© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

„Bei fünf Prozent nicht stehenbleiben“
In Sachsen verteidigt der ehemalige FDP-Bundesvize Holger Zastrow die letzte liberale Regierungsbeteiligung. Dabei kämpft er nicht nur gegen den Abwärtstrend der Bundespartei, sondern auch gegen die AfD, die erstmals in einen Landtag einziehen könnte.
Moritz Schwarz

Herr Zastrow, noch zwei Wochen bis zur Wahl und die FDP liegt je nach Umfrage bei drei bis fünf Prozent. Eine Zitterpartie?

Zastrow: Wir standen in Umfragen auch schon bei zwei Prozent, und selbst da habe ich nicht gezittert. Die Umfragen beweisen: Wir können es schaffen!

Für Sie spricht, daß Ihre Partei nötig ist, wenn die Wähler die bürgerliche Regierung fortsetzen wollen.

Zastrow: Wir sind die letzte schwarz-gelbe Bastion, die letzte marktwirtschaftliche Regierung in Deutschland, und wir werden kämpfen. Es kann nicht immer nur „mehr Staat“ geben. Außerdem wissen die Wähler ohne uns nicht, was sie nach der Wahl bekommen: Schwarz-Rot? Schwarz-Grün? CDU-AfD? Nur mit der FDP ist klar, welche Regierung Sachsen bekommt.

Allerdings wären das nur taktische Stimmen, das kann Sie nicht glücklich machen.

Zastrow: Wie kommen Sie darauf? Natürlich sind das eigene Stimmen, von Menschen, die nicht wollen, daß Sachsen wie Berlin regiert wird.

Wenn CDU-Wähler die FDP nur wählen, um Schwarz-Gelb zu ermöglichen, sind das für Sie eigene Stimmen?

Zastrow: Keine Partei wird nur wegen ihrer Programmatik gewählt, immer gibt es auch Wähler, die ihre Stimme geben, weil sie einen bestimmten Kandidaten oder ein bestimmtes Bündnis wünschen. Es ist also legitim, ja sogar ehrlich, für ein Bündnis zu werben.

Sicher, aber gesund ist die FDP erst wieder, wenn sie fünf Prozent auch ohne Bündniszusage – aus eigener Kraft – bekommt.

Zastrow: Das habe ich vor. Wer wurde hier in Sachsen in den vergangenen zwanzig Jahren nicht schon alles zu unseren Erben erklärt: Pro DM, Schill-Partei, Freie Wähler – und am Ende hat doch die Sachsen-FDP gewonnen und besser abgeschnitten als vorhergesagt.

Sie sind nach Ministerpräsident Tillich der bekannteste Politiker im Land. Wieso schwächelt Ihre Partei, während alle anderen laut Prognose bei der Wahl mit Zuwächsen rechnen können?

Zastrow: Bis zur Bundestagswahl standen wir stabil bei fünf bis sechs Prozent. Ich glaube, daß die Umfragewerte danach nichts mit der Arbeit der FDP in Sachsen zu tun haben, sondern mit dem Ansehensverlust der Bundes-FDP. Das Ausscheiden aus dem Bundestag war eine Zäsur. Das hat es noch nie gegeben. Es hat die ganze Partei schwer getroffen. Dabei stand die sächsische FDP oft in Opposition zur Bundes-FDP: Wir haben nicht nachgelassen, die Entlastung der berufstätigen Mitte einzufordern, die Energiewende abzulehnen, gegen den Mindestlohn zu kämpfen. Aber die FDP in Berlin ist einen anderen Weg gegangen und hat dafür die Quittung bekommen. Manchmal frage ich mich, was wäre passiert, wenn man häufiger auf uns gehört hätte? Aber wir sind nun mal der eigenständigste und eigenwilligste FDP-Landesverband. Das legen wir jetzt in die Waagschale.

Mit wieviel Prozent rechnen Sie?

Zastrow: Bei fünf Prozent will ich jedenfalls nicht stehenbleiben.

Auch wenn Ihnen der Wiedereinzug gelingt, wird die FDP – die bei der Landtagswahl 2009 noch zehn Prozent geholt hat – die einzige etablierte Partei mit erheblichen Prozentverlusten sein.

