© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Die Türken kommen
Parteien: Langsam aber sicher steigt die Zahl der Politiker mit Migrationshintergrund – vor allem vom Bosporus
Christian Schreiber

Vor fast 20 Jahren unternahmen einige Türken in Deutschland den Versuch, eine Partei zu gründen. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, riefen sie die Demokratische Partei Deutschlands (DPD) ins Leben. Sie sah die Schwerpunkte ihrer Politik im Einsatz für die Gleichberechtigung von Ausländern und im Kampf gegen Rassismus. So forderte sie bereits 1995 ein Antidiskriminierungsgesetz.

Weiter strebte die DPD die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft und die rechtliche Gleichstellung der in Deutschland lebenden Ausländer nach zehnjährigem Aufenthalt ohne Einbürgerungszwang an. 2002 war die neue Partei, die nie wirklich Aufmerksamkeit erlangen konnte, schon wieder erledigt. Dies hatte mehrere Gründe.

Andreas Wüst, Dozent an der Universität Mannheim, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Wahlverhalten von Ausländern und eingebürgerten Deutschen: „Im Endeffekt unterscheiden die sich nicht sehr von den Deutschen. Bei Bundestagswahlen gehen drei Viertel von ihnen zur Wahl. Es gibt naturgemäß einen Trend zu etablierten Parteien, wobei die SPD und die Grünen noch vorne liegen“, erklärt er und äußert sich skeptisch zu den Chancen kleinerer Partei wie der DPD: „Die Motivation, eine Nischenpartei zu wählen, ist kaum ausgeprägt. Wie bei allen anderen Bevölkerungsschichten gibt es kaum eine Bereitschaft, seine Stimme zu verschenken.“

„Wir wollen Personen wählen, keine Parteien“

Im Jahr 2002 gaben 6.000 Stimmen den Ausschlag für Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), spätestens seit diesem knappen Ergebnis ist klar, daß auch die Stimmen der Türkischstämmigen wahlentscheidend sein können, man geht derzeit von rund 600.000 stimmberechtigten Deutsch-Türken aus. „Die klassischen Migranten wählen häufig personenbezogen. Wie Untersuchungen aus Skandinavien zeigen, ist es ihnen wichtig, den Kandidaten zu wählen, der zu ihrer Community gehört – oder den sie zu ihrer Community zählen, erklärte Experte Wüst gegenüber der Tageszeitung Die Welt.

So forderte Kenan Kolat, bis Mai dieses Jahres Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, die türkischstämmigen Wähler schon mal dazu auf, die Erststimme Direktkandidaten wie Grünen-Politiker Cem Özdemir, der SPD-Abgeordneten Lale Akgün, Sevim Dagdelen von der Linken oder Serkan Tören von der FDP zu geben. „Wir wollen Personen wählen, keine Parteien“, sagte er vor der Bundestagswahl 2013.

Derzeit gehören elf Abgeordnete mit türkischen Wurzeln dem deutschen Bundestag an. Multikulti im Parlament war dabei zunächst eine grüne Domäne. Ekin Deligöz wurde 1998 als erste türkischstämmige Abgeordnete der Grünen in den Bundestag gewählt, heute ist sie stellvertretende Vorsitzende ihrer Fraktion. Gefolgt ist ihr Aydan Özoğuz, eine SPD-Politikerin, die zunächst in der Hamburger Bürgerschaft saß, um dann nach Berlin zu gehen. Und auch die CDU verfügt mittlerweile auf Bundes- und Landesebene über türkischstämmige Mandatsträger.

Doch innerhalb der Partei gibt es manchmal Ärger deswegen. „In der West-CDU tobt ein Kulturkampf“, warnt die Welt. Yasar Calik, ein Kandidat für den Neusser Stadtrat, hatte Werbetaschen mit einem heiklen Aufdruck verteilen lassen: Das „C“ des Parteilogos, das für „Christlich“ steht, umschloß einen kleinen roten Halbmond mit Stern, so wie man es von der Nationalfahne der Türkei kennt. Der Ärger war riesengroß, Calik ruderte zurück, doch die Diskussion war kaum noch einzudämmen. Vor allem im mitgliederstärksten Landesverband Nordrhein-Westfalen gingen die Wogen hoch. Dort steht der stellvertretende Bundesvorsitzende Armin Laschet schon lange im Ruf, Befürworter einer stärkeren Einbindung türkischstämmiger Kreise zu sein. Doch in seinem Heimatverband gibt es Parteifreunde, die einen Einfluß türkischer Extremisten fürchten.

