© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Plötzlich alles anders
Irak-Konfl ikt: Die Diskussion über mögliche Waffenlieferungen zeigt die Orientierungslosigkeit der deutschen Außenpolitik
Paul Rosen

Das politische Erdbeben im Irak mit dem Zusammenbruch der staatlichen Strukturen ist bis nach Berlin zu spüren. Die deutsche Politik gerät in der Frage von Waffenlieferungen in Krisengebiete ins Wanken. Einstmals klare Positionen werden geräumt und über Nacht durch die gegenteilige Haltung ersetzt. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien, aber auch Teile der Opposition treiben damit ein gefährliches Spiel: Denn es geht um die Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit der Bundesrepublik.

Noch am Montag der vergangenen Woche gab es nur vereinzelte Rufe nach Waffenhilfe für eine bisher nicht bekannte, aber offenbar scharf verfolgte und völlig schutzlose Minderheit im Irak: die Jesiden. Selbst Berliner Außenpolitiker kannten diese Leute bis dato nicht. Regierungssprecher Steffen Seibert stellte klar, daß Rüstungslieferungen nicht in Frage kämen, und zwar wegen der Rüstungsexportregeln, in denen es heiße: Grundsätzlich keine Waffen in Kriegs- und Kampfgebiete zu liefern.

„Wir können Kurdistan nicht alleine lassen“

Seiberts Aussage, die die Haltung der Bundesregierung der vergangenen Jahrzehnte beschrieb, überlebte die Woche nicht. Immer mehr Koalitionspolitiker redeten von Waffenlieferungen, auch wenn die Debatte zum Teil kuriose Züge annahm, als zum Beispiel Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) über die Lieferung von „nichtletalem“ Kriegsgerät schwadronierte. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sprach sich für die Lieferung von „Defensivwaffen“ an die Kurden aus, wobei die Frage offenblieb, ob ein Gewehr eine Angriffs- oder Defensivwaffe ist. Ablehnend zeigte sich CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder: „Wegen unserer Exportrichtlinien sind wir in der Lieferung von Rüstungsgütern beschränkt.“ Doch ausgerechnet auf der linken Seite des Spektrums wuchs die Bereitschaft, den Jesiden und den Kurden mit ihrer Partei PKK Waffen zu liefern. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der bisher eine völlig restriktive Linie fuhr, stellte auf einmal fest, daß Lieferungen „rechtlich möglich“ seien. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sekundierte: „Wir können Kurdistan jetzt nicht alleine lassen und zusehen, wie dort Menschen abgeschlachtet werden.“

Noch schneller waren die Drehversuche der Opposition. Selbst von den Linken gab es Äußerungen für Waffenlieferungen: „In dieser Notsituation ist das erforderlich, um größeres Unheil zu verhindern“, sagte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi zur Überraschung des gesamten Berliner Politikbetriebs. Gysi wurde zwar von wutentbrannten Parteifreunden zurückgepfiffen, aber die Sache zeigte, daß das Pazifisten-Bollwerk der Linken Risse hat. Ähnlich ist die Lage bei den Grünen. Zwar lehnte der frühere Fraktionschef Jürgen Trittin Waffenlieferungen in den Irak ab, weil die Waffen in die Hände der Falschen geraten könnten. Aber sein alter Kampfgefährte Joschka Fischer fiel Trittin in den Rücken: „Eine Terrororganisation wie ISIS, die Menschen grausam ermordet und Frauen unterdrückt, kann man weder mit Gebetskreisen noch mit Spruchbändern stoppen. Wir sollten den Kurden vielmehr Waffen liefern“, forderte der frühere grüne Außenminister.

Am Donnerstag vergangener Woche fiel dann die Kanzlerin höchstselbst um: „Es gibt bei Rüstungsexporten für die Regierung immer einen politischen und rechtlichen Spielraum und den werden wir, wenn nötig, ausschöpfen“, erklärte Angela Merkel.

Daß deutsche Politiker einschließlich bisheriger Pazifisten Waffen liefern wollen und den Pazifismus vergangener Jahrzehnte plötzlich vergessen, hat auch damit zu tun, daß es in Deutschland nie eine geopolitische Debatte gegeben hat. Der jetzt verstorbene Peter Scholl-Latour hat sie stets angemahnt. Keine Berliner Regierung seit der Wiedervereinigung hat deutsche Interessen definiert. So schlingert das deutsche Staatsschiff mal gegen Rußland und dann gegen Amerika, einen Kurs hat es nicht.

Andere Länder sehen den Irak pragmatisch als Rohstofflieferanten. Für sie sind Kurden, Jesiden, Schiiten und Sunniten Mittel zum Zweck, möglichst viel Öl aus dem Land herauszuholen. Mitleid ist für sie keine politische Kategorie. Die deutsche Politik läßt sich von gewiß fürchterlichen Fernsehbildern beeinflussen. Und schon sollen Waffen zum Beispiel an die Kurden geliefert werden, deren politischen Arm – die Arbeiterpartei PKK – man hierzulande als terroristische Vereinigung eingestuft und verboten hat. Möglicherweise sind Spenden an die PKK ab nächste Woche steuerlich abzugsfähig, und eine PKK-Delegation wird im Kanzleramt empfangen, was wiederum zu Verwicklungen mit der Türkei führen würde.

Deutschland, so scheint es einmal mehr, irrlichtert außenpolitisch wieder durch die Welt.

Foto: Verteidigungsministerin von der Leyen bei der Verladung von Hilfsgütern: Streit um Exportrichtlinien

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