Zastrow: Jeder wird in Mithaftung für die Bundespartei genommen, das ist nun mal so, da mag er noch so eigenständig sein. Aber jeder profitiert auch, wenn es besser läuft. Das sollte man fairerweise auch sagen.

Kritiker werfen Ihnen allerdings vor, die schwachen Umfragewerte selbst mitverschuldet zu haben: „An die Macht gekommen, blieb vom einstigen Widerstand der Zastrow-Truppe gegen das Establishment wenig übrig“, schreibt etwa die „Zeit“.

Zastrow: Wie bitte? Anders als die Bundes-FDP haben wir Wort gehalten! Wir haben praktisch alles, was wir im Koalitionsvertrag 2009 versprochen haben, auch durchgesetzt! Wer hätte je gedacht, daß es die kleine FDP etwa vermag, die noch von der SPD mitgetragene Welle von Schulschließungen im ländlichen Raum zu stoppen? Das gegen die CDU durchgesetzt zu haben, verbuche ich als unseren größten politischen Erfolg! Außerdem ist da die Einführung der Oberschule, der Stopp des massiven Ausbaus der Windkraft, die Verankerung des Neuverschuldungsverbots in der Landesverfassung, die größte Verwaltungsreform seit der Wende, nach der wir die Landesverwaltung bis 2019 komplett umgebaut haben werden, oder die Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung auf den Mittelstand und Arbeitsplätze statt Subventionitis mit der Gießkanne – um nur das Wichtigste zu nennen. Unsere Leistungsbilanz kann sich sehen lassen!

Aber warum kommt das bei den Wählern nicht an?

Zastrow: Vielleicht weil darüber nicht so oft geschrieben wird und nichts im Fernsehen kommt? Aber warten wir mal den Wahlsonntag am 31. August ab!

Ein Prozent, zehn Prozent – wie stark ist die FDP-Stammwählerschaft in Sachsen tatsächlich?

Zastrow: Es gibt in Sachsen keine FDP-Stammwählerschaft. Der Sachse ist ein Freigeist und muß in jeder Legislaturperiode neu gewonnen werden. Wir werden in der Platte genauso gewählt wie in der Villa, auf dem Land wie in der Stadt. Hier in Sachsen sind wir keine Milieupartei, sondern eine Partei, die für eine Haltung steht und nicht für Herkunft, Einkommen, Beruf oder Stand.

In einem Interview haben Sie den Erfolg Ihrer FDP einmal mit dem besonderen Verständnis von Freiheit in Sachsen erklärt, bei dem „auch die DDR-Erfahrung eine Rolle spielt“. Verliert diese, 25 Jahre nach der Wende, vielleicht einfach an Kraft, auch weil die Erlebnisgeneration schwindet, junge Sachsen ohne eine spezifische historische Prägung heranwachsen?

Zastrow: Die meisten haben die DDR noch erlebt, und bei vielen hat diese Erfahrung die Sensoren für sozialistische Experimente geschärft. Viele fühlen sich, wie ich, immer wieder an früher erinnert, wenn sie erkennen müssen, welchen Einfluß Staat und Bürokratie in Deutschland wieder haben. Vor allem im Westen gibt es leider diese aus meiner Sicht völlig naive, geradezu romantische Schwärmerei für Elemente aus der sozialistischen Gesellschaftsvorstellung und Planwirtschaft. Nur ein Beispiel: die Energiewende. Ich kann mir diese fatale Naivität nur damit erklären, daß man sich die Auswirkungen und Folgen einfach nicht vorstellen kann, wenn man es nicht selbst schon einmal erlebt hat. Vielleicht liegt es ja auch daran, daß es Deutschland etwas „zu gut“ geht. Die Wohlstandsgesellschaft hat vergessen, was es bedeutet, sich Wohlstand erkämpfen zu müssen: nämlich, daß dieser unter Mühen und Opfern erwirtschaftet werden muß, daß Menschen dafür Risiken eingehen und Leistung erbringen müssen. Ich weiß natürlich, daß dieser Vorwurf so pauschal nicht stimmt – aber er stimmt für viele, die in Deutschland heute die politischen Entscheidungen treffen. Ich bin selbst ein Gründer, kein Berufspolitiker, sondern leite nebenher noch meine Firma. Ich versuche, etwas aufzubauen, und ich werde dabei immer wieder behindert und ausgebremst – durch die Sattheit und Bequemlichkeit des Westens.

