© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Neuland im Nebel
Kriminalität: Angesichts des millionenfachen Datenklaus im Internet reagiert die Berliner Politik weitgehend hilflos
Christian Schreiber

Experten vergleichen den Zustand im Internet mit der Mentalität, die früher in der Formel 1 herrschte. Je schneller, desto besser und um die Sicherheit kümmern wir uns erst, wenn etwas passiert ist. Und in jüngster Zeit ist viel passiert. Anfang August schlugen Datenschützer Alarm. Russische Hacker hatten nach Erkenntnissen von IT-Sicherheitsexperten rund 1,2 Milliarden Einwahl-Kombinationen für Internet-Profile erbeutet. Die Datensätze bestünden aus Benutzernamen und Paßwörtern, erklärte die amerikanische Sicherheitsfirma Hold Security der New York Times. Dabei seien über 500 Millionen verschiedene E-Mail-Adressen betroffen. Damit könnte es sich um den größten Datendiebstahl der Geschichte handeln.

Das genaue Ausmaß des Hackerangriffs ist immer noch unklar, doch es scheint sicher, daß auch Internetseiten und digitale Postfächer in Deutschland betroffen sind. Für die Bundesregierung ist dies eine schwierige Angelegenheit. Schließlich wollten zuletzt gleich drei Ministerien die Bundesrepublik zum IT-Wachstumsland Nummer eins machen. Am Mittwoch stellten Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Infratstrukturminister Alexander Dobrindt (CSU) die „Digitale Agenda“ vor. Darin ist viel von der Schnelligkeit des Datentransfers die Rede, von öffentlichen Zugangsstellen, aber recht wenig von der Sicherheit im von Kanzlerin Angela Merkel als „Neuland“ charakterisierten Internet. Daher hat sich auch noch Justizminister Heiko Maas eingeschaltet.

Der SPD-Mann hatte bereits vor Monaten einen Gesetzentwurf zur Strafbarkeit von „Datenhehlerei“ entworfen, der aber bis heute noch nicht im Bundestag thematisiert wurde. Nun ging Maas in die Offensive und forderte die Industrie auf, Kundendaten besser zu schützen. „Internetanbieter sind in der Pflicht, alles zum Schutz der Paßwortdaten und persönlicher Daten ihrer Kunden zu tun“, sagte Maas der Welt: „Der jüngste Hackerangriff zeigt einmal mehr, wie wichtig das Thema der Datensicherheit ist.“ Die Nutzer hätten ein Recht darauf, daß ihre Daten und Paßwörter bei Dienstleistern im Internet so sicher wie möglich seien. „Die Bekämpfung von Datenmißbrauch muß für Dienstleister, Kunden und Politik ein gemeinsames Anliegen sein“, sagte Maas. Das große Problem dabei ist, daß selbst Experten nicht genau einschätzen können, wie groß der Schaden tatsächlich ist. Nur in wenigen Fällen ging es darum, die Privatsphäre der Nutzer auszuspionieren. Es ginge vielmehr darum, möglichst viele E-Mail-Adressen zu sammeln und diese in Spam-Verteiler einzufügen. Der Prozentsatz derer, diese solche Mails anklicken würden und teilweise damit kostenpflichtige Programme herunterladen würden, sei sehr hoch. Damit sei ein Millionengeschäft zu machen, teilt das Justizministerium mit. „Wir prüfen derzeit, wie wir im Bereich der Datenhehlerei Strafbarkeitslücken schließen können“, sagte Maas der in Hannover erscheinenden Neuen Presse. Klar sei aber auch, daß das Problem allein mit den Mitteln des Strafrechts nicht zu lösen sei. Bisher sind nur der Diebstahl von Daten und deren Nutzung strafbar, nicht aber der Handel damit.

Doch nicht nur private Nutzer sind betroffen, auch die Wirtschaft klagt über eine Zunahme von Datendiebstählen. Dabei ging es dann tatsächlich um das Ausspähen konkreter Daten. Wie der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mitteilte, entstünde der deutschen Wirtschaft jährlich durch Wirtschaftsspionage ein Schaden von 100 Milliarden Euro.

Daß diese Probleme zum Teil auch auf ein Versagen der Politik zurückzuführen sind, mußte nun auch der Vorsitzende des neu eingerichteten Bundestagsausschusses Digitale Agenda, Jens Koeppen, eingestehen. Er forderte eine bessere Ausstattung für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). „IT-Sicherheit ist ein ganz zentrales Thema, und da sollten wir auch an der notwendigen Ausstattung nicht sparen“, sagte der CDU-Politiker der Oldenburger Nordwest-Zeitung. „Mit der heutigen Ausstattung kann das BSI ganz sicher nicht die Anforderungen erfüllen, die sich in den kommenden Jahren stellen werden.“

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