© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

„Wir messen gerne Dinge“
Erfolgreicher Mittelstand: Das Ulmer Gesundheitstechnik-Unternehmen Beurer mischt die Schönheitsbranche auf
Ronald Gläser

Viele Kunden sind ganz aus dem Häuschen. Peter Finn etwa, der bei Amazon beschreibt, wie zufrieden er mit dem Infrarot-Fieberthermometer FT 90 ist: „Meine Kinder lieben das Fiebermessen. Endlich keine Tränen mehr, nein, es darf am besten immer mal wieder gemessen werden.“ Ein kontaktloses Fieberthermometer, der Traum aller Eltern mit quengeligen Kindern – nur eines von vielen Produkten aus dem Sortiment des Ulmer Unternehmens Beurer, das nach eigenen Angaben auf die Produktion von Elektrogeräten für „Gesundheit und Wohlbefinden“ spezialisiert ist.

Angefangen hat alles vor 95 Jahren mit Heizkissen und Bügeleisen. Käthe und Eugen Beurer haben das Unternehmen 1919 gegründet und über den Zweiten Weltkrieg gerettet. Bis in die achtziger Jahre war Beurer auf Kissen und Decken fokussiert. Doch dann der Sprung: Die Produkpalette wurde um Konsumartikel wie Massagegeräte oder Peelingmaschinen erweitert. Vor allem aber um ein Sammelsurium von Meßgeräten. Blutdruck, Blutzucker, Gewicht, Herzschlag, Ruhephasen während des Schlafes – alles wird mit Beurer-Geräten erfaßt.

„Wir wollen, daß Sie sich anspornen“

„Wir messen gerne Dinge“, sagt Firmenchef Georg Walkenbach und schaut in die Runde, wie um sich zu versichern, daß er recht hat. Messen könne süchtig machen, schiebt er als halbironische Warnung hinterher. Zu Recht. Viele regelmäßige Fitneßstudio-Besucher wissen, wovon er redet: Ob Schritte, Ruderzeiten oder zurückgelegte Strecken – wer einmal anfängt, die eigene Leistung zu messen, kann oft nicht mehr genug davon bekommen. „Wir wollen, daß Sie sich anspornen“, unterstreicht Walkenbach.

Zu den Megatrends gehört die Vernetzung von Endgeräten. Beurer will da ganz vorne mitspielen. Die unterschiedlichen Meßgeräte kommunizieren miteinander. Daten werden in einer App, dem Beurer Health Manager, zusammengeführt. Klar, daß Datensicherheit zu einem großen Thema für die Produktentwickler geworden ist. Was, wenn diese Daten ins Netz gehen? Wenn sie plötzlich bei Facebook auftauchen? Beurer hat zusammen mit dem Tüv eine Sicherheitsarchitektur für die App entwickelt, die eine sechstellige Summe gekostet haben soll.

Großer Markt für Gesundheitsprodukte

Walkenbach gibt sich überzeugt: „Die Daten sind sicher.“ Sämtliche Server, betont er, ständen in Deutschland. Die Daten seien ausschließlich für den Nutzer bestimmt. Sie sollen nicht mit anderen Personen geteilt werden, außer gegebenenfalls mit einem Arzt. Allerdings, so Walkenbach, seien Ärzte oft noch nicht so weit wie die Geräte und ihre technikaffinen Patienten. Die Datenschutz-Selbstverpflichtung ist jedoch nur die halbe Wahrheit. So benötigt etwa der problemanfällige Beurer-Herzfrequenzmesser PM 250 die Runtastic-App, die dem Nutzer nicht nur viele neue In-App-Käufe aufschwatzen, sondern auch ständig Informationen bei Facebook teilen möchte.

500 Mitarbeiter beschäftigt Beurer weltweit. Der Firmensitz ist in Ulm, aber die Geschäfte werden auf der ganzen Welt getätigt. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat das Unternehmen eine Fabrik in Ungarn aufgebaut. 2011 dann die größte Investition der Firmengeschichte: Für sechs Millionen Euro wurde im Landkreis Biberach eine Logistikzentrale gebaut. Sie bietet Platz für bis zu 11.000 Paletten.

Deutscher Mittelstand in Hochform: mit einem Bein zu Hause, mit dem anderen in der Welt. Der Jahresumsatz der GmbH liegt bei 200 Millionen Euro. Beurer ist nach eigenen Angaben Marktführer in Deutschland bei den Massagegeräten und Blutdruckmeßgeräten. Bei Heizdecken und Personenwaagen sogar in Europa. Der Auslandsanteil liegt jetzt schon bei sechzig Prozent, er wächst stärker als der im Inland. Exportiert wird vor allem in die Nachbarländer und in die Vereinigten Staaten.

Der Markt für Gesundheits- und Schönheitsartikel ist riesig. Die Gesundheitsausgaben der Deutschen beliefen sich 2011 laut Statistischem Bundesamt auf 294 Milliarden Euro. Seit Jahren erfreut sich diese Branche eines stetigen Wachstums. Ein Großteil des Umsatzes entfällt jedoch auf den sogenannten ersten Gesundheitsmarkt, der durch die klassische Gesundheitsversorgung (Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken) erbracht und überwiegend von Krankenkassen finanziert wird. Der zweite Gesundheitsmarkt umfaßt alle freiverkäuflichen und selbst zu finanzierenden Produkte und Dienstleistungen. Er ist kleiner, macht in Deutschland laut Roland Berger etwa sechzig Milliarden Euro aus.

Jahresumsatz liegt bei 200 Millionen Euro

Hier tummeln sich zahlreiche Anbietern, die nicht wie die Kosmetik- oder Pharmaindustrie Milliardenumsätze machen. Doch das Geschäft brummt. Allein für den Bereich Mobile Gesundheit hoffen die Mobilfunkanbieter bis 2017 auf einen Umsatz von sieben Milliarden Euro in Europa. Anbieter rechnen mit einem Zustrom auf Gesundheits-Apps wie die von Beurer.

Die Lage auf dem Markt ist recht unübersichtlich, weil es eine Vielzahl kleiner und mittelständischer Unternehmen gibt, die schwer vergleichbare Produktpaletten und unterschiedliche Qualitätsstandards bieten. Ein Mitbewerber im Bereich Pulsuhren etwa ist Sigma, aber dessen Produkte sind deutlich teurer.

Ein vergleichbares Produktportfolio besitzt Medisana (Jahresumsatz 29 Millionen Euro), aber diese Aktiengesellschaft liegt weit abgeschlagen hinter Beurer. Dann gibt es die liechtensteinische Bemer AG, die spezielle Magenetfeldprodukte über ein Beraternetz vertreibt.Ein weiterer vermeintlicher Konkurrent auf dem Markt, der von elektrischen Zahnbürsren bis Rotlichtlampen Gesundheitsprodukte anbietet, ist keiner: Sanitas ist nur eine Marke eines Beurer-Tochterunternehmens. Insgesamt ist eine größere Marktbereinigung durch weitere Übernahmen möglich. Beurer hat bereits in der Vergangenheit Konkurrenten geschluckt, 1999 zum Beispiel den britischen Heizdeckenanbieter Winterwarm Holding aus Birmingham.

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