Was meinen Sie konkret?

Zastrow: Ich spreche davon, daß man uns immer wieder Hindernisse in den Weg legt, wie Mindestlohn, Mietpreisbremse, Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, Energiewende, überbordende Bürokratie und überzogene Standards. Nach der Wende war das noch nicht so deutlich, denn es gab noch viele Sonderregelungen für die neuen Länder, die uns geholfen haben. Deshalb ist Sachsen so schnell nach vorne gekommen. Jetzt aber ist dieser Aufholprozeß stark verlangsamt – nicht weil Geld, sondern weil Freiheit fehlt, für die wir 1989 auf die Straße gegangen sind. Ich will nicht immer und ewig Geld aus dem Westen, sondern ich will die Freiheit, meines eigenen Glückes Schmied zu sein!

Die Freiheit „zu machen“ hat die Bundes-FDP derzeit wie nie zuvor, dennoch kommt Ihre Mutterpartei offenbar nicht mehr auf die Beine. Warum?

Zastrow: Ich bin sicher, daß es ihr gelingen wird, wenn sie es schafft, in ihre neue Rolle als APO zu finden.

Sie haben der Bundes-FDP dazu auch schon eine Formel empfohlen: Machete statt Florett, Stammtisch statt Talkshow und Straße statt Feuilleton.

Zastrow: Ja, denn als APO muß man den Mut haben, Politik zu machen, ohne sich immer gleich über eine komplexe gesellschaftliche Gesamtlösung den Kopf zu zerbrechen. Man muß auch Sprachrohr für Protest sein und sich nicht als erstes fragen, ob eine Forderung wohl beim Bundesfinanzminister gut ankommt und wie sie in einen europäischen Gesamtkontext der kommenden hundert Jahre paßt. Wer das tut, macht keine außerparlamentarische Opposition, sondern im Grunde Regierungspolitik, ohne gemerkt zu haben, daß er gar nicht mehr an der Regierung ist.

Dann ist Christian Lindner nicht Ihr Mann.

Zastrow: Oh doch! Die Partei hat ihn gewollt und gewählt, und ich unterstütze ihn beim Erneuerungsprozeß der Partei, wie auch der gesamte Landesverband.

Allerdings paßt er nicht zu dem von Ihnen geforderten Profil.

Zastrow: Im Gegenteil, ich traue Christian Lindner diese Aufgabe absolut zu.

Aber er ist durch und durch ein Etablierter.

Zastrow: Christian Lindner ist vor allem ein junger und hochtalentierter Mann.

Im Moment sieht alles danach aus, daß sich unter ihm die Krise der FDP genauso fortsetzen wird wie unter Philipp Rösler.

Zastrow: Sind Sie sich da so sicher? Ich glaube das nicht. Warten wir die Zukunft ab.

Im „Handelsblatt“ sagen Sie: „Ohne Euro-Kritiker hat die FDP keine Zukunft.“

Zastrow: Es hat sich deutlich gerächt, daß wir die Debatte mit den Euro-Rettungskritikern nicht so geführt haben, wie wir es hätten tun sollen. Wir Liberale sind glühende Europäer, aber gerade deshalb hätten wir genauer hinschauen und die Probleme ansprechen sollen! Denn wenn wir das nicht tun, dann tun es diejenigen, die die EU und den Euro am liebsten nur abschaffen würden.

Wie wurde diese Debatte denn geführt?

Zastrow: Ideologisch und dogmatisch – wie ich es in einer liberalen Partei nicht erwartet hätte. Motto: Wer die Euro-Rettung kritisiert, ist „gegen Europa“ und gegen die „Friedenswährung“! Euro-Kritiker wie Frank Schäffler oder Holger Krahmer, ja praktisch unser gesamter Landesverband, mußten Reaktionen nach Strickmustern erleben wie in der DDR: Da war auch jeder gleich ein Feind des Friedens, der auch nur vorsichtig Kritik am Bruderstaat Sowjetunion geübt hat. Als eine Partei, die ohne Wenn und Aber für die europäische Idee steht – und das muß man allein schon tun, wenn man wirtschaftliche Vernunft hat –, haben wir mit diesem Stil in der Debatte versagt.

