© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Heißer Tanz um die Moschee
Reportage aus Marseille: Der massive Zuzug von Moslems setzt die Mittelmeermetropole unter Druck
Hinrich Rohbohm

Die Bewegungen erfolgen blitzschnell. Ein kurzer, überraschter Aufschrei des Opfers. Ein Stoß des Täters, der sich mit der Handtasche einer Dame um die Fünfzig beim Öffnen der U-Bahn-Türen aus dem Staub machen will. Er sollte Pech haben – die Beraubte Glück. Auf dem Bahnsteig patrouillieren gerade zwei Männer der Gendarmerie. Geistesgegenwärtig reagieren die Ordnungshüter, nehmen den Dieb auf frischer Tat fest.

„Maghrebs“, nuscheln einige Fahrgäste verächtlich. Auch als die Marseiller Metro weiterfährt, bricht die Diskussion nicht ab. „Endlich wird mal einer erwischt“, meint ein stämmig gebauter Franzose, etwa um die 30 Jahre alt. Leichtes, zustimmendes Gemurmel.

Der Maghreb ist eine Region in Nordafrika, die sich aus den Staaten Algerien, Libyen, Marokko, Mauretanien und Tunesien zusammensetzt. Zahlreiche Einwanderer stammen von dort. In der Hafenstadt, die als Tor zum Mittelmeeer bekannt ist, sind die meisten von ihnen sogenannte Maghrebs. Eine Bezeichnung, die einheimische Franzosen ebenso verwenden wie den Begriff „Pieds-noirs“ – Schwarzfüße – für die Algerienfranzosen.

Organisierte Banden beherrschen die Szenerie

Mit ihrer Einwanderung hat im Verlauf der letzten Jahrzehnte auch die Kriminalität in der Provence-Metropole stark zugenommen. Heute zählt Marseille zu den Hochburgen des Drogenhandels in Europa. Organisierte Banden beherrschen die Szenerie (JF 40/13). Hinzu kommen Diebstähle in den U-Bahnen, die zwar dank Videoüberwachung zurückgegangen sind, aber längst nicht aufgehört haben.

Vor allem das religiöse Leben in der Stadt verändert sich zusehends. Der Islam hat hier durch die Einwanderer stark an Dominanz gewonnen. 40 Prozent der 800.000 Einwohner haben einen moslemischen Hintergrund, ein Viertel der Bevölkerung sind praktizierende Moslems.

Einst sei der Islam in Marseille eher liberal geprägt gewesen, erzählen Einwohner in der Umgebung des Vieux-Port, des Vorzeigeviertels von Marseille. „Aber heute nimmt der Fundamentalismus unter ihnen massiv zu, vor allem die junge Generation wird zunehmend krimineller, brutaler und religiös fanatischer“, meint der Betreiber eines Cafés in Hafennähe, ein hochgewachsener Mann mit vollem grauen Haar und Stoppelbart. Er ist hier in der Gegend aufgewachsen, hat erlebt, wie sich das Bild der Stadt im Laufe der Jahrzehnte veränderte.

„Es läßt sich doch nicht leugnen, daß bei uns mit der Einwanderung auch die Kriminalität und der islamische Extremismus zugenommen haben“, sagt er. Manchmal, berichtet er weiter, würden Jugendbanden aus dem Norden auch vor seinem Café abhängen. „Mir wäre das ja egal, wenn sie nicht immer wieder meine Gäste beleidigen und bestehlen würden“, klagt der Mann. Daß es sich dabei um moslemische Jugendliche aus den nördlichen Stadtbezirken handele sei Ortsansässigen nur zu gut bekannt, verrät er. Die Kriminalitätsrate sei dort am höchsten, Nichtmoslems seien in Minderheit.

In einem dieser Stadtbezirke, im 15. Arrondissement, soll bald eine der größten Moscheen Europas stehen. 7.000 Moslems sollen darin Platz finden, der Ruf des Muezzin von einem 25 Meter hohen Minarett aus über jenes Viertel ertönen, das von riesigen grauen Wohnsilos dominiert ist. Wie große Mauern türmen sie sich am Horizont auf, eingeschlossen von Autobahnen, Schienennetzen und dem schmucklosen Industriehafen am Meer. Vor den Wohnblöcken durchziehen enge Straßen und Gassen das Viertel.

Nicht wenige Häuser hier sind verfallen und längst verlassen. Zwischen ihnen reihen sich moslemische Geschäfte ein. Cafés, Imbisse, Friseure, Gemüseläden. In einem der Cafés dudelt ununterbrochen orientalische Musik. Männer sitzen dort an den Tischen, junge und alte. Sie trinken Tee. Mißtrauische Blicke, die beim Anschneiden des Themas Großmoschee noch mißtrauischer werden.

„Noch nicht fertig“, raunt einer von ihnen. „Wollen sie beten oder nur eine Moschee besichtigen?“ will ein anderer wissen. Besichtigen. Unverständliches Gemurmel. Eine fahrige Handbewegung erfolgt, die offenbar den Weg weisen soll. Dann widmen sich die Männer wieder ihrem Tee und ihren Gesprächen.

Drei Cafés und zwei Gemüseläden weiter kommt vom Besitzer einer Halal-Fleischerei die gleiche Frage: Wollen sie beten oder nur eine Moschee besichtigen?“ Beten. Das Gesicht des zuvor eher mürrisch dreinblickenden Fleischereibesitzers hellt sich auf.

