zugunsten eines anderen Worpsweders, der bis dato fast vergessen war: Heinrich Vogeler

Die Gründe für Vogelers Vergessen lagen darin, daß er seine Kunst nach 1918 in den Dienst kommunistischer Propaganda gestellt hatte. Im Zeitalter des Kalten Krieges konnte das kaum goutiert werden. Hinzu kam, daß Vogelers Kunst vor dem Ersten Weltkrieg stark durch den Jugendstil geprägt war, der lange als kunstgewerblich und trivial abgetan wurde. Erst in den sechziger Jahren erfuhr der Jugendstil eine positive Neubewertung. Zusätzlichen Aufwind für Vogelers Ansehen brachte die 1968 einsetzende rote Welle, die den einst abgelehnten Kommunisten nun zu einer Art Gralsheiligen Worpswedes erhob.

NSDAP-Mitgliedschaft ruinierte seinen Ruf

Vogelers hundertster Geburtstag 1972 kam daher genau zum richtigen Zeitpunkt, und die bei der Zentenarfeier gezeigte Ausstellung bildete nur den Auftakt für unzählige weitere und eine Flut von Veröffentlichungen über ihn. Vogeler wird seitdem nicht nur als Künstler, sondern auch als Visionär, Idealist, Humanist und nicht zuletzt als „Antifaschist“ gepriesen.

Daß er bereits 1931 und damit zwei Jahre vor der Machtergreifung, als man Hitler noch nicht viel vorwerfen konnte, Stalin aber bereits Abertausende von Menschenleben auf dem Gewissen hatte, in die Sowjetunion emigrierte, trübt das verklärte Vogeler-Bild keineswegs. Während Vogeler in Moskau lebte, fanden dort die großen Säuberungen und Schauprozesse statt, die seinen Glauben an die kommunistische Heilslehre keineswegs erschütterten. Sein Blick war ganz nach Utopia gerichtet und nicht auf die Leichen vor seiner Haustür.

Ganz anders sieht es mit dem einstigen NSDAP-Mitglied Mackensen aus. Einzelausstellungen über ihn? Keine. Literatur? So gut wie nicht vorhanden. Selbstverständlich besitzt Mackensen kein eigenes Museum – Vogeler dafür gleich zwei. Zwar kann man den Gründungsvater Worpswedes, der 1926 zu dessen Ehrenbürger ernannt worden war, nicht vollkommen übergehen, aber es schwingt doch immer Kritik mit, wenn die Sprache auf ihn kommt, so zum Beispiel anläßlich der 2014 stattfindenden 125. Jahresfeier der Künstlerkolonie. Daß er in der NSDAP war, hat seinen „Ruf ruiniert“. Seine Bilder – so der Tenor – sind nicht direkt schlecht, aber „sie idealisieren in romantischer Überhöhung das einfache Landleben“, oder bei seinen Figuren fällt „immer wieder der heroisierende Blick negativ auf“. Das ihm verliehene Bundesverdienstkreuz wird nur als „ein Zeichen der Restauration“ während der Adenauer-Ära verstanden, nicht als Würdigung dafür, daß er ein herausragender Künstler war, ohne den es das Weltdorf Worpswede wohl nie gegeben hätte.

Die heutige Bewertung von Mackensen und Vogeler ist keine künstlerische, sondern eine politische. Sie ist ein Lehrstück über politisch korrekte Doppelmoral und illustriert den Wertewandel, den die Bundesrepublik seit ihrem Bestehen von einer gemäßigt antikommunistischen zu einer radikal antifaschistischen Republik durchlaufen hat.

 

Worpswede

Im Mittelpunkt des diesjährigen Worpsweder Jubiläumsprogramms steht die Ausstellung „Mythos und Moderne – 125 Jahre Künstlerkolonie Worpswede“. Sie zeigt etwa 200 Werke aus der wechselvollen Geschichte des Künstlerdorfes. Die Schau ist bis zum 14. September täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Die Gemeinschaftskarte für alle vier Worpsweder Museen kostet 15 Euro (ermäßigt 10 Euro). Worpswede liegt in Niedersachsen im Landkreis Osterholz etwa 30 Kilometer nordöstlich von Bremen entfernt. www.worpswede.de

Foto: Heinrich Vogeler, Der Barkenhoff, 1904: Der Maler emigrierte 1931 in die Sowjetunion

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