© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Lauter Halbwahrheiten
Kriminalität: Eine Studie arbeitet sich an straffälligen Ausländern ab
Lion Edler

Die Bewertung in den Medien war nahezu einhellig. „Daß Ausländer besonders kriminell seien, ist ein Mythos“, meinte der Tagesspiegel erkannt zu haben. „Die Mär vom kriminellen Ausländer“, sekundierte Spiegel Online. „Populisten“ würden oftmals gegen Ausländerkriminalität „wettern“, doch die „Migranten“ begingen in Wahrheit „nicht generell mehr Straftaten“.

Anlaß für die Jubelmeldungen ist das Gutachten „Migration und Jugenddelinquenz – Mythen und Zusammenhänge“, das von Christian Walburg von der Universität Münster erstellt wurde. Offenbar war es für manche Zeitungen nicht weiter bemerkenswert, welche Interessen hinter der Studie stehen könnten – denn diese sind wohl eher nicht die Interessen der „Populisten“: Das Gutachten wurde im Auftrag des „Mediendienstes Integration“ erstellt, das wiederum von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), gefördert wird. Dies macht sich beim Lesen bemerkbar. Denn auch wenn Walburg einige berechtigte Einwände gegen einseitige Betrachtungen benennt, wimmelt es im Gutachten doch seinerseits von Widersprüchen und Halbwahrheiten.

„Erwachsene Einwanderer fallen insgesamt eher nicht vermehrt durch Straftaten auf“, lautet eine Kernthese der Studie. Zur Begründung wird unter anderem angeführt, daß die Kriminalitätsraten von Deutschen und Ausländern nur bedingt verglichen werden könne, da „junge Ausländer beispielsweise vermehrt in ohnehin stärker kriminalitätsbelasteten Ballungsräumen leben.“ Was uns der Wissenschaftler damit sagen will, bleibt unklar. Weiterhin wird mehrfach betont, daß die Unterschiede in der Gewaltbelastung zurückgehen würden, wenn sich „die Bildungsteilhabe junger Migranten der von Nichtmigranten annähert“. Hätte, wäre, wenn. Aus dieser Binsenweisheit leitet die Studie den x-ten Appell für eine verbesserte „Förderung der Bildungsbeteiligung“ für Einwanderer ab. Die Frage, ob die Einwanderungspolitik restriktiver gestaltet werden müßte oder die Strafverfolgung nicht funktioniert, wird dagegen nirgendwo gestellt. Und dies, obwohl die populäre Forderung nach einer „qualifizierten Einwanderung“ gerade darauf abzielt, das von Walburg konstatierte Bildungsgefälle abzubauen.

Dabei enthält das Gutachten durchaus Passagen, denen auch viele Anhänger von Thilo Sarrazin zustimmen könnten. So spricht Walburg von einer „teilweise zu beobachtenden erhöhten Gewaltbelastung bei Migrantenjugendlichen“, welche auf eine „in diesen Fällen verstärkte Gewaltakzeptanz zurückzuführen“ sei. Zwar ist zu beobachten, daß sich bei ähnlichen Gewalteinstellungen die Zahl der Gewalttaten von Deutschen und „Migranten“ annähere. Es stelle sich „allerdings die kontrovers diskutierte Frage“, warum jugendliche Migranten „Gewalt zuweilen offenbar stärker befürworten“. Doch im Fazit des Gutachtens werden solche Aspekte wieder als Nebensache behandelt.

Da die erhöhten Gewaltrisiken nicht auf eine bestimmte religiöse oder ethnische Gruppe beschränkt seien, sondern „gruppenübergreifend“ bestünden, scheine der hohe Gewalttäteranteil unter Zuwanderern „mit den Lebenslagen zusammenzuhängen, die typischerweise mit Migration verbunden sind.“ Den Autor des Gutachtens scheint es also nicht zu beunruhigen oder gar zu Fragen über die Einwanderungspolitik herauszufordern, daß solche „Lebenslagen“ nach der Einwanderung inzwischen „typisch“ sind.

Gegen die These einer überdurchschnittlichen ausländischen Jugendkriminalität wendet sich das Gutachten auch mit dem Argument, daß „Migranten“ einem um „bis zu 50 Prozent erhöhten Anzeigerisiko ausgesetzt“ seien. Die spektakuläre Zahl wurde von manchen Medien als neue Erkenntnis des Gutachtens dargestellt, doch in der betreffenden Fußnote wird nur auf eine bereits 2009 erschienene Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) verwiesen. Danach werden bei einem deutschen Opfer und einem deutschen Täter 19,5 Prozent der Gewaltdelikte angezeigt, aber 29,3 Prozent bei einem nichtdeutschen Täter und einem deutschen Opfer.

Daraus errechnete das KFN, daß die 29,3 Prozent eine Erhöhung „um mehr als 50 Prozent“ gegenüber den 19,5 Prozent darstellten. Zu berücksichtigen ist dabei, daß nach der Studie auch sexuelle Gewalt, Raub und räuberische Erpressung unter „Gewalttaten“ zählten. Bei der schweren Körperverletzung unterschied sich die Anzeigequote indessen kaum: 37,6 Prozent bei deutschem Opfer und deutschem Täter, 39 Prozent bei deutschem Opfer und nichtdeutschem Täter. Jedenfalls kann die „um mehr als 50 Prozent“ erhöhte Anzeigequote auch nicht erklären, warum nach Angaben der Berliner Staatsanwaltschaft – wie auch Walburg einräumt – 2005 etwa 70 Prozent der Berliner „Intensivtäter“ einen Migrationshintergrund hatten.

Die Studie stellt eine Reihe bloßer Mutmaßungen an, die die 70 Prozent erklären sollen: Ob möglicherweise die „Aufmerksamkeit von Verkaufs- und Überwachungspersonal aufgrund von Stereotypen“ größer sei? Ob Migranten von Staatsanwalten und Gerichten „unterschiedlich behandelt“ würden? Das Gutachten wendet sich gegen „ethnisierende Diskurse“ – und stellt dennoch ständig eine Bevölkerungsgruppe unterschwellig an den Pranger, nämlich die Deutschen: als latent „rassistisch“.

Grafiken siehe PDF

Die Studie im Internet: www.bit.ly/1oojYRS

Foto: Jugendliche Ausländer treten einen Passanten ins Koma (2011): „Teilweise erhöhte Gewaltbelastung“

 

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