© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Eine Studie mit Tücken
Familienpolitik: Falsche Zahlen zum Betreuungsgeld
Lion Edler

Seit dem 1. August sind es monatlich 150 statt bisher 100 Euro, die der Staat an Eltern zahlt, die ihre Kleinkinder ohne Krippenplatz und ohne Tagesmutter selbst erziehen. Doch nun ist Triumphgeheul bei den Gegnern des Betreuungsgelds ausgebrochen, weil eine Studie des Forschungsverbands des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und der TU Dortmund von den Medien so interpretiert wurde, daß die Familienleistung nunmehr als sinnlos entlarvt sei.

„Das Betreuungsgeld ist absoluter Unsinn“, befand die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger. Sekundiert wurde Göring-Eckardt von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD), die das Betreuungsgeld als „Erfindung“ der Union abqualifizierte. Und überhaupt: „Über die Zukunft des Betreuungsgeldes entscheidet das Bundesverfassungsgericht“, so die Ministerin mit Blick auf eine Klage des SPD-regierten Hamburg.

Doch die Sache hat einen Schönheitsfehler: Die Medienberichte über die Studie stützten sich im Kern auf eine Falschmeldung. Zahlreiche Medien hatten berichtet, daß 54 Prozent der Befragten, bei denen beide Eltern keinen Schulabschluß oder höchstens einen Hauptschulabschluß haben, ihre Kinder wegen des Betreuungsgelds lieber zu Hause behielten. Der Tenor der Medienberichte, der rot-grünen Politiker und von Organisationen wie dem Deutschen Kinderhilfswerk war deshalb einhellig: Das Betreuungsgeld „hält Kinder von der Kita fern“, was offenbar ganz selbstverständlich als etwas Negatives zu werten war und somit das Betreuungsgeld als historischen Irrtum überführte.

Mit den 54 Prozent war es aber in Wahrheit ein wenig anders, wie die Autoren der Studie schließlich richtigstellten mußten: Nur 31 Prozent der Befragten, bei denen kein Elternteil einen Bildungsabschluß besaß, bezeichneten das Betreuungsgeld als Grund für die Entscheidung, die Kinder zu Hause zu lassen; bei Eltern mit Hauptschulabschluß waren es 23 Prozent. Nach Angaben der Autoren der Studie sollen die beiden Prozentzahlen versehentlich addiert worden sein – und zwar in einer unautorisierten Fassung der Studie, die vorzeitig an die Öffentlichkeit geriet. „Wir wissen auch nicht, wer das noch nicht abschließend geprüfte Manuskript weitergegeben hat“, erläuterte Mat-

thias Schilling von der TU Dortmund dem Neuen Deutschland. Zutreffend waren jedenfalls allein die Zahlen für die anderen Bildungsabschlüsse: Bei Familien mit mittlerer Reife führte das Betreuungsgeld in 14 Prozent der Fälle zu einer elterlichen Betreuung, bei Akademikern bei acht Prozent.

Doch selbst diese Informationen stehen auf extrem wackligen Füßen. Der Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Hochschule Koblenz, Stefan Sell, sagte dem Neuen Deutschland, daß die Befragungen bereits im vergangenen Jahr vorgenommen wurden und es dabei primär um die Betreuung von Kindern unter drei Jahren gegangen sei, so daß die Eltern lediglich „hypothetisch“ befragt wurden. Unseriös nennt selbst Betreuungsgeld-Kritiker Sell diese Methode.

Doch es kommt noch dicker, wie Paul Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) erklärt. Denn die Prozentwerte bezögen sich ausschließlich „auf die Eltern (noch) ohne Schulabschluß beziehungsweise alle Eltern mit Hauptschulabschluß, die ‘keine außerhäusliche Betreuung wünschen’“ – etwa 30 Prozent der befragten rund 100.000 Eltern wünschten das nicht, und unter diesen sagten wiederum rund 13 Prozent, daß das Betreuungsgeld der Grund für den Verzicht auf außerhäusliche Betreuung war. Der Anteil aller Eltern, die das sagten, reduziert sich somit auf rund vier Prozent. Und: „Die Prozentanteile der Eltern (noch) ohne Schulabschluß bzw. der Eltern mit Hauptschulabschluß insgesamt, die wegen des Betreuungsgeldes ‘keine außerhäusliche Betreuung’ ihrer Kinder wünschen, werden in der Tabelle 8.1 der Studie nicht genannt.“ Mit einem ironischen Seitenhieb bezeichnet sich Schröder als Vertreter des „Büros für absurde Statistik (BaSta)“.

Übrigens stellten der Forschungsverband DJI und die TU Dortmund klar, daß die Studie „keine Auftragsarbeit“ für das Familienministerium gewesen sei; das Ministerium habe „lediglich“ Forschungsmittel zur Verführung gestellt.

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