Die FDP steigt ab, die AfD auf. Gibt es da einen Zusammenhang?

Zastrow: Richtig ist: Hätten wir die Euro-Debatte weniger ideologisch und mit Mut zur Kritik geführt, hätte die AfD womöglich nie eine Lücke im Parteienspektrum gefunden. Aber inzwischen ist die AfD zu einer Ein-Themen-Partei geworden, die sich darauf beschränkt, Protest eine Stimme zu geben und sich dabei immer weiter rechts eingeordnet hat. Die AfD ist ein Mitbewerber, aber sie spricht vornehmlich andere Wähler an als wir.

Warum haben Sie dann immer wieder so scharf auf sie reagiert?

Zastrow: Inwiefern?

Auch Sie nennen die AfD „Rechtspopulisten“.

Zastrow: Sie sind in erster Linie einmal Populisten, eine typische Protestpartei eben. Und da bedient man sich mal hier und mal dort. Wenn ich mir ihre Thesen anschaue, glaube ich aber schon, daß sie eher mit CDU und NPD konkurriert als mit uns.

Steht die AfD nicht dem Selbstverständnis der Sachsen-FDP als bürgerschaftlichem Widerstand gegen verkrustete etablierte Strukturen nahe? Eigentlich müßten Sie die AfD doch als potentiellen Verbündeten begrüßen.

Zastrow: Bei der AfD ist alles vage, alles bloße Verheißung, alles Theorie! Man kennt weder Leute noch Programm und wundert sich zuweilen, wer da alles so untergekrochen ist. Oft Leute, die schon überall waren und es jetzt eben bei der AfD versuchen. Aber gegen alle und alles zu sein, ist kein politisches Konzept. Bei uns ist das anders, und ich spreche hier ausdrücklich für meine sächsische FDP und niemanden anders. Bei uns weiß man, was man hat. Wir haben als eine FDP mit einem starken freiheitlich-wirtschaftsliberalen Profil fünf Jahre erfolgreich regiert und Sachsen auf einem marktwirtschaftlichen Kurs gehalten und standen oft in Opposition zur Politik der damaligen Bundesregierung. Die liberal-konservative Regierung paßt zu Land und Leuten. Unsere Leistungsbilanz ist erstklassig, unsere Leute sind hier bekannt – auch für ihre Prinzipientreue und ihre persönliche Unabhängigkeit. Und: Es geht am 31. August nicht um den Euro, sondern um Sachsen. Landespolitische Kompetenz ist gefragt. Die fehlt der AfD. Nicht umsonst hängt sie in Sachsen die gleichen Plakate wie zur Bundestagswahl und zur Europawahl auf. Das ist zuwenig, um ein Land zu führen.

 

Holger Zastrow, der Landesvorsitzende in Sachsen und Fraktionschef im Dresdner Landtag war von Mai 2011 bis Ende 2013 Stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP und Mitglied des Bundesvorstands. In Dresden 1969 geboren, gründete der spätere Industriekaufmann und Inhaber einer Werbeagentur 1989 die „Jungliberale Aktion“ als Alternative zur SED-Jugendorganisation FDJ. Nach dem Landtagswahldebakel 1999 übernahm Zastrow den Vorsitz der damals zur Ein-Prozent-Partei geschrumpften sächsischen FDP und führte diese 2004 mit fast sechs Prozent zurück in den Landtag. 2009 holten die Liberalen unter ihm sogar zehn Prozent. Eigentlich sollte Zastrow nun stellvertretender Ministerpräsident und Minister im Kabinett von Stanislaw Tillich (CDU) werden, lehnte dies jedoch ab, um weiterhin die Fraktion zu führen. Zudem kümmert er sich seit 2004 als FDP-Stadtrat um die Belange seiner Vaterstadt.

Foto: FDP-Landeschef Zastrow: „Wir standen oft in Opposition zur Bundes-FDP. Die ist einen anderen Weg gegangen und hat die Quittung bekommen. Was wäre passiert, hätte man auf uns gehört?“

 

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