„Ohne uns kann niemand mehr eine Wahl gewinnen“

„Einen kurzen Moment bitte“, sagt er. Dann rollt er den roten Teppich aus. „Herzlich willkommen in Marseille, wo kommst du her? Kein Problem, ich bringe dich zur Moschee“, sprudelt es aus ihm nur so heraus, während er unentwegt mit dem Arm andeutet, ihm über die Straße zu folgen.

Dort angekommen öffnet er die Fah-rertür eines winzigen, blauen, rostigen Renaults. Sein Lächeln, bei dem zwei Goldzähne zum Vorschein kommen, hat ein wenig den Charme eines verschlagenen Orientteppichhändlers. Doch der Eindruck täuscht. Hakim, so heißt der Mann, erklärt sich spontan bereit, als Moschee-Chauffeur zur Verfügung zu stehen. Schnell stellt sich heraus: der 37jährige spricht Deutsch. Früher habe er mal in Hamburg gearbeitet. Unter anderem als Teppichhändler.

„Daß wir die große Moschee wirklich bekommen, glaube ich erst, wenn sie hier wirklich steht“, sagt er. Zu oft und zu lange sei über den Bau geredet worden. Genaugenommen sogar schon seit dem 18. Jahrhundert. Marseilles Politiker hatten bereits nach anfänglichem Widerstand ihren Segen zu dem Projekt gegeben, das eine Fläche von 8.600 Quadratmetern umfassen und gut acht Millionen Euro kosten soll.

In den neunziger Jahren zählte Bürgermeister Claude Gaudin, immerhin ein Großkreuz-Ritter des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem, noch zu den Skeptikern. „Ich bin für den Bau einer Großmoschee, aber bitteschön in Marrakesch“, hatte er damals gesagt. Heute unterstützt auch er das ambitionierte Vorhaben.

„Ich glaube nicht, daß er seine Meinung wirklich geändert hat“, meint Hakim. „Aber es gibt immer mehr Moslems in der Stadt. Ohne uns kann keiner mehr eine Wahl gewinnen.“ Zudem würden Marseilles Politiker darauf hoffen, daß mit einer großen, zentralen Gebetsstätte potentiellen Haßpredigern in den Hinterhofmoscheen das Handwerk gelegt werde. „Ob das auch so kommt?“ Hakim reagiert auf die Frage ausweichend. „Wir haben viele jugendliche Gläubige hier, die als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Viele haben keine Arbeit, man gibt ihnen auch keine Chance. Die Christen und Juden wollen doch lieber unter sich bleiben“, redet sich der Fleischer nun in Rage, während er seinen Wagen durch immer neue und engere Gassen lenkt.

Schließlich hält er vor einem unscheinbaren Gebäude. Eine jener Hinterhofmoscheen, die als Gebetshaus nur auf den zweiten Blick als solche auszumachen sind. Ein in einer Seitenstraße befindliches, mit rotem und beigefarbenem Putz versehenes Gebäude, an dem nur die etwas auffällige Form der Fenstersprossen erahnen läßt, daß sich hinter seinen Türen moslemische Gläubige versammeln.

Über die Großmoschee reden möchte niemand von ihnen. Auch in der unmittelbaren Nachbarschaft des geplanten Neubaus geben sich die Bewohner wortkarg. „Damit wird dann endlich deutlich, daß wir genauso zu Marseille gehören wie Juden und Christen“, antwortet einer von ihnen nach längerem Zögern. Gefahr gehe vom Islam nicht aus, betont er.

Umfragen zufolge befürworte die Mehrheit der Einwohner Marseilles inzwischen den Moscheebau. Doch gerade in den wohlhabenderen Stadtvierteln sind viele Bürger skeptisch.

Zunehmende Konflikte zwischen Arabern und Juden

„Die Gewalt wird weiter zunehmen“, warnt ein Familienvater. Die Erfahrung habe gezeigt, daß Großmoscheen neue Gläubige ranzögen. „Aber ich glaube kaum, daß es sich dabei um qualifizierte Arbeitskräfte handeln wird. Letztlich kommen so neue Erwerbslose in die Stadt. Viele Moslems haben doch jetzt schon keinen Job. Das wird dann nur zu noch mehr Gewalt und Kriminalität führen.“

Daß der Stadt noch ein weiteres Problem droht, wird derzeit am jüngst neu eskalierten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern deutlich. Für Marseille beinhaltet er politischen Sprengstoff. Denn neben einer starken moslemischen Bevölkerung beherbegt die Hafenstadt mit 75.000 jüdischen Einwohnern und fast 50 Synagogen gleichzeitig die bedeutendste jüdische Gemeinde an der Mittelmeerküste außerhalb Israels.

Was dies für Folgen haben kann, wurde erst vor wenigen Wochen deutlich, als mehrere tausend Juden auf der einen und Tausende Araber auf der anderen Seite für ihr Anliegen im Gazakonflikt demonstrierten. Nur mit Mühe konnte die personell zusehends schlechter ausgestattete Polizei die rivalisierenden Gruppen auseinanderhalten.

Foto: Freitagsgebet in einem moslemisch geprägten Viertel von Marseille: Vor allem der zunehmende Fundamentalismus unter jungen Maghrebinern setzt die Stadtoberen unter Druck

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