© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Grüße aus Santiago de Cuba
Von wegen Revolution
Alessandra Garcia

Nelson klopft an meine Tür. Die Revolution benötige den Küchentisch und einen Stuhl. Genauer das Komitee zur Verteidigung der Revolution brauche beides für die Protokollantin, die die Stadtregierung schickt. Heute abend ist Versammlung und alle Nachbarn haben sich einzufinden.

Nelson ist Chef unseres Revolutionskomitees und ein armer Kerl. Denn er spielt die Rolle des Blockwarts nur ungern, ist aber als Ex-Berufsoffizier dafür prädestiniert. Wir sind froh, ihn zu haben, solange er uns nur in Ruhe läßt. Aber zu den Spielregeln gehört, daß wir uns heute zu versammeln haben.

Um 20 Uhr geht es los. Nelson hat auf der Straße meinen Tisch aufgestellt und dahinter die Nationalfahne befestigt. Auch José, der Polizist, ist da. Schlaksig steht er da und blickt gelangweilt. Als auch die Protokollantin, eine dicke Mulattin, ihren Platz eingenommen hat, holt Nelson tief Luft. Er stimmt die Nationalhymne an und wir alle fallen ein. Es klingt erbärmlich. Dann tut Nelson das, was von ihm erwartet wird. Er zählt die Errungenschaften der Revolution auf. Damit er keine vergißt, hat er sie aufgeschrieben.

Von allen Seiten prasseln höhnische Fragen und Kommentare auf Blockwart Nelson.

Mit einem Viva auf Fidel, Raúl und die Revolution endet dieser Teil. Es folgt die Fragestunde. Bladimir will wissen, warum der Joghurt nicht schmeckt. Nelson windet sich. Er kenne das Problem, sagt er und habe die Fabrik besucht. Der Direktor habe ihm versichert, daß alles in Ordnung sei. Eine Nachbarin poltert, wenn das Zeug ungenießbar sei, könne Nelson nicht behaupten, alles sei in Ordnung. Von allen seiten prasseln höhnische Fragen. Eine Atempause verschafft die Protokollantin, die wissen will, wie die Fragesteller heißen. Die Situation schaukelt sich hoch. Der Polizist hat sich verdrückt. Lediglich ein Kommunist verlangt mehr Respekt.

Warum seit Wochen Wasser aus einer defekten Leitung auf die Straße rinne? Er habe den Schaden gemeldet, sagt Nelson müde. Warum der Hausarzt im Ausland sei? Wer sich überhaupt noch um die Menschen kümmere, jammert eine alte Dame. Die Protokollantin greift ein, spricht von internationaler Solidarität. Was ihr diese nütze, fragt die Alte. Das Geschrei wird immer lauter. Schließlich erstickt Nelson den Volkszorn, indem er das Treffen beendet. Die Nachbarn verkrümeln sich schimpfend. Nelson bringt den Tisch zurück. Ich gieße ihm ein Glas Rum ein. Ein zweites lehnt er ab, er müsse noch das Protokoll abzeichnen. Für oben. Damit die wissen, wie die Stimmung ist.

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