Kürzlich hat sich mit Zafer Topak, ein Kommunalpolitiker aus Hamm, zu seiner Mitgliedschaft bei den Grauen Wölfen (Ülkücü) bekannt. „Jeder muß sich damit abfinden, daß ich ein Ülkücü bin“. Er sei ein „Idealist“. Ausführlich erklärte Topak – auch an Laschet gerichtet –, daß dies nichts Schlimmes sei, Ulkücüs seien „nicht radikal“, „keine Faschisten“, er selbst sei „kein Extremist“. Das Innenministerium in Düsseldorf sieht das anders. Der Verfassungsschutz stuft die Organisation als extremistisch und damit als verfassungsfeindlich ein.

Die CDU steht nun vor einem Problem: Duldet sie offenkundige Extremisten in ihren Reihen? Und wie geht sie mit integrationsunwilligen Einwanderern mit Parteibuch um. Bülent Arslan führte 17 Jahre lang das „Deutsch-Türkische Forum“ in der CDU. Er war manchmal laut, teilweise anstrengend, aber stets ein Mensch, der auch auf den Konsens setzte. Er hat in türkischen Kreisen früh für ein Engagement in der CDU geworben, manche unterstellten ihm darauf Unterwanderungsabsichten.

Kürzlich wurde der Name der Organisation auf alle Menschen mit Zuwanderungsgeschichte erweitert und heißt nun „Union der Vielfalt“. Sie gehört ab sofort auch dem „Netzwerk Integration“ der CDU Deutschlands an. Für den erst 39 Jahre alten Arslan ist dies gleichbedeutend mit seinem Rückzug aus der Politik. Er sah sich als Pionier, scheiterte aber bei dem Bemühen, in den Bundestag einzuziehen. „Manchmal ist man Neulingen einfach kalt gegenüber“, sagte er, fügte aber hinzu: „Das gilt nicht nur für Migranten. Die CDU tut sich generell schwer damit.“

In den Parteien gibt es Angst vor Unterwanderung

Er selbst beschreibt einen Spagat, den viele türkischstämmige Politiker in Deutschland auszuhalten hätten: „Die Presse sagt immer, Bülent Arslan ist zuviel türkisch und muslimisch. Auf der anderen Seite sagen die Türken aber, der ist zu deutsch und assimiliert.“

Vorfälle wie in Hamm machten ihm in der Vergangenheit die Arbeit nicht leichter. Der umstrittene Christdemokrat Topak rief über Twitter kürzlich Ülkücü-Anhänger öffentlich auf, in die deutschen Parteien einzutreten. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel hält diese Vorgehensweise für einen Skandal und forderte ihre Partei auf, sich mit diesen Auswüchsen auseinanderzusetzen: „Unser Grundgesetz basiert auf christlichen Werten. Wer zu uns kommt, muß das akzeptieren. Ich glaube, daß viele Leute Angst vor dem Islam haben.“ Die Bundes-CDU hält sich bei diesem Thema merklich zurück. Generalsekretär Peter Tauber teilte mit, „daß Personen mit verfassungsfeindlicher Einstellung generell nicht Mitglied der Union sein können. Aber einen Einzelbeschluß für Gruppen brauchen wir dafür nicht.“

Die politische Konkurrenz beobachtet das Treiben innerhalb der CDU aufmerksam. „Es ist gut, daß die CDU sich weiter für das Thema Migration öffnet. Das vermeintlich neu gegründete Netzwerk ist jedoch in Wahrheit eine Umbenennung des Deutsch-Türkischen Forums. Anders als bei der Arbeitsgemeinschaft Migration der SPD wird eine Vielfalt bei diesem Gremium nicht abgebildet“, sagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration in der SPD, Ali Dogan, der Welt und kritisierte, daß es in der Union der Vielfalt weitgehend türkischstämmige Mitglieder gebe, die teilweise mit fragwürdigen Organisationen zusammenarbeiteten.

Ins Blickfeld geraten ist dabei wieder einmal die Organisation Milli Görüs (IGMG), deren Mitgliederzahlen je nach Angaben zwischen 30 und 50.000 Mitgliedern schwanken. Das Bundesamt für Verfassungsschutz kam in seinem letzten Jahresbericht zu der Überzeugung, daß Milli Görüs ein antidemokratisches Staatsverständnis zeige sowie westliche Demokratien ablehne.

„Wir müssen endlich eine ehrliche und offene Wertedebatte darüber führen, wieso sich migrantische Nationalisten und Islamisten ungestört organisieren können“, so SPD-Mann Dogan. Er warne immer wieder davor, „daß Islamisten von IGMG oder Gülen, Muslimbrüder oder Ultranationalisten der Grauen Wölfe versuchten, alle Parteien zu Unterwandern. Dagegen müssen sich alle Demokraten wehren und solche Personen offenlegen.“ Dogan gab zu, daß auch die SPD in dieser Hinsicht Probleme habe.

