© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Nur auf die Stasi gestarrt
Zukunft der Jahn-Behörde: Die Aufarbeitung muß endlich gesamtdeutsch werden
Detlef Kühn

Politiker neigen dazu, wenn sie keine Lust oder keinen Mut haben, eine Entscheidung zu treffen, erst einmal eine Arbeitsgruppe einzusetzen. Dieser verbreiteten Neigung verdankt wohl auch die 14köpfige Kommission ihre Existenz, die der Bundestag kürzlich ins Leben gerufen hat. Ihr Auftrag: bis Frühjahr 2016 Vorschläge für die Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde zu erarbeiten, deren Existenz als Obere Bundesbehörde vorerst nur bis 2019 festgeschrieben ist. Was danach geschieht, ist offen. Sicherlich wäre auch der ministeriell angeleitete Beamtenapparat in der Lage, sachgerechte Vorschläge und Alternativen vorzulegen. Aber – wie gesagt – dafür könnte der Wähler dann auch die Politiker verantwortlich machen, und das ist derzeit nicht erwünscht.

Zwei Möglichkeiten sind bereits jetzt als wahrscheinlich zu bezeichnen. Entweder bleibt auch nach 2019 alles beim alten; die ehemalige Gauck-Behörde muß nur, entsprechend dem zu erwartenden geringeren Arbeitsanfall, weiterhin personell abspecken. Oder die Stasi-Unterlagen-Behörde verliert ihre Eigenständigkeit und wird als Arbeitseinheit des Bundesarchivs weitergeführt. Auch in diesem Fall würde sich in der Praxis wahrscheinlich nicht viel ändern.

Die Sonderregeln des Stasi-Unterlagen-Gesetzes blieben sicherlich erhalten. Nur die bisherige Forschungsabteilung der Jahn-Behörde wäre wohl gefährdet, deren Mitarbeiter wegen ihres privilegierten Zugangs zu den Akten beneidet werden: Sie dürfen alle Stasiakten ohne jede Schwärzung einsehen. Andererseits sollte man auch die durch eine solche Lösung zu erzielenden Synergieeffekte nicht überschätzen. Die Einsparungsmöglichkeiten dürften beschränkt sein – ein paar Stellen im Leitungsbereich fallen weg, und etwas mehr Flexibilität beim Einsatz des gesamten Personals kommt hinzu. Nichts Weltbewegendes.

Allerdings wird die Kommission, die vom Bundestag eingesetzt wird, nicht umhinkommen, sich auch grundsätzliche Gedanken über den weiteren Umgang mit der Geschichte des 1990 so unrühmlich untergegangenen Staatswesens DDR zu machen. Da dieses aber stets Teil des geteilten Deutschlands war, wird man wohl auch in der Historiographie wieder mehr zur Geschichte des gesamten deutschen Raumes und Volkes zurückkehren müssen. Die isolierte Betrachtung der DDR hat immer weniger Sinn. Die des MfS noch weniger. Hier liegt jedoch manches im argen.

Auffällig ist immer noch das Ungleichgewicht bei der Erschließung und Nutzung des vorhandenen Quellenmaterials. Unser Umgang mit den Stasiakten gilt zwar mittlerweile international als vorbildlich. Dennoch ist die einseitige Fixierung des öffentlichen Interesses auf diesen Teil der SED-Diktatur bedenklich. Sie verwischt nämlich, daß das MfS sich immer nur als „Schild und Schwert“ der SED verstanden und deren führende Rolle nie in Frage gestellt hat. Nicht das MfS war das entscheidende Übel, sondern die Etablierung eines kommunistischen Systems auf deutschem Boden. Deshalb muß sich die zeitgeschichtliche Forschung auf alle verfügbaren und relevanten Quellen konzentrieren, ohne dabei natürlich die MfS-Hinterlassenschaft zu vernachlässigen.

Zum bisher vernachlässigten SED-Material gehört nicht zuletzt die bisher fast unzugängliche Hinterlassenschaft des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheit (MfAA) der DDR. Das Archiv dieses eigentlich nicht besonders spektakulären DDR-Ministeriums hat sofort nach der Wiedervereinigung das Auswärtige Amt in Bonn in seine Obhut genommen. Seitdem ist es, im Gegensatz zu anderen DDR-Archiven, unzugänglich. Über die Frage, warum, darf man spekulieren. Am wahrscheinlichsten ist Rücksichtnahme auf westliche oder neutrale Staaten, deren Beziehungen zur DDR besser nicht allzu genau betrachtet werden sollen. Spätestens nach Ablauf der üblichen 30-Jahre-Schutzfrist für die Akten, also 2020, sollte dieses Argument allerdings keine große Rolle mehr spielen.

Auch sonst gibt es noch viel zu erforschen. Ein weiteres Beispiel sind die finanziellen Beziehungen zwischen (alter) Bundesrepublik und DDR. In diesem Bereich ist mit der Aktenpublikation des Bundesarchivs zu den „Besonderen Bemühungen“ der Bundesregierung in den Jahren 1962 bis 1969 mit Häftlingsfreikauf, Familienzusammenführung und Agentenaustausch vor zwei Jahren ein verheißungsvoller Anfang gemacht worden. Hier werden erstmals auch in finanzieller Beziehung Roß und Reiter genannt. Das Beispiel sollte weitergeführt und auf andere Bereiche ausgedehnt werden. Schließlich ist es kaum noch ein Geheimnis, daß im Zuge der Entspannungspolitik politische Zugeständnisse der DDR-Führung fast immer auch durch materielle Zuwendungen des Westens erkauft werden mußten. Die Zeit sollte endlich reif sein, auch dieses zugegeben noch immer heiße Eisen anzupacken und in die öffentliche Diskussion einzuführen. Tabus sind auf Dauer sowieso nicht aufrechtzuerhalten.

Quellen für Themen wie diese Finanzen wird man auch weiterhin im Material der Jahn-Behörde vergeblich suchen. Aber dafür haben westliche Archive Interessantes zu bieten. Die neue Kommission des Bundestages sollte sich entsprechende Hinweise nicht verbieten lassen. Es wird Zeit, daß Deutschland auch insofern endlich zusammenwächst.

 

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen