© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Zeitschriftenkritik: Lettre International
Es geht nicht ohne Gefühl
Karlheinz Weissmann

Eines der erstaunlichsten Zeitschriftenprojekte der letzten Jahrzehnte ist Lettre International. Erstaunlich wegen des Großformats, erstaunlich wegen der Zählebigkeit – er existiert seit 1984 –, erstaunlich wegen der titelgebenden Internationalität: Es erscheinen neben der deutschen italienische, spanische, ungarische, rumänische und – gelegentlich – dänische Ausgaben. Der französische Ur-Lettre ist allerdings verschwunden, so wie auch die Vorstellung, einer internationalen, oder wenigstens europäischen, Öffentlichkeit zu dienen, indem man ein und dasselbe Heft in verschiedenen Sprachen produziert. Heute arbeiten die Redaktionen in Berlin, Rom, Bukarest, Madrid und Budapest unabhängig, der Anspruch auf Internationalität wird aber durch die Auswahl von Themen wie Autoren aufrechterhalten.

Lettre International hat sich in drei Jahrzehnten von seinen Anfängen als Nischenprodukt sehr weit entfernt. Zwar liegt auch die Glanzzeit schon zurück, aber heute kann das Magazin ohne Zweifel als Teil des etablierten Kulturbetriebs gelten. Man gönnt sich gelegentliche Ausreißer, bietet aber sonst literarischen und theoretischen Mainstream auf gehobenem Niveau. Insofern lohnt sich der regelmäßige Blick in die jeweils neueste Ausgabe, so auch in die aktuelle Nummer 105.

Das Heft hat im wesentlichen zwei Schwerpunkte: „Ideale der Eleganz“ – behandelt werden Schönheitsideale in Arabien, Japan und Europa – sowie „Machiavellis Moral“. Letzterer ist politisch interessanter. Das gilt auch deshalb, weil die Essays von Sergio Benvenuto, Valerij Podorga, Marcel Hénaff, Etienne Balibar und Warren Breckman alle einen gemeinsamen Subtext haben. Dessen Botschaft ist etwa so zu umreißen: Die Masse war dumm und wird es bleiben, ihr Verhalten ist irrational, worauf man sich einzustellen hat, das gilt sogar, wenn man an der Demokratie als idealer Staatsform festhält. Auch in der Demokratie benötigen die, die an die Macht streben oder die, die sich in ihrem Besitz halten wollen, einen bestimmten „Sound“ (Sergio Benvenuto), um die Vielen zur Einheit zusammenzuschließen. Es geht nicht ohne Gefühl, und es geht nicht ohne Propaganda. Wenn die linke Intelligenz glaubt, daß Argumente genügen, befindet sie sich im Irrtum.

Warum alle diese Überlegungen mit Machiavellis Werk verknüpft werden, liegt auf der Hand. Man reklamiert „Old Nic“ zwar nur unter Vorbehalt für die eigene Seite, betreibt aber mit Nachdruck eine Entdämonisierung. Das aufklärende Potential seiner Schriften steht im Mittelpunkt. Nur stellt sich vorsichtshalber keiner der Lettre-Autoren dem Problem, ob dieses Potential von links eigentlich genutzt werden kann, ohne die eigene Weltanschauung vollständig zu revidieren. Aber Lettre International bringt Essays, und der Essay muß nicht jede Frage beantworten, dafür ist es schon dem Begriff nach ein „Versuch“.

Kontakt: Lettre International Verlags-GmbH, Erkelenzdamm 59/61, Elisabethhof Portal 3b, 10999 Berlin, Telefon: 030 / 308 704 52. Das Einzelheft kostet 13,90, ein Jahresabo für vier Ausgaben 49 Euro.

www.lettre.de

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