© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/14 / 08. August 2014

Verflixte Rollenspiele
Zwei Journalistinnen kritisieren die Auswüchse des Feminismus und die Dominanz der „Tussis“, die allen Frauen den Weg weisen wollen
Friederike Hoffmann-Klein

Frausein ist von Einfluß auf unser Leben, sollte es aber nicht sein, weil dies immer mit einem Bewußtsein des Nachteils verbunden ist. So gilt es heute als gesellschaftliches Problem, daß „trotz der großen Prophezeiungen, die man jungen Frauen heute macht“, ihre Biographien immer noch anders aussehen als die der Männer.

Das Buch der Neon-Journalistinnen Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling mit dem Titel „Tussikratie“ stellt die Karriereideologie in Frage. „Es bringt nichts“, schreibt Knüpling, „die Frauenkarriere zum gesellschaftlichen Nonplusultra zu erheben.“ Denn dann habe sich der Feminismus bloß von einer Wirtschaft, die nicht menschenfreundlich ist, vereinnahmen lassen. Das von den beiden Autorinnen abwechselnd in einzelnen Kapiteln geschriebene Buch setzt sich dabei mit den verschiedenen Aspekten des zeitgeistigen Feminismus in umfassender Weise auseinander.

Die Autorinnen erkennen in manchen Zwängen, die der Feminismus errichtet, eine Herrschaft von Frauen über Frauen und eine Einschränkung der Freiheit. Sie fordern eine Möglichkeit der Selbstbestimmung über das eigene Leben für Frauen und für Männer, die frei ist von dieser Art von „Diskursherrschaft“, die sich manche Feministinnen („Tussis“) anmaßen. Denn es seien, so der Ansatz der Autorinnen, weit mehr gesellschaftliche Probleme („Klassendifferenzen“), die als Frauenproblem verschleiert würden.

Den Autorinnen gelingt es, manche Annahme, die zu einem Stereotyp und zu einem feministischen Dogma geworden ist, in Zweifel zu ziehen. So stellen sie die Frage, ob nicht viele unserer Probleme gerade nicht nach „feministischen“ Antworten verlangten. Denn vieles, was heute als frauenspezifisches Problem ausgegeben wird, betrifft tatsächlich beide Geschlechter. Die Frage etwa, wie der Wert eines Menschen bemessen und wie Erfolg definiert wird. Hier kritisieren Bäuerlein und Knüpling die immer prekärer werdenden wirtschaftlichen Verhältnisse, die negativen Einfluß auf unser Leben haben, sei es als Frauen oder als Männer. Die Frage ist deshalb oft gar nicht, welch wunderbare Karriere jemand macht, sondern ob es überhaupt möglich ist, die Arbeitsstelle zu finden, die man gern hätte.

Für die „Tussi“ aber, so die Feststellung, sei immer nur der Frauenanteil des Problems relevant. Sie denkt nur in den Kategorien der Gegnerschaft zum Mann und versäumt es deshalb, sich in ihm einen Verbündeten zu sichern beim Kampf um gerechtere gesellschaftliche Verhältnisse. Die „Tussi“ kann diese Denkmuster, bei denen es um die prinzipielle Gegnerschaft zwischen Männern und Frauen geht, um die Frage, wer mehr Macht, Geld und Erfolg hat, wer der Gewinner und wer der Verlierer ist, nicht verlassen. Wir müßten unsere Gedankenwelt aus dieser Perspektive lösen, fordern die Autorinnen, und von dem Gedanken Abstand nehmen, „daß wir der Welt stets als Frau oder als Mann begegnen müssen“.

Der geschlechtsneutrale Mensch als letzter Ausweg

Dabei bleiben die beiden auf der anderen Seite noch ganz der gängigen feministischen Denkweise verhaftet, und das macht einen Teil der Widersprüchlichkeit ihrer Aussagen aus. Zu Recht gehen sie davon aus, daß das Geschlecht nicht unerheblichen Einfluß auf unser Leben hat. Dieser Umstand wird von ihnen aber prinzipiell negativ wahrgenommen. Diese Benachteiligungsperspektive können sie nicht aufgeben. Sie sind in dieser Welt aufgewachsen, die Außenstehenden als merkwürdig eng und festgelegt vorkommt, obwohl sie das eigentlich nicht sein will, sondern sich gerade als Gegenwelt zu der durch traditionelle Institutionen und Autoritäten geprägten bürgerlichen Welt immer verstanden hat.

So bleibt ihre Vision von Freiheit nur eine flüchtige. Das Buch kann zwar kritisieren, daß mit der Genderperspektive gesellschaftskritisches Potential verdeckt wird. Und es kann fordern, daß es verschiedene Lebensentwürfe geben müßte, die als gleichermaßen wertvoll angesehen werden. Aber dann fallen die Autorinnen doch wieder in die feministisch-dogmatische Denkweise zurück, wenn sie beispielsweise beklagen, daß mit der Geburt eines Kindes ein Paar wieder in die alte Rollenverteilung „rutscht“.

Dabei würde eine Sichtweise, die das Geschlecht nicht als oberflächliche, irrelevante Eigenschaft, sondern als wesentliches Merkmal der Persönlichkeit erkennen könnte, Gelassenheit in die Geschlechterfrage hineinbringen. So müßten Frauen nicht länger, wie die Autorinnen das gewöhnt sind, ihr ganzes Leben unter dem Damoklesschwert der Benachteiligung sehen mit der Folge, daß jede Beziehung zu einem Mann davon belastet ist.

Die Autorinnen sind mit diesem Gefühl, daß die Männer tief in unserer Schuld stehen, aufgewachsen. Der einzige Ausweg scheint ihnen der geschlechtsneutrale Mensch zu sein. Das Geschlecht soll keine Rolle spielen, weder in der einen Richtung (traditionelle Rollenbilder) noch in der anderen (einer Rollenzuschreibung mit jetzt umgekehrtem Vorzeichen). Wenn aber Geschlecht nicht nur eine gesellschaftliche Rollenzuschreibung, sondern ein Identitätsmerkmal ist, darf es dann unser Leben nicht auch prägen? Und könnte die Genderdiskussion damit eigentlich nicht beendet werden?

Dies käme dem Wunsch der Autorinnen durchaus entgegen: „Auch untereinander haben Frauen und Männer eine Solidarität zu entdecken, die nicht nur an geteilten Gendererfahrungen hängt. Ich bin für Interessen- anstatt für Geschlechtsgemeinschaften.“ Diesen Ansatz umzusetzen gelingt den Autorinnen nicht ganz, zu sehr bleiben sie dem Denken der zu überwindenden Ungleichheit verhaftet. Deshalb können sie aus dem Labyrinth nicht wirklich herausfinden, obgleich ihre Kritik an der „Tussikratie“ wichtige Einsichten enthält.

Theresa Bäuerlein, Friederike Knüpling: Tussikratie. Warum Frauen nichts falsch und Männer nichts richtig machen können. Heyne-Verlag, München 2014, broschiert, 320 Seiten, 16,99 Euro

Foto: Junge und Mädchen mit Krone: Die meisten Feministinnen denken nur in den Kategorien der Gegnerschaft zum Mann

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