© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Die öffentlichen Schulden sinken erstmals seit 1950
Prinzip Eisberg
Jens Jessen

Verwundert rieben sich die politischen Beobachter die Augen. Haben sie sich verhört oder die Wiesbadener Beamten verrechnet? Erstmals seit Beginn der amtlichen Statistik für die Bundesrepublik 1950 sind die öffentlichen Schulden gesunken – zum Jahresende 2013 um 30 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr, vermeldete das Statistische Bundesamt. Bund, Länder und Gemeinden haben ihren Schuldenberg auf 2.038 Milliarden Euro verringert. Zweifellos immer noch gigantisch. Euromünze an Euromünze gelegt, könnte man damit den Erdäquator 1.182 mal umrunden.

Doch die Zahl ist nur die halbe Wahrheit, da der wahre Schuldenberg wie ein Eisberg zum größten Teil unsichtbar unter der Wasserlinie schwimmt. Die implizite, verborgene Staatsverschuldung besteht vor allem aus zukünftigen Zahlungsversprechen der öffentlichen Hand, die sie zum Beispiel kommenden Renten-, Pensions-, Kranken- und Pflegeleistungsempfängern gemacht hat und die schon aus demographischen Gründen nicht vollständig durch das Beitragsaufkommen finanziert werden können.

Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen bezifferte die „Nachhaltigkeitslücke“ der Staatsfinanzen 2014 auf 6,4 Billionen Euro, wovon 4,3 Billionen Euro implizite Staatsschulden sind. Solide Staatsfinanzen sehen anders aus. Künftige Zahlungsverpflichtungen aus anderen langfristigen rechtlichen Bindungen des Staates wie zum Beispiel die Ökostromförderung fließen hier noch nicht einmal ein.

Tatsächlich verdankt sich der Schuldenrückgang in erster Linie der Niedrigzinspolitik der EZB, die die hochverschuldeten Wohlfahrtsstaaten zu Lasten ihrer Steuerzahler und Sparer finanziert. Wie die Bundesbank berechnet hat, konnte die öffentliche Hand im Zeitraum von 2008 bis 2013 dadurch 120 Milliarden Euro Zinsen sparen (JF 34/14). Ohne diese Einspareffekte wären die öffentlichen Haushalte noch tiefer in die roten Zahlen gerutscht.

Hinzu kommen haushalterische Hütchenspie-lertricks. Wie der Bund der Steuerzahler klarstellte, sind die Schulden der Kernhaushalte von Bund und Ländern trotz Rekordsteuereinnahmen im Jahre 2013 nämlich um 17 Milliarden Euro angewachsen. Der Schuldenabbau fand lediglich in den „Schattenhaushalten“ und „Sondervermögen“ statt, wo die beiden staatlichen „Bad Banks“ der früheren HRE und WestLB ihre „toxischen“ Wertparpiedepots abbauen konnten. Geht der Abbau weiter, könnte die offiziell ausgewiesene Staatsverschuldung 2014 weiter schrumpfen.

Der Verzicht auf neue Schulden liegt für die meisten öffentlichen Haushalte aber in weiter Ferne. Auch der Bund dürfte den von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble für 2015 angepeilten Haushaltsausgleich nur bei Andauern der konjunkturellen Schönwetterphase erreichen.

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