In der CDU will Cemile Giousouf unterdessen „mehr Integration, mehr Bekenntnis und mehr Mut“. Sie ist seit September 2013 die erste türkischstämmige Bundestagsabgeordnete der CDU (JF 40/14) und gibt zu, „daß dies immer noch nicht alltäglich ist“. Sie ist gerade einmal 36 Jahre alt, in Leverkusen geboren und weist gerne darauf hin, „daß ich als Politikerin wahrgenommen werden möchte und nicht als Migrantin“. Giousouf spricht von einem strategischen Signal, die CDU müsse sich vor allem in den Großstädten an die Migranten wenden: „Gerade viele türkischstämmige Menschen vertreten konservative Werte wie in der Familienpolitik“, erklärt sie, und Bundesvize Armin Laschet fügt hinzu: „Es ist nicht einzusehen, warum wir diese Menschen SPD oder Grünen überlassen sollen.“

Dennoch wählen Einwanderer bis dato eher links, auch wenn sich in den vergangenen Jahren der Trend von der SPD wegbewegte. Parteien wie die Grünen oder die Linke kümmern sich glaubwürdiger um die Belange von Minderheiten.

Geringe Erfolgsaussichten für Migrantenpartei

Oft nehmen sich bestimmte Migrantengruppen als nichtprivilegiert wahr und wählen deshalb Parteien, die gesellschaftlichen Ausgrenzungen entgegentreten“, sagt Orkan Kösemen, Projektmanager bei der Bertelsmann-Stiftung für Integration und Demokratie. Kösemen teilt die Einschätzung von Andreas Wüst, daß Migranten personenbezogen wählen. „Wenn die CDU glaubwürdige Leute ins Rennen schickt, dann wird sie bei den Migranten punkten können.“

An einen Erfolg einer eigenen Migrantenpartei glaubt auch er nicht. Da fehle es an geeignetem Personal, finanziellen Mitteln und breiter Unterstützung. Die „Vereinigte Migrantenpartei“, die 2009 gegründet wurde, löste sich nach nur zwei Jahren wieder auf, „um seitens religiöser und extremer Gruppierungen nicht zu eigenen Zwecken mißbraucht zu werden“, wie bis heute auf der Internetseite steht.

In der Türkei sieht man die Integrationsbemühungen von Türken in Deutschland übrigens mit Unbehagen. Der gerade zum türkischen Präsidenten gewählte Ministerpräsident Recep Erdogan versucht seit Jahren, die Auslandstürken für seine politischen Ziele einzuspannen. Seine Regierungspartei AKP unterstützt die Migrantenpartei Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG). Diese teilt mit, „daß sich Migranten nicht in etablierten Parteien aufreiben sollten und ihre Kräfte bündeln müssen“. Bundesweit hat die Truppe lediglich 1.000 Mitglieder, doch in der Parteizentrale ist man sich sicher: „In zehn Jahren sitzen wir in der Regierung.“

 

Was wählen die Türken?

Bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr waren rund 5,8 Millionen Bürger mit Migrationshintergrund wahlberechtigt. Davon waren rund 600.000 Türken. Tendenz steigend. Doch welche Parteien wählen sie? Laut einer Umfrage des Berliner Marktforschungsinstituts „Data 4U“ erzielte die SPD unter den Türken ein Traumergebnis: Von ihnen gaben 64 Prozent die SPD an, 23 Prozent die Grünen und nur sieben Prozent die CDU/CSU. Ähnlich sah das Ergebnis 2009 aus. Auch damals waren SPD und Grüne die beliebtesten Parteien der Türken. 55,5 Prozent von ihnen votierten für die Sozialdemokraten, 23,3 Prozent für die Grünen. CDU und CSU landeten bei 10,1 Prozent, knapp gefolgt von der Linkspartei mit 9,4 Prozent. Die niedrigste Zustimmung erhielt die FDP (0,9 Prozent). Allerdings habe nur etwa ein Drittel dieser Befragten die deutsche Staatsangehörigkeit und sei daher wahlberechtigt, teilte „Data 4U“ 2009 mit. Obwohl die meisten „Deutsch-Türken“ von ihrer Grundeinstellung „mehrheitlich eher religiös-konservativ einzuschätzen“ seien, bevorzugten sie SPD und Grüne offensichtlich wegen deren Positionen in der Ausländer- und Integrationspolitik.

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