© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/14 / 15. August 2014

Gestörte Wahrnehmung
Institut der deutschen Wirtschaft: Eine Studie ergibt, daß die Deutschen das Ausmaß der Einkommensumverteilung unter- und die Armut im Lande überschätzen
Christian Schwiesselmann

Die Deutschen irren sich gewaltig – über die Einkommensungleichheit in ihrem Lande. Das ist das Ergebnis einer international vergleichenden Studie, die Judith Niehues vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln verfaßt hat. Die meisten Deutschen schätzen ihre eigene Einkommensposition völlig falsch ein. Während sie sich am unteren Ende der Einkommenspyramide wähnen, verfügen sie tatsächlich über ein mittleres Einkommen, interpretiert die 1982 geborene Volkswirtin Umfragen aus dem Jahr 2009. Die von Armut bedrohte Schicht am unteren Ende der Gesellschaft sei mit 15,6 Prozent deutlich kleiner, als die meisten Befragten es sich vorstellen konnten.

Die Wahrnehmungsstörung betrifft auch die Spitze der Gesellschaft: Nur 7,4 Prozent der Bevölkerung verfüge über mehr als das Doppelte des Durchschnittseinkommens und könne nach einer großzügigen Definition deswegen als „reich“ eingestuft werden, lauten die Befunde von Niehues. Während sich die Franzosen ebenso wie die Deutschen in der Masse für zu arm halten, sehen sich die Schweizer und Norweger viel realistischer. Dagegen unterschätzen die US-Amerikaner die Größe der ärmsten Schichten. Fazit: Es gibt keinen nachweisbaren statistischen Zusammenhang zwischen tatsächlicher und wahrgenommener Ungleichheit.

Wie kommen dann die verschiedenen Wahrnehmungen zustande? Abweichende Umverteilungspräferenzen, Netto- und Bruttolöhne im Westen sowie Sozialismuserfahrungen in Osteuropa sind denkbar. Vorsichtig deutet Niehues zudem an, daß „unterschiedliche Berichterstattungen über Verteilungsergebnisse eine Rolle für die Ungleichheitswahrnehmung der Bevölkerung spielen“.

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