© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/14 / 25. Juli 2014

Wissenschaft mit Akzeptanzproblemen
Ozeanographie: Tauchroboter registrieren den Klimawandel in den Weltmeeren
Christoph Keller

Die Meeresforschung kann bald auf eine 150 Jahre alte Tradition zurückblicken. England und die USA, die stärksten Seemächte, nehmen in diesen Annalen der Ozeanographie erwartungsgemäß eine Spitzenstellung ein. Allerdings nicht unangefochten, da ihnen ausgerechnet im maritim zweitrangigen Deutschland, mit seiner nach 1918 und nach 1945 radikal kupierten Küstenlinie an der Ostsee und seiner Randlage als Nordseeanrainer, von Anbeginn an ein ebenbürtiger Rivale erwachsen ist.

Heute ist freilich von der einst im Schatten imperialistischer Flottenpolitik ausgetragenen Wissenschaftskonkurrenz nichts mehr zu spüren. Internationalität ist die Parole, der sich Deutsche, Briten und US-Forscher schon deshalb verpflichtet wissen, weil ihre Nationen unter dem Dach der Nato ein Verteidigungsbündnis geschlossen haben. Aber mehr noch als politisch-militärisch ist Internationalität durch den Klimawandel erzwungen. So sieht es jedenfalls Martin Visbeck vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (Physik Journal, 6/2014).

Das Meer, das größte Ökosystem der Erde, bedeckt fast drei Viertel des Planeten. Es dehnt sich auf 335 Millionen Quadratkilometern aus. Kein Staat der Welt hat ausreichende Forschungsressourcen, um diese Fläche zu kontrollieren. Und Kontrolle der Meerestemperatur, des Salzgehaltes, des gelösten Sauerstoffes, der Fluoreszenz und des Nährstoffgehaltes seien das Gebot der Stunde. Denn die Ozeane spielen für das Klima auf der Erde eine zentrale Rolle und nötigen die Wissenschaft zu forcierten Anstrengungen, die nur in der kosmopolitischen scientific community zu bewältigen seien.

Um die Temperaturveränderung der Ozeane global zu erfassen, wurde daher 1999 das internationale Argo-Programm ins Leben gerufen. Meeresforschungsinstitute aus 25 Ländern haben sich dem bis heute angeschlossen. Sie überwachen seit 2004 die Weltmeere mit derzeit 3.600 autonom operierenden Meeresrobotern, „Tiefendriftern“, die leicht mit ordinären Bojen zu verwechseln sind. Tatsächlich handelt es sich um hochtechnologische Spitzenfabrikate, die die Ozeanographie revolutioniert hätten. Ihr weltumspannendes Netzwerk liefere pro Jahr mehr Tiefenprofile „als in zehn Jahren alle Forschungsschiffe zusammen“: nämlich über 100.000.

Messungen aus 2.000 Metern Tiefe

Die selbständig auf und ab tauchenden Tiefendrifter ermöglichen Messungen aus unterschiedlichen Wasserschichten. Sie erreichen Tiefen bis zu 2.000 Metern und registrieren bei ihrem langsamen Aufstieg Wasserdruck, Temperatur und Salzgehalt. Zurück an der Oberfläche funkt der Drifter die ermittelten Daten via Satellit an zwei Datenzentren in den USA und in Frankreich.

Eine Schwäche des Systems resultiert daraus, daß die maximal fünf Jahre einsatzfähigen Drifter Heißluftballonen gleichen. Sie lassen sich nicht steuern und treiben mit der Strömung. Sie verschwinden daher regelmäßig aus der Meeresregion, in der sie Forschungsschiffe aussetzen, und zwar häufig dann, „wenn es gerade spannend wird“. Sie gestatten darum keine lokal kontinuierliche Beobachtung. Abhilfe verspricht eine neue, mit Stummelflügeln ausgestattete Drifter-Generation, die „Gleiter“, die dank eines Leitwerks mit Seitenruder zu steuern sind. Visbecks Kieler Institut setzt seit einigen Jahren schon „kleine Gleiterflotten“ im Meer aus. Auch sie lassen zwar wegen begrenzter Tauchfähigkeit noch wissenschaftliche Wünsche offen. Pilottypen für Tauchgänge bis 5.000 Meter Wassertiefe befänden sich jedoch schon in der Erprobung.

Visbeck läßt keinen Zweifel daran, daß die „dramatischen“ Verbesserungen der Ozean- und Klimaforschung, die die Tiefendrifter des Argo-Programms ermöglichten, auch mit den zu erwartenden verfeinerten Methoden der Datenermittlung keineswegs die Kernbotschaft des Weltklimarats (IPCC) korrigieren, sondern zukünftig immer fester untermauern werden: Bedingt durch den Klimawandel schreitet die Erwärmung der Weltmeere „ungebremst voran“. Die im letzten Jahrzehnt registrierte „Erwärmungspause“ sollte niemanden beruhigen.

Zunehmende infrarote Rückstrahlung durch erhöhte CO2- und Methangas-Einträge führt zur Erwärmung der oberen Wasserschichten. Dies verändert die Phytoplankton-Vorkommen, Fischschwärme wandern in kühlere Regionen ab, Korallenriffe leiden unter Hitzestreß. Warmes Wasser entzieht der Atmosphäre weniger Kohlendioxid und Sauerstoff. Damit verschärft sich nicht nur aus Visbecks Sicht das Klimaproblem. Die Lage spitze sich durch den unweigerlichen Anstieg des Meeresspiegels zu. Der bedrohe nicht nur ferne tropische Eilande, sondern nähre derzeit bereits in Norddeutschland, Holland und Dänemark Sorgen um den Küstenschutz.

Hoffnung darauf, daß die Daten falsch seien

Stolz auf das wissenschaftlich Geleistete und die enthusiastische Erwartung, mit neuen Sensoren, größere Tiefen erreichenden Tauchrobotern und steuerbaren Gleitern den Einfluß der Ozeane auf das globale Klimageschehen künftig noch genauer quantifizieren zu können, klingt aus jeder Zeile der Präsentation Visbecks, der als Professor an der Kieler Universität auch das Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ leitet.

Ungeachtet solcher geballten Kompetenz leiden die Kieler IPCC-Zulieferer unter einem Akzeptanzproblem. Außerhalb der Internationale der Wissenschaftler würden die mit technischer Perfektion gewonnenen Meßdaten und die aus ihnen elaborierten Klimamodelle weiterhin auf Skepsis stoßen. „Emotionen“ würden die Glaubwürdigkeit von Tatsachen in Frage stellen, wie Visbecks Hamburger Kollege Dirk Notz beklagt (Bild der Wissenschaft, 5/2014). Notz, der seit 2008 an der Spitze der Forschungsgruppe „Meereis im Erdsystem“ des Max-Planck-Instituts für Meteorologie steht, erklärt sich die auch politisch fatal wirkenden Widerstände damit, daß „insgeheim wohl jeder“ hoffe, die Klimadaten und Prognosen seien falsch. So vermeide man, sich der konkreten Verantwortung für das Klima der Zukunft zu stellen. Und verschlösse die Augen davor, daß „unsere Nachkommen vor gigantische Herausforderungen gestellt“ würden, wenn die Menschheit weiterhin ungebremst Treibhausgase freisetze.

Foto: Meßboje auf Tauchstation: Floats treiben frei in den Ozeanen und senden alle zehn Tage ihre Meßwerte an die Heimatinstitute. Sie registrieren bei ihrem langsamen Aufstieg Wasserdruck, Temperatur und Salzgehalt

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