© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Punktuelle Stiche gegen den Westen
Rußland: Als Reaktion auf die Sanktionen reagiert Moskau mit einem Sammelsurium von Gegenmaßnahmen
Thomas Fasbender

Auch wenn die ersten offiziellen Reaktionen auf die neuen, gegen Rußland verhängten westlichen Sanktionen verhalten ausfielen, spürt der Beobachter in Moskau den tiefsitzenden Zorn – in den Medien, bei den Politikern, beim Geschäftspartner und beim einfachen Menschen auf der Straße.

Ein Kommuniqué des Französisch-Russischen Dialogs faßt die Stimmung zusammen: „Die neuen, völlig ungerechten Maßnahmen sind ein Schlag für die wirtschaftlichen Interessen.“ Quer durch alle politischen Lager zieht sich die Überzeugung, vom Westen ungerecht und unangemessen behandelt zu werden.

Polen muß als erstes Land für seine Haltung büßen

Immerhin äußert sich das Gefühl nicht in aggressivem Nationalismus. Die Unterstützung der ostukrainischen Separatisten findet weiterhin Zuspruch, doch Losungen wie „Putin, rette den Donbass!“ oder „Putin, marschier ein!“ verfangen nicht. Ihr Autor, der „eurasische“ Vordenker Alexander Dugin, der in letzter Zeit aktiv als Putin-Kritiker von rechts auftritt, findet keinen großen Anklang. Selbst der für seine populistischen Ausfälle berüchtigte LDPR-Vorsitzende Wladimir Schirinowski hält sich zurück. Eine von Dugin unterstützte Kundgebung unter dem Motto „Kampf um den Donbass“ am vergangenen Samstag in Moskau zog gerade einmal tausend Teilnehmer an.

Nach einem Telefonat am Wochenende zwischen den Präsidenten Barack Obama und Putin hieß es nur, Wladimir Putin habe die Sanktionen als schädlich für die russisch-amerikanischen Beziehungen und für die internationale Stabilität bezeichnet. Die ausführlichste Stellungnahme stammt von Außenminister Sergej Lawrow, der sich verwundert zeigte, daß die Maßnahmen ausgerechnet an dem Tag in Kraft traten, an dem die ersten OSZE-Beobachter an den Grenzübergängen zur Ostukraine Stellung bezogen. Lawrow beklagte auch, daß der Westen zwar Strafen ausspreche, aber immer noch keinen Beweis für den Abschuß des malaysischen Passagierflugzeugs MH17 durch die Separatisten vorgelegt habe.

Mit Blick auf die Sanktionen unterstrich er die russische Absicht, Gleiches nicht mit Gleichem zu vergelten und sich stattdessen an den gesunden Menschenverstand zu halten. Beobachter in Moskau gehen davon aus, daß der Kreml die europäischen Länder, die nur auf anhaltenden Druck aus Washington und London hin zu schärferen Sanktionen zu bewegen waren, jetzt nicht durch harte Gegenmaßnahmen noch enger in den Schulterschluß mit den Angelsachsen treiben will.

So bleibt es vorerst bei punktuellen Schnitten, die nicht von ungefähr bei den Polen ansetzen. Moskau registriert genau, wie bereitwillig Warschau sich in den vergangenen Monaten den USA als Basis in Europa andiente. Dafür darf seit Anfang August kein polnisches Obst und Gemüse über die russische Grenze – vorgeblich als hygienische Maßnahme zum Verbraucherschutz. Für die polnische Volkswirtschaft ist es ein herber Schlag – annähernd zwei Drittel der Gemüse- und Obstproduktion werden in Rußland verkauft.

Ähnliche Verbote gelten für ukrainische Soja, Sonnenblumensaat, Säfte und Milchprodukte sowie für Früchte aus Moldawien. Embargos gegen griechische Früchte und US-Hähnchenfleisch, immerhin jeweils ein Jahresvolumen von über 200 Millionen US-Dollar, stehen angeblich kurz vor der Umsetzung.

Darüber hinaus werden Maßnahmen gegen Symbole Amerikas diskutiert. Dazu gehört die Attacke gegen McDonald’s, dessen inzwischen 430 russische Restaurants ins Visier regionaler Verbraucherschützer geraten sind. Es geht um falsche Kalorienangaben und mangelnde Käsequalität. Formalien, wie sie in Rußland bei Machtkämpfen aller Art gang und gäbe sind.

Weit mehr Sprengstoff beinhaltet eine Gesetzesvorlage, die der Duma-Abgeordnete Jewgenij Fjodorow von der Regierungspartei einreichte. Wenn es nach ihm geht, kann die Regierung künftig Unternehmen aus sogenannten Aggressorstaaten – Länder, die beispielsweise Sanktionen verhängen – die weitere Tätigkeit in Rußland untersagen. Fjodorow zielt vor allem gegen die amerikanischen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften, die für eine ganze Reihe russischer Großunternehmen arbeiten und Einblick in sensible Informationen genießen. Diskutiert wird auch ein Überflugverbot für westeuropäische Fluggesellschaften auf der Route zwischen Europa und Asien.

China steht im Konflikt auf der Gewinnerseite

Noch ist unklar, wie rasch und in welchem Umfang die Sanktionen in Rußland spürbar sein werden. Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie-Zentrum kennt schon einen sicheren Gewinner: China. Da inzwischen auch Japan und Norwegen auf die Sanktionslinie eingeschwenkt sind, hat Moskau kaum Alternativen.

In jedem Fall werden die stärksten Auswirkungen von der Liefersperre für Öl- und Gastechnologie und von den Maßnahmen im Bankensektor erwartet. Faktisch sind jetzt die größten russischen Geldhäuser mit über der Hälfte aller nationalen Bankaktiva von der Refinanzierung am westlichen Kapitalmarkt ausgeschlossen.

Was sind Putins Optionen? Die Hoffnung mancher Beobachter im Westen, die Oligarchen würden ihn zum Nachgeben bewegen, verkennt die kollektive Mentalität. Wann immer Rußland unter auswärtigen Druck gerät, obsiegen traditionell die jeweiligen Hardliner. Eher noch könnte Putin der expansive Nationalismus auf der Rechten zur Gefahr werden. Selbst wenn er einen liberalen Wirtschaftsfachmann wie Alexei Kudrin zum Premierminister ernennte, würde das an der grundsätzlichen Tendenz zum Widerstand gegen den Westen nichts ändern.

Der realistische Ausgang ist eine Verhandlungslösung, in deren Rahmen Moskau die Krim und Kiew die Ostukraine behält, verbunden mit einer wie auch immer gearteten Föderalisierung und militärischer Neutralität der Ukraine. Enge Beziehungen des Landes zur Europäischen Union waren auch vor dem Februar 2014 für Moskau kein Tabu. Ohne Krim und ohne Neutralität hingegen ist ein Kompromiß mit Rußland illusorisch, Sanktionen hin oder her.

Ausschlaggebend wird sein, wie Rußland auf eine militärische Niederlage der Separatisten reagiert. Der Moskauer Journalist Andrej Kolesnikow, den die Aura des Kreml-Eingeweihten umgibt, deutete an, daß Putin die Aufständischen und damit die Noworossija-Pläne möglicherweise fallenläßt. Ansätze für eine russische Exit-Strategie? Immerhin sitzen die Parteien in Minsk zu ersten Konsultationen zusammen, und Gerüchten zufolge laufen unter deutscher Leitung bereits vertrauliche Gespräche.

Foto: Wladimir Putins Blick verrät eher Skepsis denn Entschlossenheit: Handelseinschänkungen bedrohen den russischen Banken- und Energiesektor

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